Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012), 1, S. 119-121

Verfasst von: Eva Schlotheuber

 

Kunst als Herrschaftsinstrument. Böhmen und das Heilige Römische Reich unter den Luxemburgern im Europäischen Kontext. Hrsg. von Jiři Fajt und Andrea Langer. Berlin, München: Deutscher Kunstverlag, 2009. 607 S., zahlr. Abb. ISBN: 978-3-422-06837-7.

Es ist ein in jeder Hinsicht gewichtiger Band geworden, den Jiři Fajt und Andrea Langer als Ergebnis des Kolloquiums, das im Mai 2006 die Ausstellung „Karl IV. – Kaiser von Gottes Gnaden“ begleitete, herausgegeben haben. Eindrucksvoll belegen die 40 Beiträge, durchweg mit hochwertigen Abbildungen illustriert, wie intensiv und in neuartiger Weise sich die Luxemburger der Kunst für ihre Herrschaftsrepräsentation und -durchsetzung bedient haben. František Šmahel, Robert Suckale und Ernó Marosi widmen sich einleitend zentralen Forschungsfragen und -kontroversen mit einem engagierten Plädoyer für einen ‚weiten‘ Blick, der Kunst und Kultur der Luxemburgerzeit im historischen Kontext würdigt und dabei das europaweite Wirken des Adels und der städtischen Oberschichten, des Klerus und der Orden berücksichtigt. Diesem methodischen Anspruch wird der Band schon in seiner Konzeption gerecht, wobei die sieben großen thematischen Blöcke jeweils durch kurze Einführungen erläutert werden. Der erste Abschnitt widmet sich den Beziehungen zwischen Böhmen und dem Westen – ein viel diskutiertes Thema. Hier zeigt sich, dass vor allem die historischen Bezüge neue Perspektiven eröffnen und differenzierte Analysen ermöglichen. Neben Bernd Carqué, der die gewählte Stilhöhe der künstlerischen Ausstattung mit dem Rezipientenkreis in Verbindung bringt, würdigt Markus Hörsch die Kunstproduktion in Böhmen unter König Johann vor dem Hintergrund schwieriger politischer Verhältnisse und rivalisierender Adelsparteien, während Christoph Brachmann am Beispiel Lothringens aufzeigt, wie vor allem die personellen, politisch, verwandtschaftlich oder religiös motivierten Beziehungen Kulturtransfer bedingten und die Integrationskraft der Luxemburgerherrschaft auch in räumlich entfernten Regionen sichern konnten. Christian Freigang erklärt eindrucksvoll Chor und Langhaus der Frankfurter Bartholomäuskirche im 14. Jahrhundert als konkurrierende soziale, politische und religiöse Räume, in denen kurerzbischöflich-mainzische und städtisch-bürgerliche Interessen aufeinandertrafen und verhandelt wurden, wobei die jeweiligen Positionen architektonisch und konzeptionell zum Ausdruck gebracht wurden. Die konkurrierende Nutzung der Kirchengebäude durch bürgerliche, stiftische oder landesherrliche Gruppen und die räumliche Aufteilung des Sakralbaus ist für das Spätmittelalter ein wichtiges und bislang viel zu wenig beachtetes Phänomen.

Der zweite thematische Block wendet sich Prag als „Hauptstadt des Weltreichs“ zu. Lenka Bobková erläutert die Bedeutung der Corona Regni Bohemiae für die Integration der neuen Territorien in Karls Landesherrschaft, Zoë Opačić die Rolle der religiösen Erfahrung, Pavel Kalina und Klára Benešovská erörtern die Visualisierungsformen personeller und historischen Bezüge im Prager Veitsdom. Der Nutzung des sakralen Raums wenden sich auch Olaf Rader (in seinem Beitrag: „Zu Symbol, Form und Idee spätmittelalterlicher Herrschergräber“) und Michael Viktor Schwarz zu, der sich um einen neuen Ort für die berühmte Parlerfigur des hl. Wenzel bemüht, die einst ihren Platz vor der Wenzelskapelle gehabt habe. Mit Prag als Kunstzentrum des 14. Jahrhunderts korrespondiert die Reichsstadt Nürnberg, der der folgende thematische Schwerpunkt gewidmet ist. Unter Bezug auf den Reliquienbesitz der Nürnberger Frauenkirche versucht Gerhard Weilandt, eine neue Rekonstruktion des verlorenen Hochaltarretabels, während Hartmut Scholz der Frage der künstlerischen Verortung der Luxemburger Fensterstiftungen nachgeht, wobei die Erschließung der reichen Nürnberger Bestände erst am Anfang steht. Jiři Kuthan untersucht das Wirken Michael Parlers in Prag, Straßburg und Ulm; jener übernahm in Goldenkron die Erneuerung der einst vom Böhmenkönig Přemysl Otarkar II. 1263 gegründeten Zisterzienserabtei, deren „kaiserlicher Stil“ dann seinerseits offenbar die Bauhütte der in Südböhmen mächtigen Rosenberger beeinflusste.

