Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 3, S.  430-433

Pamjatnye knižki gubernij i oblastej Rossijskoj imperii. Ukazatel’ soderžanija [Jahrbücher der Gouvernements und Gebiete des Russischen Reichs. Inhaltsverzeichnis]. Tom 1: Evropejskij se­ver (Archangel’skaja, Vologodskaja i Olo­nec­ka­ja gubernii) [Band 1: Der Europäische Norden (Die Gouvernements Archangel’sk, Vologda und Olonec)]. Nauč. red. V. V. Antonov, N. M. Balačkaja. Izdat. Dmitrij Bulanin S.-Peterburg 2002. 820 S., 3 Ktn. ISBN: 5-86007-310-0.

Pamjatnye knižki gubernij i oblastej Rossijskoj imperii. Ukazatel’ soderžanija [Jahrbücher der Gou­vernements und Gebiete des Russischen Reichs. Inhaltsverzeichnis]. Tom 2: Severo-zapad (Novgorodskaja, Pskovskaja, Sankt-Peterburg­skaja gubernii) [Band 2: Der Nordwesten (Die Gouvernements Novgorod, Pskov und St. Pe­tersburg)]. Nauč. red. V. V. Antonov, N. M. Ba­lačkaja. Izdat. Dmitrij Bulanin S.-Peterburg 2003. 1045 S. ISBN: 5-86007-335-6.

Pamjatnye knižki, zu deutsch: Jahrbücher, kleine Handbücher, Gedenkbücher, Notizbücher, Merk­bücher – der Begriff ist auch im Russischen vieldeutig. Hier bezieht er sich auf die zwischen den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts und 1917 in der Regel jährlich erscheinenden Jahresbände der Gouvernements und Verwaltungsgebiete, in denen diese Gebiete sich vorstellten. Die Titel dieser Ausgaben konnten auch anders lauten: Adres-kalendar’ (Adressbuch), oder Spravočnaja kniga (Nachschlage- oder Auskunftsbuch) für dieses oder jenes Gouvernement.

Diese Publikationen werden in einem groß angelegten Projekt der Russländischen Nationalbibliothek ermittelt und ihre Inhalte erschlossen. In den vorliegenden ersten beiden von geplanten 15 Bänden finden sich die Inhaltsverzeichnisse der für den russischen Norden und den Nordwesten erschienenen Jahrbücher. Ihre Publikation hatte eine lange Vorlaufphase. Bereits in den neunziger Jahren erschien ein vorläufiges Verzeichnis (N. M. Balačkaja, A. I. Raz­dorskij Pamjatnye knižki gubernij i oblastej Ros­sijskoj imperii: Predvaritel’nyj spisok. S.-Pe­terburg 1994), in Aufsätzen und auch im Internet wurde das Vorhaben vorgestellt (http://www.nlr.ru).

Band 1 ist eine Einführung zu dem Publikationsvorhaben beigegeben: „Die Jahrbücher der Gouvernements und Gebiete im System der Buchkultur des vorrevolutionären Russland“ von einem der daran beteiligten Verfasser, D. E. Levin (S. 17–50). Er berichtet über die Vorgeschichte, das Erscheinen erster Jahrbücher in den dreißiger bis fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Offiziellen Status bekamen diese durch die Verordnung des Ministerkomitees vom 4. Oktober 1855 und die Verordnung über die Gouvernements- und Gebietskomitees für Statistik vom 26. Dezember 1860, also in unmittelbarem Zusammenhang mit den Reformen Aleksandrs II. Das Privileg, Adresskalender, die Verzeichnisse der kaiserlichen Beamten und Be­hörden herauszugeben, lag bis zu Nikolaj I. bei der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften. Dieses Monopol begann seit den dreißiger Jahren zu bröckeln. Mit den genannten Ver­ordnungen wurde es den Gouvernement-Statistikkomitees unter anderem zur Aufgabe gemacht, in Jahrbüchern die Listen der Beamten im Gouvernement („Spisok činam […] gubernii na […] god“) zu veröffentlichen. Ausgehend von ähnlich angelegten früheren Veröffentlichun­gen vornehmlich in den westlichen Gouver­nements Russlands kamen als weitere Abschnitte dazu: eine Abteilung Auskünfte (spravočnyj razdel) für amtliche Mitteilungen (spravočnye svedenija), eine weitere mit statistischen Informationen (einschließlich Tabellen) und schließlich Aufsätze zur Geschichte, Statistik, Ethnographie, Folklore, Geographie und anderen Wissenschaftsgebieten, bezogen auf das jeweilige Gouvernement. Bei diesem Zuschnitt und bei der Zuständigkeit der Gouvernement-Statistikkomitees blieb es bis zum Ende des Kaiserreichs.

