Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), H. 3, S. 519-520

Verfasst von: Jürgen W. Schmidt

 

Georg Herbstritt: Entzweite Freunde. Rumänien, die Securitate und die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2016. 582 S., 52 Abb., 11 Tab. = Analysen und Dokumente. Wissenschaftliche Reihe des Bun­des­beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BstU), 47. ISBN: 978-3-525-35122-2.

Georg Herbstritt (*1965) ist ein Historiker, der nach einem Studium der neueren und osteuropäischen Geschichte in Freiburg seit über zwei Jahrzehnten in Einrichtungen der Stasi-Unterlagen-Behörde tätig ist und 2007 an der Humboldt-Universität Berlin mit einer Dissertation über die Tätigkeit der Stasi-Hauptverwaltung Aufklärung in der Bundesrepublik promoviert wurde. Landes- und Sprachkenntnisse über Rumänien erwarb sich Herbstritt durch ein Archivpraktikum in Siebenbürgen im Rahmen seiner Archivausbildung.

In seiner umfangreichen neuen Studie, deren Anfänge auf das Jahr 2002 zurückgehen, befasst er sich mit den Beziehungen zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR und dem als „Securitate“ bekannt gewordenen Staatssicherheitsdienst Rumäniens. Diese Zusammenarbeit unterteilt Herbstritt in drei inhaltlich sehr verschiedene Zeitphasen. In der ersten Phase, welche Herbstritt von Beginn der fünfziger Jahre bis zum Beginn der sechziger Jahre datiert, war die Zusammenarbeit am engsten. Das MfS und die Securitate verband das gemeinsame Bestreben, die Tätigkeit von im Exil in Westberlin und in der Bundesrepublik befindlichen Rumänen und Rumäniendeutschen nachrichtendienstlich aufzuklären und die Tätigkeit von deren Organisationen und Verbänden zu behindern bzw. nachhaltig zu stören. In diesem Zeitraum kam es zu mehreren Entführungsfällen, bei deren Vorbereitung und Durchführung die Securitate und die Staatssicherheit eng zusammenarbeiteten. Auch der allgemeine nachrichtendienstliche Infor­mationsaustausch war damals rege. Die Securitate überschüttete das MfS förmlich mit einer Unmenge an Hinweisen, von denen indessen nur einige wenige über bestimmte westliche Geheimdienste im MfS für wertvoll gehalten wurden. Das MfS lieferte im Gegenzug zwar wesentlich weniger Informationen an die Securitate, doch waren diese wenigstens auf den speziellen Bedarf der Rumänen abgestimmt. Als die Rumänische Kommunistische Partei im Zuge der Entstalinisierung etwa ab April 1964 einen Kurs hin auf eine streng nationale Ausrichtung nahm, man sich etwas aus der Umarmung der Sowjetunion zu lösen beabsichtigte und dabei im Vergleich zu anderen sozialistischen Ländern gegenüber China und Israel eine „falsche“ Außenpolitik betrieb, litt die ursprünglich gute deutsch-rumänische Zusammenarbeit der beiden Staatssicherheitsorgane im Zeitraum von 1964 bis 1973 erheblich. Obwohl die Securitate bereits kurz nach dem Jahr 1964 immer wieder Versuche machte, das ursprünglich gute Einvernehmen mit der DDR-Staatssicherheit wieder herzustellen, zeigte sich das Ministerium für Staatssicherheit unter Minister Erich Mielke und HVA-Chef Markus Wolf spröde und lehnte jegliche rumänischen Annäherungsversuche ab. Georg Herbstritt zieht einen Vergleich zwischen dem Verhalten der DDR-Staatssicherheit und dem der anderen sozialistischen Staatssicherheitsorgane (z.B. Bulgarien, Polen, Ungarn) und kommt zur Auffassung, dass sich die DDR-Staatssicherheit unter Mielke hier als bester Freund der Sowjetunion und des sowjetischen KGB profilieren wollte und aus sachfremden, rein ideologischen Gründen päpstlicher als der Papst handelte. Andere DDR-Ministerien, sogar das DDR-Verteidigungsministerium, fuhren hier keinen derart harten, völlig unnahbaren Kurs wie die Staatssicherheit. Die dritte Phase von 1973 bis 1989 war in den Beziehungen zwischen Securitate und DDR-Staatssicherheit dadurch gekennzeichnet, dass keinerlei Zusammenarbeit mehr bestand. In der Securitate baute man bezeichnenderweise eine eigene Spionageabwehr gegen die Geheimdienste der sozialistischen „Bruderländer“ auf. Dazu gehörte auch ein eigenes Spionageabwehrreferat gegen das MfS, welches aber nur ganze drei Offiziere umfasste. Die Staatssicherheit der DDR hingegen betrachtete die Securitate ab dem Jahr 1973 als „feindlichen Geheimdienst“, und man klärte folglich aus einer getarnten MfS-Residentur an der DDR-Botschaft in Bukarest Rumänien auf, hauptsächlich um nähere Informationen über die für die DDR-Führung unberechenbare, teilweise auch völlig unverständliche Politik des Con­ducator Ceauşescu zu gewinnen. Selbst als sich auf dem Boden der gemeinsamen Abneigung gegenüber KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbačev in den Jahren 1986 bis 1989 eine „Altherrenfreundschaft“ zwischen Erich Honecker und Nicolae Ceauşescu entwickelte, hatte das keinerlei positiven Einfluss auf die Beziehungen zwischen Securitate und DDR-Staatssicherheit. Georg Herbstritt hat unter Nutzung von Securitate-, Staatssicherheits- und sogar BND-Akten eine interessante Geheimdienststudie verfasst, die einen guten Einblick in die wechselhaften Beziehungen zwischen Rumänien und der DDR in den Jahren zwischen 1950 und 1989 bietet.

Jürgen W. Schmidt, Berlin

Zitierweise: Jürgen W. Schmidt über: Georg Herbstritt: Entzweite Freunde. Rumänien, die Securitate und die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2016. 582 S., 52 Abb., 11 Tab. = Analysen und Dokumente. Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BstU), 47. ISBN: 978-3-525-35122-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schmidt_Herbstritt_Entzweite_Freunde.html (Datum des Seitenbesuchs)

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