Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 57 (2009) H. 2, S.  259-259

Anna Bek The Life of a Russian Woman Doctor. A Siberian Memoir, 1869–1954. Translated and edited by Anne D. Rassweiler, with a foreword of Adele M. Lindenmeyr. Indiana University Press Bloomington, IN 2004. XVI, 153 S., Ktn., Abb. ISBN: 0-253-34460-3.

Das von der amerikanischen Historikerin Anne D. Rassweiler herausgegebene Buch ist in vieler Hinsicht eine lesenswerte Lektüre. Auf ihrer Suche nach Memoiren über Revolutionäre und Revolutionärinnen in Sibirien wurden ihr die damals unpublizierten Erinnerungen der Ärztin Anna Bek von der Tochter überreicht. Anne Rasweiler hat den Text ins Englische übersetzt und sehr sorgsam ediert, indem sie jedes Kapitel mit einen Kommentar zum historischen Kontext versehen hat und den Lesern einen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat, eine Bibliographie, eine Chronologie und einen Index zur Verfügung stellt.

Die Verfasserin des Selbstzeugnisses, Anna Bek, wurde 1869 als Anna Nikolaevna Žukova in der Bergbausiedlung Gornyj Zerentuj, unweit vom Baikalsee geboren. Den vorliegenden Text verfasste sie um 1948, im Alter von 79 Jahren. 1996 erfolgte die Veröffentlichung auf Russisch. Die Erzählung ihres Lebens behandelt besonders den schulischen und beruflichen Werdegang als Ärztin und Spezialistin für Lernpsychologie und Pädologie. Die Aufzeichnungen basieren auch auf ihrem Tagebuch aus Kindheits- und Jugendjahren, auf früheren Notizen und Gedichten, die sie für ihre Familie verfasst hat und die teilweise hier übersetzt vorliegen. Anne Rassweiler weist auf publizierte Texte von Anna Bek über verschiedene soziale Themen hin, die sie recherchiert hat und die das Selbstbild der Autorin sinnvoll ergänzen.

Anna Nikolaevna beschreibt ihren Bildungshunger als zentralen Faktor in ihrem Leben. Die autobiographischen Ausführungen basieren auf dieser Sinnkonstruktion, weshalb wichtige Ereignisse wie die beiden Weltkriege, Revolution und Bürgerkrieg oder auch die Entwicklung des revolutionären Russland zu einem repressiven Staat in den Hintergrund treten. Anne Rassweiler vermutet, dass Anna Bek zum Zeitpunkt der Niederschrift in der späten Stalinzeit aus Angst, etwas Falsches oder Unerlaubtes zu schreiben, eine starke Selbstzensur übte.

Anna Nikolaevna besuchte seit 1882 das berühmte Irkutsker Institut für Adelige Mädchen, das 1845 eröffnet worden war, und schloss dort 1888 mit Auszeichnung ab. Als kurze Zeit darauf ihre Mutter starb, entschied sie sich für eine medizinische Ausbildung. Gegen den Willen des Vaters begann sie ab 1894 im weit entfernten St. Petersburg und später noch für ein Jahr in Frankreich mit dem Kursbesuch. In diesen Jahren entwickelte sie auch ihr politisches Interesse für sozialrevolutionäre und marxistische Ideen. Um 1902, erst mit 31 Jahren, also im Vergleich zu anderen Frauen relativ spät, heiratete sie den Arzt Evgenij Vladimirovič Bek. Im Russisch-japanischen Krieg waren die Eheleute beide als Mediziner tätig, und Anna organisierte für die aus der Bauernschaft stammenden Soldaten, die oftmals Analphabeten waren, Bildungskurse. Die Eheleute hatten zwei Kinder, mit denen zusammen sie nach Čita in die Transbaikal-Region geschickt wurden und wo sie von 1912 bis 1923 lebte. Diese Jahre prägten Anna Bek, da sie damals ihre beruflichen Interessen vertiefte und nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes an Typhus 1915 die Familie alleine versorgen und ernähren musste. Während ihrer Jahre an der Universität von Irkutsk unterrichtete sie Lernpsychologie und Pädologie und interessierte sich für die Lehren von Montessori. Die Darstellung vermittelt einen Einblick in die Wissenschaftsgeschichte der frühen Sowjetunion. Ab 1929 fand eine zunehmende Kontrolle und Reglementierung durch den Staat statt; als Frau erlebte Ana Bek in einer männlich dominierten Welt immer wieder feindselige Haltungen.

Das Buch ist eine empfehlenswerte Quelle für die revolutionäre Bewegung in Russland, für die Frauen- und Geschlechtergeschichte, für sibirische Studien und für die russische Selbstzeugnisforschung.

Carmen Scheide, Konstanz

Zitierweise: Carmen Scheide über: Anna Bek: The Life of a Russian Woman Doctor. A Siberian Memoir, 1869–1954. Translated and edited by Anne D. Rassweiler, with a foreword of Adele M. Lindenmeyr. Indiana University Press Bloomington, IN 2004. ISBN: 0-253-34460-3. , in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 2, S. 259-259: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Scheide_Bek_Russian_Woman.html (Datum des Seitenbesuchs)