Die Listen der Beamten folgten einem einheitlichen Schema; sie wurden nach der Behördenzugehörigkeit geführt. Alle weiteren Themenfelder ließen sich sehr unterschiedlich gestalten – je nach den Besonderheiten der Regionen: ihrer Lage und ihren naturräumlichen Gegebenheiten, ihrer Besiedlung und Bevölkerung, ihrer Wirtschaft, ihren kulturellen und religiösen Eigenarten sowie ihrer Geschichte. Diese Differenzierungen erlaubten es, auf die örtliche Situation, auf die regionalen Bedürfnisse und Erwartungen einzugehen. Die unterschiedliche Situation in den Gouvernements prägte auch das Aussehen, die Schwerpunkte und das Niveau der Jahrbücher.

Levin weist in seiner Einführung darauf hin, dass dieses Niveau wesentlich davon abhing, welches intellektuelle Potential in einem Gouvernement zu Verfügung stand. In Regionen mit entwickelter Ausstattung, mit wissenschaftlichen oder Bildungseinrichtungen oder qualifizierten Verwaltungsinstitutionen waren die Beiträge anspruchsvoller, wenn nicht, wie in St. Petersburg oder in Moskau und andernorts, weitere Publikationsmöglichkeiten, also speziellere oder publikumswirksamere Periodika zur Verfügung standen. Generell ist wohl festzustellen, dass es mangels kompetenter Anbieter, aber sicher auch wegen Restriktionen oder der Ablehnung von Autoren nicht zu einer regelmäßigen und umfassenden Behandlung der möglichen Themenfelder kam. Aus gewiss unterschiedlichen Gründen finden sich auch nicht in jedem Jahrbuch Veröffentlichungen zu allen vier Komponenten. Und es erschienen Jahrbücher überhaupt nicht oder unvollständig, manchmal nur in Teilen, aber auch einzelne Teile als separate Drucke.

Erinnert man sich vor diesem Hintergrund der großen Zahl der Gouvernements und Gebiete Russlands, dann wird einem rasch klar, wie ehrgeizig das Publikationsvorhaben ist. Alle erschienenen Jahrbücher werden durch ihre Inhaltsverzeichnisse erschlossen. Um das tun zu können, muss zunächst ermittelt werden, wann tatsächlich in jeder Region, unter welchem Namen, mit welchen Teilen die Handbücher erschienen sind. Da sie in erster Linie Publikationen für das jeweilige Gouvernement waren, war die Auflage gering. Außerhalb wurden die Jahrbücher eines Gebiets nicht konsequent wahrgenommen, unregelmäßig gesammelt und bibliographisch erfasst und noch seltener rezensiert. In einzelnen Fällen weiß man von der Existenz eines bis heute nicht aufgefundenen Jahrbuchs nur dadurch etwas, dass seinerzeit Forscher die darin abgedruckten Statistiken benutzt haben. Bisher konnten 2267 derartige Veröffentlichungen von 89 Gouvernements und Gebieten des Kaiserreichs ermittelt werden.

