Gosudarstvennost’ Rossii. Gosudarstvennye i cerkovnye učreždenija, soslovnye organy i organy mestnogo samoupravlenija, edinicy administrativno-territorial’nogo, cerkovnogo i vedomstvennogo delenija (konec XV veka – fevral’ 1917 goda). Slovar’-spravočnik. [Die Staatsorganisation Russlands. Staatliche und kirchliche Einrichtungen, ständische Organe und Organe der lokalen Selbstverwaltung, Einheiten der territorial-administrativen, kirchlichen und behördlichen Gliederung (Ende des 15. Jahrhunderts bis Februar 1917). Nachschlage­werk]. Kniga 2: D–K. Izdat. Nauka Moskva 1999. 438 S.; Kniga 3: L–P. Izdat. Nauka Mosk­va 2001. 441 S.; Kniga 4: R–Ja. Izdat. Na­uka Moskva 2001. 471 S.; Kniga 5: Dolžnosti, či­ny, zvanija, tituly i cerkovnye sany Rossii. Ko­nec XV veka – fevral’ 1917 goda [Funktionen, Ränge, Amtsbezeichnungen, Ehrentitel und kirchliche Würden Russlands. Ende des 15. Jahrhunderts – Februar 1917]. Čast’ pervaja: A–L. Izdat. Nauka Moskva 2005. 502 S.; Čast’ vto­raja: M–Ja. Izdat. Nauka Moskva 2005. 508 S.

Henrik Halbleib hat bei der Rezension des ersten Buches dieses Repertoriums aller staatlichen Einrichtungen und Ämter des Russischen Reiches in den „Jahrbüchern“ (46 [1998] S. 292–293) das Ziel und die Inhalte des großangelegten Publikationsvorhabens gewürdigt. An die 70 wissenschaftliche Mitarbeiter wurden als Mitwirkende des Vorhabens genannt. Im letzten Buch werden die Namen von etwa vierzig Personen aufgeführt, die sich mit Beiträgen beteiligten. Die Gesamtverantwortung für das Unternehmen lag beim Allrussländischen Wissenschaftlichen und Forschungsinstitut (VNIIDAD) unter dem Dach des Föderalen Archivdienstes bzw. der Föderalen Archivagentur. Auch auf das Zusammenwirken der Archiveinrichtungen mit dem seinerzeitigen Gouverneur des Gebiets Tjumen’, Leonid Ju. Rokeckij, der als Sponsor das Erscheinen der Bücher 1–4 ermöglichte, ist Halbleib eingegangen. Er erkannte darin zutreffend das völlig neu sich zeigende Interesse der nachsowjetischen zentralen und regionalen Autoritäten an den staatlichen Einrichtungen Russlands in den Jahrhunderten vor der Oktoberrevolution. Rokeckij, der in den neunziger Jahren Angehörige aus allen Bereichen seiner Administration ins Ausland, vor allem nach Niedersachsen entsandte, damit sie sich dort über die Strukturen und das Funktionieren westlicher Verwaltung informierten, betrachtete als ebenso unerlässlich wie diese Begegnung auch das Wissen über die eigenen, die „vaterländischen“ Einrichtungen und deren Funktionieren in der Phase der Neuformierung der Staatsorganisation nach der Verfassung von 1993. Er und auch seine Amtskollegen in den anderen Subjekten der Russländischen Föderation waren daran interessiert, dass die Autorität der alten Einrichtungen bei der Reform des sowjetischen Apparats und im Hinblick auf dessen Leistungsbereitschaft stimulierend wirkte.

Dieser Zielsetzung entsprechend ist der Rahmen des Werkes so ausgeweitet, dass er alles einschließt, was unter die für die Staatsordnung maßgeblichen Oberbegriffe „Behörden“/„Organi­sationen“ einschließlich der dazugehörigen Struk­turen fällt und mit den Begriffen „Diens­te“/„Äm­ter“/„Ränge“ erfasst werden kann. Er schließt den gesamten Zeitraum vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zur Oktoberrevolution und damit jeweils langfristige Entwicklungsverläufe ein – mit Jahrhunderte hindurch arbeitenden, sich verändernden, reformierten sowie mit immer wieder völlig neuen Behörden und Funktions­trägern. Nur wenigen Einrichtungen war eine Lebensdauer über diese Zeitspanne hinaus beschieden, etwa der Verwaltungseinheit Gouvernement (gubernija).

