Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 2, S. 292-293

Verfasst von: Kurt Scharr

 

Arnold Suppan / Maximilian Graf (eds.): From the Austrian Empire to Communist East Central Europe. Wien, Berlin: Lit, 2010. 195 S., Abb. = Europa Orientalis, 10. ISBN: 978-3-643-50235-3.

Seit den 1970er Jahren unterhält das österreichische Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung fünf Institutionen für Österreich-Studien in vier verschiedenen Ländern (Alberta/Kanada; New Orleans und Minnesota/USA; Budapest/Ungarn sowie in Jerusalem/Israel). Auffallend ist – und das muss wohl als Erbe des Kalten Krieges gewertet werden – der klar nach Westen orientierte Schwerpunkt; lediglich das Budapester Zentrum für Central European Studies (das seit 2009 existiert) bildet eine Ausnahme.

Die geopolitische Verteilung dieser Institute ist z.T. innerösterreichischen Wissenschafts- und Interessensstrukturen geschuldet. So existier(t)en parallel zu den Austrian Centers seit den 1990er Jahren auch in Ost- und Südosteuropa österreichische Kulturinstitute mit einem – neben anderen Aufgaben – expliziten Wissenschaftsschwerpunkt (etwa im ukrainischen Lemberg/L’viv oder im bosnisch-herzegowinischen Sarajevo). Deren Dachorganisation, das Wiener Ost- und Südosteuropa Institut (das nicht Teil der Universität war), wurde allerdings völlig überraschend mit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens per 1. Jänner 2007 aufgelöst, und die Zuständigkeiten bei der Betreuung dieser Außenstellen wurden zwischen verschiedenen Wiener Ministerien aufgeteilt. Im Hinblick auf die Forschung ist seither das Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien bemüht, in konzentrierter Weise diesem europäischen Raum, u.a. auch in Zusammenarbeit mit den Austrian Centers, mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu verschaffen.

Der hier in der Reihe Europa Orientalis herausgegebene Sammelband ist sohin Ausdruck dessen. Darin sind einerseits die Berichte der beteiligten Institute und Austrian Centers für das akademische Jahr 2009/2010 (S. 1145), andererseits auch Arbeiten von ebendort tätigen Doktoranden (S. 49195) publiziert. So begrüßenswert das Unterfangen auch scheint, so schwierig bleibt der Ansatz, die dargebotenen heterogenen Aspekte alle unter einem gemeinsamen Dach zu bündeln. Der Titel des Sammelbandes bietet dafür als kleinster gemeinsamer Nenner lediglich einen chronologischen Rahmen, innerhalb dessen sich die wissenschaftlichen Beiträge einordnen lassen. Die behandelte Themenvielfalt (ein detailliertes Inhaltsverzeichnis findet sich auf der Webseite der Österreichischen Nationalbibliothek unter http://data.onb.ac.at/iv/AC08310679) reicht von der kroatisch-slawonischen Militärgrenze des 16. und 17. Jahrhunderts (Hrvoje Šugar, Wien) über jüdische religiöse Bildung im Wien der Zwischenkriegszeit (Sara O. M. Yanovsky, Jerusalem) und Fragen der österreichischen Nachkriegsidentitäten (Michael S. Maier, New Orleans) bis hin zur Analyse post-kommunistischer „Heldensuche“ in der Tschechischen Republik (Josef Švéda, Alberta).

Naturgemäß sind die Beiträge von wechselnder Qualität. Ihnen ist aber aus methodologischer Sicht gemeinsam, dass es sich bei den Autoren um Doktoranden handelt, die – selbst aus unterschiedlichen Ländern kommend – sich 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs neuer Themen mit differenzierten methodischen Herangehensweisen annehmen oder aber zumindest für alte Fragestellungen neue Lichter aufstecken. Sie liegen damit selbst bei stärker gegenwartsbezogenen Themen weitab von ideologisierten oder emotionsbasierten Zugängen. J. Švéda gelingt es etwa in seinem Beitrag klar, die Folgen der Samtenen Revolution von 1989 für die Neubestimmung tschechischer Identität mittels ebenso ‚neuer‘ Idole – die nunmehr aus dem Dunkel der (bislang wenn schon nicht verbotenen, so doch wenig opportunen) Geschichte hervorgeholt werden – herauszustreichen. Zwar stürmte ‚das Volk‘ die zentralen Denkmäler, deren (argumentativen wie realen) Fundamente blieben jedoch zumeist dieselben. So tritt beispielsweise an die Stelle der marxistischen Utopie (in der Person Julius Fučiks) das bewusst gesetzte und durchaus zweideutig verbrämte Gegenbild einer umgekehrt orientierten Heilsvorstellung des antikommunistischen Widerstandes der Nachkriegszeit, personifiziert durch die Mašín-Brüder.

Ein methodisch und konzeptionell völlig anders aufgebautes Beispiel für diese innovativen Zugänge liefert der Aufsatz von M. S. Maier über die Transformation von Männlichkeit der heimkehrenden Kriegsgeneration nach 1945 in Österreich. Die konservative Gesellschaftsordnung mit der Familie als Kern wird dabei in einem erheblichen Maße als Teil einer (in diesem Sinne zumindest bis 1968 kaum hinterfragten) Kriegsfolgengesellschaft diskutiert.

Der sich in diesen Arbeiten zeigende Erkenntnisgewinn liegt dabei weniger im ein wenig irreführenden Titel des Sammelbandes bzw. der darin suggerierten Chronologie von Ereignissen einer dazwischen liegenden Zeitspanne, denn in der gebotenen Bandbreite durchaus innovativer Forschungsansätze von Nachwuchwissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern – die weit weniger auf ideologischer Differenz als auf Verständnis und Offenheit gegenüber Neuem beruhen. Es ist allerdings als bedauerlich anzumerken, dass seitens der Herausgeber die Möglichkeit vergeben wurde, in einem einleitenden Aufsatz (bei eventuell deutlich kürzeren Institutsberichten) ebendiese Vielfalt auf einer Metaebene zu diskutieren. Im Nachdenken über die mannigfachen Veränderungen auch und gerade in der Wissenschaft seit 1989/1991 hätte das dem vorliegenden Band und den beteiligten Austrian Centers (aber auch den dort Studierenden) – abseits der einzelnen Spezialthematiken wichtigen Erkenntnisgewinn garantiert. Zudem fehlen dem Band einheitliche biographische Angaben zu den Autoren und ihren eigentlichen Dissertationsthemen (die sich nur zum Teil in den Fußnoten erschließen lassen), aus denen die vorliegenden Beiträge entwickelt wurden.

Kurt Scharr, Innsbruck

Zitierweise: Kurt Scharr über: Arnold Suppan / Maximilian Graf (eds.): From the Austrian Empire to Communist East Central Europe. Wien, Berlin: Lit, 2010. 195 S., Abb. = Europa Orientalis, 10. ISBN: 978-3-643-50235-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Scharr_Suppan_From_Austrian_Empire.html (Datum des Seitenbesuchs)

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