Levin beschäftigt sich in seiner Einführung mit allen Aspekten, die mit der Publikation der Jahrbücher verbunden sind. Sein besonderes Augenmerk gilt den ersten Veröffentlichungen. Weiter fragt er nach den Initiatoren, der Herkunft der publizierten Unterlagen und Beiträge, nach den Kosten, den Schwierigkeiten des Vertriebs. Er ordnet die Entwicklung in die allgemeine Entwicklung des Buchwesens und der Landeskunde Russlands ein. Abschließend legt er einen Katalog von Fragen vor, die bei der Beschäftigung mit diesen Publikationen und bei ihrer Nutzung zu beachten sind und einer weiteren Klärung bedürfen. Darunter nimmt verständlicherweise die Frage nach der Qualität und Verlässlichkeit der Informationen über die einzelnen Gouvernements einen herausragenden Platz ein. Da die Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung und die Auswahl der Themen und der Autoren ausschließlich bei regionalen Autoritäten lag, lassen sich Aussagen jeweils nur bezogen auf das einzelne Gebiet und für bestimmte Zeitabschnitte treffen.

Bei der Erschließung des umfangreichen Bestandes halten sich die Herausgeber an die Verwaltungsgliederung des kaiserlichen Russland. Sie fassen in jedem Band Gouvernements entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu den eingeführten politisch-geographischen Großräumen „Euro­päischer Norden“ bzw. „Nordwesten“ (Russlands) zusammen. Die Beschreibung und Erschließung der vorliegenden oder nachgewiesenen Publikationen eines Territoriums erfolgt jeweils nach einem Muster. Vorangestellt wird eine historische Information (istoričeskaja spravka): Ein knapper Überblick über die Einrichtung und die territorial-administrative Entwicklung des Gouvernements bis 1917 wird ergänzt durch den Abdruck einer farbigen Karte des Territoriums, die aus dem Atlas „Rossija. Geografičeskoe opi­sanie Rossijskoj imperii po gubernijam i oblastjam s geografičeskimi kartami“ (S.-Peterburg 1913) entnommen ist. Als weitere Information folgt eine recht detaillierte Darstellung über die Herausgabe und Erscheinungsweise der Jahrbücher sowie die Veränderungen und Neuerungen, welche die Herausgeber, das Gebietsstatistikkomitee bzw. der Gouverneur, vornahmen.

Dann erst schließt sich das Inhaltsverzeichnis (rospis’ soderžanija) aller Jahresbände und ggf. Teilveröffentlichungen an. Vorangestellt wird jeweils eine bis ins kleinste Detail gehende bibliographische Beschreibung jedes Jahresbandes mit zahlreichen charakterisierenden Einzelheiten. Alle Veränderungen, alle Abweichungen, die in der Zeit des Erscheinens eintraten, werden registriert. Genannt werden die Redaktoren, und auch die Zensurgenehmigungen und eventuelle Pressehinweise auf die Veröffentlichung sowie Rezensionen werden vermerkt. Außerdem werden die Bibliotheken in Russland und in den westlichen Nachbarländern genannt, in denen sich die einzelnen Jahresbände befinden.

Erst nachdem dieser Rahmen klar abgesteckt ist, folgt Band für Band das eigentliche Inhaltsverzeichnis. Für das Gouvernement Archangel’sk werden zwischen dem ersten Band für 1850 und dem letzten für 1916 41 Jahrgänge erfasst, für Vologda zwischen 1853 und 1916 29, für Olonec zwischen 1856 und 1916 24, für Novgorod zwischen 1858 und 1916 56 und für Pskov zwischen 1850 und 1913 44 Folgen. Für St. Petersburg sind zwischen 1861 und 1914/15 nur 18 Jahrbücher verzeichnet. Levin führt das, wie schon erwähnt, auf das große Angebot konkurrierender Publikationsmöglichkeiten in der Hauptstadt zurück. Das mag auch für Pskov gelten, während es in Vologda und besonders in Olonec nicht das notwendige intellektuelle Potential gab, um einschlägige Beiträge zu liefern.

Innerhalb der Abteilungen der Jahresbände werden alle Beiträge mit genauen Angaben zu Überschriften, Verfassern und Seitenzahlen, alle Illustrationen (Karten, Pläne, Ansichten) minutiös genannt. Die Auflistung der Inhalte benötigt für das Gouvernement Archangel’sk 118 Seiten, für Vologda 97, Olonec 73, Novgorod 227, Pskov 139 und St. Petersburg 54 Seiten. Dabei haben die regelmäßig abgedruckten Übersichten über die Gliederung der Behörden und deren Mitarbeiter einen bedeutenden Anteil.

