Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 1, S. 164-165

Verfasst von: Jürgen W. Schmidt

 

Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1949. Dokumente aus russischen Archiven. Band 4: 18. Juni 1948 bis 5. November 1949. Hrsg. von Jochen P. Laufer und Georgij P. Kynin. Bearb. von Jochen P. Laufer unter Mitarbeit von Kathrin König und Reinhard Preuß. Berlin: Duncker & Humblot, 2012. CXXX, 736 S. ISBN: 978-3-428-13853-1.

Bei vorliegender Dokumentenpublikation handelt es sich um ein Projekt derGemeinsamen Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen, deren Bände 13 bereits in dieser Zeitschrift (Heft 4/2007, S. 621–624) besprochen wurden. In der Besprechung vom Jahr 2007 wurde auf das grundlegende Problem dieser Quellenpublikation hingewiesen, nämlich auf den fehlenden freien Zugang zu den Akten. Der Umstand, dass deutschen Forschern ein ungehinderter Zugang zu Findbüchern und Akten nicht gewährleistet wird und demzufolge notgedrungen russische Historiker zwischengeschaltet werden, die wiederum akzeptieren müssen, was ihnen von den jeweiligen Archivaren vorgelegt wird, ist auch bei Band 4 eine so auffällige Besonderheit, dass darauf für die Bewertung und Nutzung der vorgelegten Publikation hingewiesen werden muss. Hinzu kommt, dass die Masse der publizierten Dokumente (125 von insgesamt 181) aus dem Archiv für Außenpolitik der Russländischen Föderation (AVPRF) stammt, d.h. aus der Provenienz des Außenministeriums, wo die sowjetische Deutschlandpolitik zwar exekutiert, aber nicht konzipiert und beschlossen wurde. Weitere 34 bzw. 18 Dokumente entstammen dem Russländischen Archiv für soziale und politische Geschichte (RGASPI) bzw. dem Staatsarchiv der Russländischen Föderation (GARF). Nur zwei Dokumente stammen hingegen aus dem Archiv des einstigen Zentrums der Macht, dem Präsidentenarchiv der Russländischen Föderation (APRF), während das Zentrale Militärarchiv des Ministeriums für Verteidigung der Russländischen Föderation (CAMO) den Herausgebern völlig unzugänglich blieb (S. C), was noch so mancheLeiche‘ in den dortigen Archivbeständen vermuten lässt. Weil grundlegende Archivalien in Russland selbst heute nicht oder nur sehr eingeschränkt genutzt werden dürfen, herrscht z.B. immer noch eine gewisse Unklarheit darüber, wer eigentlich die sowjetische Deutschlandpolitik konzipierte (S. XXXV–LXIII), Stalin oder Molotov?

Zusätzlich zu den erwähnten Problemen traten zwischen den russischen und deutschen Historikern bei der Analyse und Bewertung der vorgelegten Akten anscheinend erhebliche Meinungsverschiedenheiten auf, worauf die von Jochen P. Laufer und Alek­sej M. Filitov in Band 4 jeweils separat vorgelegten Vorworte schließen lassen. Die vorgelegten Dokumente der Jahre 1948/49 umfassen nämlich einen besonders interessanten Zeitraum, dieBerlin-Krise, die erste große internationale Krise des Kalten Krieges. Diese Krise beeinflusste nicht nur die weitere Entwicklung in Europa und die Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion nachhaltig, sondern in diesen Zeitraum fiel auch die Vorgeschichte der Entstehung sowie die Gründung der Bundesrepublik und der DDR. Insofern wurde neben den politischen Dokumenten zur Berlin-Krise auch Informationsmaterial der SMAD zur innerdeutschen Situation in den Band aufgenommen. Während etwa die auf eine gewisse Versöhnlichkeit, keinesfalls auf einen Bruch hinstrebenden Direktiven für die sowjetische Delegation zur Pariser Außenministerkonferenz vom Mai 1949 (Dokumente Nr. 121–124, S. 352 ff.) über die grundlegenden sowjetischen außenpolitischen Ziele jener Zeitperiode Auskunft geben, beweisen andere Dokumente wie der Bericht des SMAD-Beraters Gribanov über dieantisowjetischeTätigkeit der Berlin-Brandenburger Bischofs Dibelius, dass es kaum ein innerdeutsches Problem gab, auf welchem nicht das wachsame Auge sowjetischer Funktionsträger ruhte. Sehr pragmatisch präsentierten sich sowjetische Diplomaten zudem in der Umsiedlerfrage. In dem auf S. 39 veröffentlichten Dokument Nr. 17 vom 7. Juli 1948 beispielsweise wird aus der sowjetischen Besatzungszone über den Abschluss der Umsiedlung der Deutschen aus Ungarn und das Eintreffen der letzten knapp 50.000 vertriebenen Ungarndeutschen berichtet, wobei Berichterstatter Smirnov besonders die Zahl der Arbeitsfähigen in Höhe von 23.552 Personen berichtenswert erschien.

Der Wert der vorgelegten Dokumentensammlung hängt insbesondere davon ab, wie repräsentativ die vorgelegten Dokumente im Verhältnis zu den nichtpublizierten sind. Da Aleksej M. Filitov in seinem Vorwort (S. LXXV) die Auffassung durchblicken lässt, die auch die publizierten Dokumente nahelegen, dass dieHaltung der Deutschen selbstdas größtes Hindernis für eine Einigung der Sowjetunion mit den Westmächten bezüglich Deutschlands Zukunft gewesen sei, ist bei der Benutzung vorliegenden Bandes die notwendige Quellenkritik nicht zu vernachlässigen. Die Herausgeber und Bearbeiter des Bandes 4 verdienen trotz dieser kritischen Bemerkungen Respekt und Anerkennung für ihre editorische Leistung.

Jürgen W. Schmidt, Berlin

Zitierweise: Jürgen W. Schmidt über: Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1949. Dokumente aus russischen Archiven. Band 4: 18. Juni 1948 bis 5. November 1949. Hrsg. von Jochen P. Laufer und Georgij P. Kynin. Bearb. von Jochen P. Laufer unter Mitarbeit von Kathrin König und Reinhard Preuß. Berlin: Duncker & Humblot, 2012. CXXX, 736 S. ISBN: 978-3-428-13853-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schmidt_Laufer_Die_UdSSR_und_die_deutsche_Frage_4.html (Datum des Seitenbesuchs)

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