Den politischen und religiösen Dimensionen des herrscherlichen Reliquienkultes widmen sich die Beiträge von Michael Lindner, Karel Otavský und Wolfgang Schmid mit Schwerpunkt auf dem Reliquienerwerb aus Byzanz, wobei es gelegentlichen zu inhaltlichen Überschneidungen kommt. Jiři Fajt rollt nochmals grundsätzlich die viel diskutierte sakrale und räumliche Konzeption des Karlssteins auf und vermag dabei die Unstimmigkeiten der Quellen überzeugend durch sukzessive Planänderungen des Herrschers zu erklären. Kateřina Kubínová beschäftigt sich mit der Vorbildfunktion Kaiser Konstantins für Karl IV., Gude Suckale-Redlefsen mit dem interessanten Phänomen der Darstellung Schwarzer in der Kunst, Paulína Rychterová und Zdeňka Hledíková mit religiöser Legitimation und der böhmischen Frömmigkeitsbewegung im 14. Jahrhundert. Den Söhnen Karls IV., Wenzel IV. und Sigismund, ist die folgende Sektion gewidmet, die mit der Herrscherdarstellung und -repräsentation (Milena Bartlová und Dušan Buran) und ihren Symbolen (Milada Studničková) aktuelle Forschungsfragen aufgreift. Tim Juckes lenkt dann den Blick auf Ungarn unter der Regentschaft Sigismunds und Wilfried Franzen auf das Bornhofener Retabel. Die nicht selten im Zusammenhang mit Repräsentation und Vorbildcharakter übersehene Goldschmiedekunst beleuchten die Beiträge von Markus Winzeler und Franz Kirchweger. Sie weisen für Böhmen und Österreich ein hohes Niveau, das Wirken internationaler Fachkräfte und modernste Technologien in der Schatzkunst nach. Andreas Fingernagel widmet sich der Hofminiaturenwerkstatt in Wien mit schönen Beispielen vor allem aus den letzten drei Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts.

Die letzte Sektion greift unter dem Titel „Internationalisierung der Kunst unter den Luxemburgern“ resümierend den roten Faden des Bandes auf und vervollständigt in geographischer Hinsicht die Bezüge zu den verschiedenen europäischen Regionen. Anne Dunlop bezieht Italien in das Gesamtbild ein, Peter Küvener die Retabel- und Skulpturkunst Brandenburgs, Andreas Puth die für die Herrschaftsrepräsentation Karls IV. bedeutsame Marienkirche in Mühlhausen. Das Mäzenatentum Kasimirs des Großen, Krakau als Kunstzentrum und die Beziehungen zum habsburgischen Österreich beleuchtet Marek Walczak; Monika Jakubek-Raczkowska untersucht die Einflüsse Böhmens auf die gotische Skulptur im Ordensland Preußen, während  Matthias Weniger und Janez Höfler den europäischen Rundblick mit den Vesperbildern des schönen Stils in Kastilien und in Slowenien abschließen.

Die Beiträge des Tagungsbandes bieten vielfach neue Ergebnisse und ein eindrucksvolles Tableau europäischer Kunstproduktion im 14. Jahrhundert. Mit der differenzierten Analyse der vielfältigen Bezüge, in denen die Kunstproduktion stand, sind sie der Ertrag einer kunsthistorischen Forschung, die den historischen Kontext berücksichtigt und damit ein vertieftes Verständnis der Kunst ermöglicht. Auf diese Weise erklärt sich gleichzeitig die große Blüte spätmittelalterlicher Kunstproduktion, denn in diesem Medium, in Bild und Skulptur, in Symbol und Architektur wurden die zentralen religiösen, politischen und gesellschaftlichen Fragen der Zeit verhandelt. Die Kunst war deshalb ein notwendiger und kein akzidentieller Teil der spätmittelalterlichen Fest- und Alltagskultur. Diese Ergebnisse aufzugreifen und umfassend für das Verständnis der Zeit fruchtbar zu machen, wird jetzt die Aufgabe der Nachbardisziplinen sein.

Eva Schlotheuber, Düsseldorf

Zitierweise: Eva Schlotheuber über: Kunst als Herrschaftsinstrument. Böhmen und das Heilige Römische Reich unter den Luxemburgern im Europäischen Kontext. Hrsg. von Jiři Fajt und Andrea Langer. Berlin, München: Deutscher Kunstverlag, 2009. ISBN: 978-3-422-06837-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schlotheuber_Fajt_Langer_Kunst_als_Herrschaftsinstrument.html (Datum des Seitenbesuchs)

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