Die Seitenzahlen sagen einiges aus über die Fülle der Nachrichten, welche die Jahresbände enthalten. Ein Zugang zu deren Vielfalt, ja Wirrwarr ließe sich ohne die jeweils alle Jahresbände eines Gouvernements erschließenden Register in den beiden Bänden schwerlich finden. Für den Benutzer sind gerade diese systematischen Auswertungen von größtem Wert. Denn sie erlauben erst den vollen Zugriff auf alle in den Jahrbüchern gespeicherten Informationen. Den Anfang macht ein Namensregister, das die mitwirkenden Autoren, z.T. mit Lebensdaten und Angaben zu ihrem Beruf oder ihrer Funktion, aber auch die Namen der Personen nennt, die Gegenstand von Beiträgen sind. Es folgt ein Verzeichnis der Titel von Aufsätzen und Publikationen historischer Dokumente (9 S.), ein Abbildungsverzeichnis (1/2 S.) und ein minutiöses, 136 Seiten langes Sachregister. Dieser Index wird ergänzt durch ein spezielles Register, einen „Geographischen Schlüssel zum Sachregister“ (Archangel’sk: 40 S.), der alle Orte und alle örtlichen Einrichtungen des Gouvernements aufzählt und angibt, unter welchen Stichworten im Sachregister nähere Angaben über diese zu finden sind.

Seit dem Erscheinen des zweiten Bandes sind keine weiteren Bände mehr herausgekommen. Der Fortgang des Publikationsvorhabens lässt sich am zuverlässigsten über die oben genannte Home­page der Russländischen Nationalbibliothek verfolgen. Es ist sehr zu wünschen, dass dieses große Vorhaben in absehbarer Zeit abgeschlossen werden kann. Zusammen mit anderen regionalen Periodika wie den Gouvernementsnach­richten (Gubernskie vedomosti) und den zentralen Publikationen der vorrevolutionären Zeit sind es erstklassige Wegweiser für den, der die historische Realität und die Eigenarten der Gebiete und Bezirke Russlands untersuchen und beschreiben will. So ist es ein ganz wichtiges bibliographisches Hilfsmittel für den landeshistorisch Interessierten. Nach den Zerstörungen, welche die Sowjetzeit den Regionen zugefügt hat, ist es an der Zeit, die damit verbundene Vernachlässigung oder Missachtung der regionalen Entwicklungen zu überwinden. Für den Norden und den Nordwesten Russlands kann mit dieser Arbeit jetzt fundiert begonnen werden.

Bernhard Schalhorn, Lüneburg

Zitierweise: Bernhard Schalhorn über: Pamjatnye knižki gubernij i oblastej Rossijskoj imperii. Ukazatel’ soderžanija [Jahrbücher der Gouvernements und Gebiete des Russischen Reichs. Inhaltsverzeichnis]. Tom 1: Evropejskij sever (Archangel’skaja, Vologodskaja i Oloneckaja gubernii) [Band 1: Der Europäische Norden (Die Gouvernements Archangel’sk, Vologda und Olonec)]. Nauč. red. V. V. Antonov, N. M. Balačkaja. Izdat. Dmitrij Bulanin S.-Peterburg 2002. ISBN: 5-86007-310-0; Pamjatnye knižki gubernij i oblastej Rossijskoj imperii. Ukazatel’ soderžanija [Jahrbücher der Gouvernements und Gebiete des Russischen Reichs. Inhaltsverzeichnis]. Tom 2: Severo-zapad (Novgorodskaja, Pskovskaja, Sankt-Peterburgskaja gubernii) [Band 2: Der Nordwesten (Die Gouvernements Novgorod, Pskov und St. Petersburg)]. Nauč. red. V. V. Antonov, N. M. Balačkaja. Izdat. Dmitrij Bulanin S.-Peterburg 2003. ISBN: 5-86007-335-6, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 3, S. 430-433: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schalhorn_Pamjatnye_knizki_1_2.html (Datum des Seitenbesuchs)