Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), H. 2, S. 310-311

Verfasst von: Ralph Schattkowsky

 

Osteuropäische Geschichte und Globalgeschichte. Hrsg. von Martin Aust / Julia Ober­treis. Stuttgart: Steiner, 2014. 330 S., Abb.. = Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, 83. ISBN: 978-3-515-10809-6.

Inhaltsverzeichnis:

http://d-nb.info/1052359388/04

Unter dem vielversprechenden Titel sind Beiträge einer Tagung veröffentlicht, die im Februar 2011 am Herder-Institut in Marburg stattfand. Die Herausgeber konstatieren in der Einleitung einen „Boom der Globalgeschichte“, bei dem es „um neue räumliche Bezugs- und Verschränkungsebenen und die Überwindung des Eurozentrismus in der Geschichtsschreibung“ (S. 7) gehe. Sie sehen die Aufgabenstellung des Bandes vor allem in einem Beitrag zur weiteren Beschreibung des Begriffes Globalgeschichte und der stärkeren Verankerung der Osteuropäischen Geschichte in diesem Paradigma, das diesen europäischen Großraum bisher eher marginalisiert. So geht es den Autoren zunächst auch um eine nähere Begriffsbestimmung von Globalgeschichte und einen Abgleich mit den Kategorien Weltgeschichte, Universalgeschichte, transnationale Geschichte und eine Bestimmung des Verhältnisses zu Nationalgeschichte und Regionalgeschichte, bzw. Area Studies / Area History. Wenn auch die Verfasser einräumen, dass sich diese „Forschungsrichtungen nicht klar voneinander … trennen, sondern überlappen … und in der Praxis teils synonym gebraucht“ werden, so fällt doch die Begründung für die Verwendung des Begriffes Globalgeschichte mit der Feststellung, dass sie eben nicht mit der Tradition des Eurozentrismus belastet sei, „weniger anfällig für (über)große Erklärungsmuster“ sei und ihre interessante Spezifik darin finde, „globale Zusammenhänge von unten her zu rekonstruieren“ (S. 8), etwas dünn aus. So bleibt dann auch die Frage nach der Relevanz des Begriffes Globalgeschichte bei der Lektüre der einzelnen Beiträge des Bandes weiter offen, zumal die Herausgeber einräumen, dass „keineswegs alle unter dem Label Globalgeschichte“ (S. 13) firmieren. Die Beiträge konzentrieren sich auf Russland, bzw. die Sowjetunion. Lediglich zwei erweitern den regionalen Rahmen auf den Ostblock, und ein Beitrag beschäftigt sich mit der „Erinnerungskultur um Jerzy Popiełuszko aus globalhistorischer Perspektive“. Die Beiträge sind thematisch geordnet. Der Abschnitt Globalgeschichte interimperial nimmt Aspekte des russischen Expansionismus aus machtpolitischer, kultureller und ethnischer Perspektive auf. In einem weiteren Block werden russische Expeditionen und Polarforschungen geschildert und in einem dritten Abschnitt geht es um Imaginationen und Kooperationen im Kalten Krieg, wo Blockbildung, Handel, Kultur, Erinnerung und Literatur behandelt werden. Am Schluss des Bandes nehmen zwei Beiträge als Kommentare noch einmal Bezug auf die Themenstellung. Sie wirken beide auf ihre Art sehr erhellend auf die Grundproblematik der Begrifflichkeit und die Rolle der Osteuropäischen Geschichte in diesem Konzept. Birgit Schäbler wagt sich am Beispiel der Osteuropäische Geschichte an das Verhältnis von Globalgeschichte und Regionalgeschichte, wobei sie damit Area History meint, und stellt in ihrer Hauptthese fest, dass die Osteuropäische Geschichte aufgrund der europäischen Randlage ihres Gegenstandes eine besondere Position einnehme, die bisher von den Area Studies amerikanischen Ursprungs wenig bis gar nicht berücksichtigt worden sei (S. 307). Wenn allerdings die Autorin die Globalgeschichte in Unterscheidung zur Weltgeschichte auf eine Perspektive reduziert, „mit der auch begrenztere Gebiete als der gesamte Globus erforscht werden können“ (S. 311), so trägt das wenig zur Erklärung der Beziehungen bei.

Katja Naumann hingegen verzichtet in ihrem Beitrag von vornherein auf eine Unterscheidung von Welt- und Globalgeschichte und konzentriert sich auf die Problematisierung der methodischen Zugänge der Globalgeschichte, die sie als sehr heterogen (was der vorliegende Band belegt) ansieht. Sie versteht es sehr gut, die Osteuropäische Geschichte in diese verschiedenen Zugänge einzuordnen, und macht praktikable Vorschläge für Ordnungs- und Abgrenzungskriterien der Forschungsfelder, wobei sie sich dabei auf die transnationale Geschichte konzentriert. Das bedeutet keine Einengung der Sichtweisen, sondern gerade durch diese genauere Beschreibung werden die Perspektiven der anderen Forschungsfelder deutlicher. Sehr kritisch setzt sich die Autorin auch mit dem Neuheitsanspruch des geführten Diskurses auseinander und verweist einerseits auf die Tradition von Weltgeschichtsschreibung im Allgemeinen und im Besonderen, wenn es um die russische Geschichte geht. Beides weiß sie fundiert zu belegen. Diese beiden Beiträge sind gut platziert und unerlässlich zum Verständnis des Anliegens des Bandes. So unterschiedlich sie in ihrem methodischen Ansatz sind, so verschieden bewerten sie auch den Band selber. Während Schäbler die „Palette der Fragestellungen, zu der der transregional-verschränkte Fokus einer prall gefüllten Globalgeschichte auf der Basis einer nicht auf eine (Welt)region begrenzten Regionalgeschichte einlädt, … in diesem … Band (als) weitgehend ausgeschöpft“ (316) ansieht, ist Naumann wesentlich zurückhaltender und sieht „hinter den Türen, die dieser Band geöffnet hat, … [ein] durchaus schwieriges Terrain“ (S. 330). Dem ist wohl zuzustimmen, denn, obwohl der Band den Stellenwert der Osteuropäischen Geschichte innerhalb von Globalgeschichte/Weltgeschichte und transnationaler Geschichte verdeutlicht hat, so konnte er den Beweis für die Globalgeschichte als sinnvolles und tragfähiges heuristisches Konzept nicht liefern, weder durch die einzelnen Beiträge noch in seiner begrifflichen und methodischen Abgrenzung zu anderen Forschungsfeldern.

Ralph Schattkowsky, Rostock

Zitierweise: Ralph Schattkowsky über: Osteuropäische Geschichte und Globalgeschichte. Hrsg. von Martin Aust / Julia Obertreis. Stuttgart: Steiner, 2014. 330 S., Abb.. = Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, 83. ISBN: 978-3-515-10809-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schattkowsky_Aust_Osteuropaeische_Geschichte.html (Datum des Seitenbesuchs)

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