Einbezogen werden alle Bereiche, die sich seit dem Aufstieg Moskaus im Zugriff der zarischen oder kaiserlichen autokratischen Gewalt befanden. In den Büchern 1–4 sind alle höchsten und zentralen Behörden und die ihnen zugeordneten oder nachgeordneten Abteilungen, Komitees, Räte, Expeditionen usw. mit militärischen und zivilen Aufgaben erfasst, darunter auch die Kirche (=Orthodoxie), beratende und gesetzgebende Instanzen, ordentliche und außer­or­dent­liche Kommissionen sowie staatliche Einrichtungen in den Bereichen Justiz, Finanzen, Technik und Wirtschaft, Schule und Bildung und darüber hinaus alles, was mit der Regional- und Lokalverwaltung verbunden war, also die territorialen Einteilungen der Administration, deren Einrichtungen auf den verschiedenen Ebenen und deren Veränderungen sowie auch die lokalen gesellschaftlichen Gruppen und deren gesetzlich regu­lierte Organisationen, die von Staats wegen zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben verpflichtet waren. Unerwähnt bleiben dagegen alle nicht unmittelbar staatlichem Zugriff unterworfenen Bereiche, also die innerbetriebliche Organisation der Güter des Adels.

Buch 5 umfasst zwei Teile und ergänzt den Überblick um ein Verzeichnis aller Funktionsstellen, Ränge, Amtsbezeichnungen, Ehrentitel und kirchlichen Würden in Russland im gleichen Zeitraum. Hier finden sich etwa 1250 Stichworte, verbunden durch eine große Zahl von Verweisungen bei Varianten der Bezeichnungen. Diese Zusammenstellung komplettiert nicht nur das Bild der Einrichtungen und Gliederungen. Es liefert eigentlich erst den Schlüssel, mit dessen Hilfe sich das zunächst sachlich-trockene Inventarium der Bestandteile des Verwaltungsapparats, der in den vorangehenden Büchern alphabetisch aufgelistet worden ist, in seinem Zusammenhang erkennen lässt. Liest man die Ausführungen zu der immensen Anzahl der hier zusammengetragenen Angaben zu den Planstellen in der Administration aller Bereiche und auf allen Ebenen einschließlich der Selbstverwaltungseinrichtungen und folgt man den Hinweisen auf die Organisationen, in denen sie amteten, so hat man die Möglichkeit, ganz wie es im Vorwort zum 5. Buch formuliert ist, „sich ein Modell des russischen Staatsapparats im Ganzen zu machen“.

Beispielhaft sei das Stichwort „zemskij ispravnik“ (Buch 5,1) herausgegriffen. Der (in zeitgenössischer Übersetzung) „Kreishauptmann“ oder „Ordnungsrichter“ war seit der Gouvernementreform Katharinas II. als Landrat der wichtigste Träger der Verwaltungs- und Polizeiaufgaben im uezd, dem Kreis. Zu lesen ist dort über dessen Kompetenzen und deren Veränderungen zwischen 1775 und 1917, über seine Bestellung durch Adelswahl bzw. durch Ernennung, wo es keine Adelsgesellschaft gab, über seine Dienststelle und die dieser zugeordneten oder unterstellten Organe. Mitgeteilt wird dort seine Klasse im Rahmen der „Rangtabelle“ (IX. Klasse). Vom Kreishauptmann kommt man zu seiner Dienststelle, dem (Niederen) Landgericht ([nižnij] zemskij sud; Buch 2), dessen Aufgaben, Organisation, Zusammensetzung und Entwicklung bis zur Schließung 1863 in Verbindung mit der Polizeireform vorgestellt werden. Von dort gelangt man weiter zu seinen Kollegen im Landgericht, den Beisitzern (zasedateli; Buch 5,1), zur Präzisierung und Fixierung von deren Aufgaben, die schließlich zu einer Verselbständigung und einer Anhebung ihres Ranges von der X. in die IX. Klasse führten, bis sie schließlich im Zuge der Reformen unter Alexander II. verschwanden. Man kommt weiter zu den Adelsversammlungen (dvorjanskoe sobranie; Buch 2), zur Administration der Apanagen- und Staatsbauern mit den Ebenen der „Gebiete“ (volosti; Buch 1 bzw. 5,1) und der „Kirchdörfer“ (sela; Buch 4 bzw. 5,2) mit ihren Selbstverwaltungseinrichtungen und Funktionsträgern: von den Ältesten (starosty) bis zu den Zehner- und Hunderterleuten (desjatskie, sotskie). Die übergeordneten Organe auf Gouvernementebene, ebenso die Schwesterbehörden auf Kreisebene wie das Kreisgericht, der Kameralhof / das Finanzamt (kazennaja palata) und andere neue Aufgaben und Ämter kommen in den Blick wie der Landvermesser (zemlemer) oder der Arzt (vrač) und schließlich die neuen Strukturen der nichtleibeigenen Bauern seit 1837 mit den Amtsbezirken (stan) und den damit verbundenen neuen Stellen.

