Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 2, S. 295-297

Verfasst von: Ralph Schattkowsky

 

Hans-Jürgen Bömelburg: Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen. Ereignis- und Erinnerungsgeschichte. Unter Mitarbeit von Matthias Barelkowski. Stuttgart: Kröner, 2011. XXI, 381 S., 12 Abb., 4 Ktn. = Kröners Taschenausgabe, 331. ISBN: 978-3-520-33101-4.

Gut platziert im Friedrich-Jahr erscheint dieses Buch des Gießener Osteuropahistorikers und Polenspezialisten. Wie der Autor im Vorwort zurecht feststellt, schließt er mit der vorliegenden Monographie eine Lücke in der Friedrich-Forschung. Über den Philosophen auf dem Königsthron, den Feldherrn, der Preußen zu europäischer Macht führte, den Politiker, der Europa mitgestaltete und, gerade in diesem Jahr, den volksverbundenen Heroen sind wir hinlänglich informiert. Welchen Stellenwert die Politik gegenüber Polen bei ihm einnahm, vor allem aber, wie er über den östlichen Nachbarn dachte, welche Vorstellungen und Erwartungen in Polen mit dem Herrscher verbunden waren und wie er dort rezipiert wurde, ist wenig bekannt, zumindest aber konzentriert nicht dargestellt. Allein dieser Ansatz ist eine wesentliche Bereicherung der Literatur zu Friedrich und ergänzt den Bestand zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen substantiell. Das Vorhaben soll dem Autor durch die Entwicklung einer europäischen Perspektive auf Herrscher und Beziehungsgeschichte gelingen, dazu entwickelt er einen sehr anspruchsvollen methodischen Ansatz. Mit stark kulturgeschichtlichen Elementen versehen, wendet er sich zunächst der Friedrichschen Polenpolitik zu. In den ersten fünf Kapiteln (etwa 1/3 des Buches) schlägt er den Bogen von der Wahrnehmung preußisch-polnischer Traditionen des jungen Thronfolgers über die Haltung zur sächsisch-polnischen Union, die Teilung bis hin zur Herausbildung eines negativen Polenbildes bei Friedrich und die Perpetuierung eines polnischen Stereotyps. Inhaltlich getragen wird dieser vornehmlich ereignisgeschichtlich geprägte Abschnitt von der zentral im gesamten Buch positionierten Fragestellung nach den Anfängen und Gründen eines preußisch-deutschen Antipolonismus. Die Versuche des Autors, eine frühe, mentale Abneigung Friedrichs gegenüber den Polen zu belegen, wirken nicht immer überzeugend. Negative Eindrücke bei seinem Aufenthalt am sächsischen Hof werden wiederholt angeführt ebenso wie Friedrichs despektierlichen Äußerungen zu Charakter und Lebenswandel des polnischen Adels. Andererseits nehmen enge und geradezu vertrauliche Beziehungen zu einzelnen Vertretern dieses Standes und sogar zum hohen polnischen katholischen Klerus (S. 103104) einen nicht geringen Raum in Friedrichs privatem und auch politischem Leben ein, denen sich der Autor ausführlich widmet. Offensichtlich konnte Friedrich keinerlei Beziehungen zu den preußisch-polnischen Traditionen, die bis in seine Familie hineinreichten, aufbauen und es ist fraglich, ob er überhaupt einen inneren Antipolonismus entwickelte. Seine vom Autor breit dargelegten antipolnischen Äußerungen und gebetsmühlenartig wiederholten antipolnischen Stereotypen waren wohl eher ein politischer Rechtfertigungsversuch für die Teilungspolitik und eine gewiss negative Polenpolitik, bei der bewusst auf moralische Defizite in Polen verwiesen wird, die der Herrscher unter dem Imperativ preußischer Stärkung für sich verbuchen kann. Es passt viel besser zum weiteren (beziehungslosen) Erscheinungsbild Friedrichs, dass er eben kein inneres Verhältnis zu den Polen und zum polnischen Staat hatte, die Beziehungen seinen machtpolitischen Doktrinen unterordnete und das polnische Schicksal ihm einfach gleichgültig war. Das wird besonders deutlich, wenn der Autor tradierte Sichtweisen verlässt und sein Hauptaugenmerk auf die weniger beachtete, aber für Friedrich wegleitende Rivalität zwischen Preußen und Sachsen-Polen richtet. Erst diese Perspektive der ursprünglichen Chancengleichheit zum Aufstieg zu einer europäischen Großmacht, die eine Option despolnischen Schicksalsauch für Preußen parat hatte, eröffnet einen ungetrübten Blick auf die Handlungsmuster Friedrichs und macht seine Polenpolitik erklärbar. Die Autor belegt dies nicht nur mit machtpolitischem Kalkül, sondern auch mit handfesten ökonomischen Tatsachen, die bei Friedrich eine wesentliche Rolle spielten. In der Bewältigung dieser Fragestellung zeigt sich ein weiterer Vorteil des Buches, nämlich die konsequente Einbettung der Politik Friedrichs in die Herausbildung und Festigung der europäischen Pentarchie und sein Bemühen um die Herstellung eines dauerhaften Ausgleichs zwischen den zukünftigen osteuropäischen Dominanten.