Auf diese Weise kann man sich durch das Repertorium bewegen und lernt das kolossale Gebäude der kaiserlichen Administration mit vielen Sälen, Räumen und Kämmerchen kennen. Das vollständige Werk ist also nicht nur ein Hilfsmittel zum raschen Nachschlagen, sondern auch eine Einführung in die russische Behördenorganisation im weitesten Sinne. Zwar wird dem Anspruch dieser Enzyklopädie entsprechend die Staatsorganisation in ihre Bestandteile zerlegt und Element für Element in alphabetischer Reihenfolge abgearbeitet. Tatsächlich aber erschließt sich durch die Art und Weise, wie die Stichworte präsentiert werden, sehr klar auch das Zusammenwirken innerhalb des gewaltigen Apparates. Dessen Dimensionen lassen sich besser erfassen, wenn man bedenkt, dass außerhalb der Hauptstädte Moskau bzw. St. Petersburg (in denen nach den Institutionen der vorpetrinischen und petrinischen Zeit die höchsten Gesetzgebungs-, Justiz- und Kirchenbehörden sowie auch die neue, rasch wachsende Ministerialverwaltung konzentriert war) die nachgeordneten Behörden sich in gleicher oder ähnlicher Organisation über alle Gouvernements und Kreise ausbreiteten, und wenn man schließlich die in dem Werk ebenfalls verzeichneten Sonderverwaltungen für die Grenz- und Kolonialgebiete einschließlich Polens berücksichtigt.

Alle diese Elemente werden in knappen, immer aussagekräftigen Miniaturen, skizziert. Die umfangreichsten Ausführungen, kleine Monographien, gelten stets den zentralen Organen in den beiden Hauptstädten. Aber auch die Artikel über staatliche Hochschul- und Schuleinrichtungen, über technische Institute und ähnliches sind sehr ausführlich. Der Synod und die kirchliche, aber auch die militärische Hierarchie mit den zugehörigen Funktionsträgern werden sehr differenziert vorgestellt. Der Blick auf die Benennungen der vielen neuen Funktionsträger und Dienstgrade im Heer, in der Kriegsmarine, im Bergbau, in der Medizin und in der Wissenschaft sowie auch am Hofe lässt erkennen, wie intensiv seit dem 17. Jahrhundert der Einfluss des Westens und vor allem aus dem deutschen Raum bis ins 19. Jahrhundert beim Ausbau der kaiserlichen Administration war. Die jeweilige Beschreibung schließt immer auch die Einordnung der neugeschaffenen Stellen in den bestehenden Apparat und oft auch in die Klassen der Rangtabelle, gelegentlich die Vergütung ein. Der Ausgangspunkt und zugleich der Mittelpunkt des Ganzen, der Zar (Buch 5,1) bzw. der Kaiser und auch die Kaiserin (Buch 5,1), ist übrigens nicht ausgespart. Sehr hilfreich ist in diesem Zusammenhang, dass es ein eigenes Stichwort für die Titel der russischen Herrscher, von Großfürst Ivan III. bis zu Nikolaus II., gibt.

Die Materialgrundlage für dieses Werk ist we­gen der Geringschätzung der Sowjetherrschaft für die „reaktionäre“ Administration der Kaiserzeit einfach. Die Verfasser der Artikel, die sich jeweils als Spezialisten für bestimmte Sachgebiete äußern, greifen ganz auf vorrevolutionäre Literatur zurück: Sie haben die „Vollständige Sammlung der Gesetze“ (Polnoe sobranie zakonov), vereinzelt den „Kodex der Gesetze“ (Svod zakonov), immer den „Ėnciklopedičeskij slovar’“ von Brokgauz-Efron benutzt. Die wenigen historischen oder juristischen Veröffentlichungen, die es vor 1917 zu dem Gesamtthema Staatsordnung oder über einzelne Staatsorgane gab, sind konsequent herangezogen worden, ebenso wie die nur seltenen Publikationen aus der Sowjetzeit, die sozialgeschichtliche Sachverhalte mit einer gewissen Nähe zu Fragen der Administration behandelten. Wenn auf die Arbeiten Eroškins, Šepelevs und anderer verwiesen wird, so sind das gewissermaßen Selbstzitate, denn diese haben wohl die meisten Beiträger und Beiträgerinnen zu diesem Werk ausgebildet und/oder geprägt. Insgesamt stützen sich die Verfasser und Verfasserinnen aber auf die eigene, unmittelbare Vertrautheit mit den jeweiligen Themen, die sie bei ihrer Arbeit als Archivare oder Dokumentare gewonnen haben. Dass westliche Literatur nicht herangezogen wurde (nur die Tochter Eroškins verweist auf den „Amburger“), ist bedauerlich, schränkt aber die Qualität der Vielzahl der gebotenen Informationen nicht ein.

Dieses Nachschlagewerk ist geprägt durch die von den Autoren benutzten Quellen, darunter dominant die Beiträge der vorrevolutionären staats- und verwaltungsrechtlichen Autoren, die auch im hier meist zugrunde gelegten Brokgauz-Efron den Ton angaben. Daher klingen die Informationen für den mit dieser Thematik nicht vertrauten Historiker ausgesprochen spröde. Aber wer Auskunft sucht über Behörden und Ämter oder auch Erklärungen für viele merkwürdig klingende Funktionsbezeichnungen von Behördenpersonal, erhält in jedem Fall eine verlässliche Antwort. Und er wird angeregt, weiter zu recherchieren in dem Labyrinth der staatlichen Organisation zur Beherrschung und Entwicklung des Reiches.

Bernhard Schalhorn, Lüneburg

Zitierweise: Bernhard Schalhorn über: Gosudarstvennost’ Rossii. Gosudarstvennye i cerkovnye učreždenija, soslovnye organy i organy mestnogo samoupravlenija, edinicy administrativno-territorial’nogo, cerkovnogo i vedomstvennogo delenija (konec XV veka – fevral’ 1917 goda). Slovar’-spravočnik. [Die Staatsorganisation Russlands. Staatliche und kirchliche Einrichtungen, ständische Organe und Organe der lokalen Selbstverwaltung, Einheiten der territorial-administrativen, kirchlichen und behördlichen Gliederung (Ende des 15. Jahrhunderts bis Februar 1917). Nachschlagewerk]. Kniga 2: D–K. Izdat. Nauka Moskva 1999. 438 S., ISBN: 5-02-008699-1 Kniga 3: L–P. Izdat. Nauka Mosk­va 2001. 441 S., ISBN: 5-02-008745-9 Kniga 4: R–Ja. Izdat. Na­uka Moskva 2001. 471 S., ISBN: 5-02-008746-7 Kniga 5: Dolžnosti, činy, zvanija, tituly i cerkovnye sany Rossii. Ko­nec XV veka – fevral’ 1917 goda [Funktionen, Ränge, Amtsbezeichnungen, Ehrentitel und kirchliche Würden Russlands. Ende des 15. Jahrhunderts – Februar 1917]. Čast’ pervaja: A–L. Izdat. Nauka Moskva 2005. 502 S., ISBN: 5-02-010285-7 Čast’ vtoraja: M–Ja. Izdat. Nauka Moskva 2005. 508 S., ISBN: 5-02-010302-0, in: http://www.oei-dokumente/JGO/Rez/Schalhorn_Gosudarstvennost_Rossii_2-5.html (Datum des Seitenbesuchs), in: http://www.oei-dokumente/JGO/Rez/Schalhorn_Gosudarstvennost_Rossii_2-5.html (Datum des Seitenbesuchs)