Die folgenden Kapitel sind der Erinnerung an Friedrich in Polen und Deutschland, mehr aber noch seiner Wirkungsgeschichte und Instrumentalisierung, vor allem im Zeitalter von Nationalismus und Faschismus gewidmet. Hier ist augenfällig, dass Friedrich durch eine gezielte Selbstdarstellung die Grundlagen für dieFriedrich-Legendebewusst gelegt und der Stilisierung von Heros und Volksnähe große Aufmerksamkeit geschenkt hat (132 ff.). Hochinteressant sind ebenfalls die Passagen, wo vielfach belegt wird, dass es polnischerseits keinesfalls eine zur negativen Polenpolitik adäquate Rezeption Friedrichs in Polen gab, sondern seine Bewertung sich zunächst von einer antipreußischen Haltung sehr wohl absetzte und das Negativstereotyp Friedrich ein Produkt der nationalen Bewegung und historischen Argumentation zum Ende des 19. Jahrhunderts war (217 ff.). In Kapitel 8 stellt der Autor in großer kulturgeschichtlicher Breite den entscheidenden Prozess in der deutschen Geschichte dar, wo sich das preußisch-deutsche Friedrich-Bild mit antipolnischen Elementen untrennbar verbindet. Vor allem nach 1871 schöpft der Antipolonismus nicht unwesentlich aus der Person Friedrichs und er wird mit seiner Politik und seinen Aussagen zu den Polen und dem polnischen Staat dafür zur Berufungsinstanz. Ein Aspekt, der im Zeitraum 19181945 (S. 10) eher in den Hintergrund tritt und von dem Bedürfnis, Friedrich als Sinnbild großer Vergangenheit zu deuten, dominiert wird, woraus dann schließlich die Nazis Führerkult und Durchhaltewillen machen.

Die Abschnitte über die Zeit nach 1945, besonders nach 1990 (S. 11 und 12) geraten etwas holzschnittartig. Eine stärkere Einbettung in die Identitätssuche der neuen deutschen Staaten nach den Kriegskatastrophen und die Anwendung eines erweiterten Erinnerungsparadigmas auf die Kategorien Person und Herrschaft wären wünschenswert gewesen.

Es steht außer Frage, dass dem Autor mit seinem Buch ein wichtiger Beitrag sowohl zur Beziehungsgeschichte als auch zur Historisierung der Person Friedrichs II. gelungen ist. Darüber hinaus hat er mit seinem innovativen methodischen Ansatz der komplexen Verarbeitung von Ereignis, Wirkung und Erinnerung für die Entwicklung und Darstellung historischer Perspektiven Maßstäbe gesetzt.

Ralph Schattkowsky Rostock/Thorn

Zitierweise: Ralph Schattkowsky über: Hans-Jürgen Bömelburg: Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen. Ereignis- und Erinnerungsgeschichte. Unter Mitarbeit von Matthias Barelkowski. Stuttgart: Kröner, 2011. XXI, 381 S., 12 Abb., 4 Ktn. = Kröners Taschenausgabe, 331. ISBN: 978-3-520-33101-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schattkowsky_Boemelburg_Friedrich_II.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2015 by Institut für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg and Ralph Schattkowsky. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact jahrbuecher@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.