Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 1, S. 123-125

Verfasst von: Maike Sach

 

Andrzej Pleszczyński: The Birth of a Stereotype. Polish Rulers and their Country in German Writings c. 1000 A.D. Leiden, Boston, MA: Brill, 2011. XI, 352 S. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 15. ISBN: 978-90-04-18554-8.

Die Geschichte des Piastenreichs und der frühen deutsch-polnischen Beziehungen sind seit vielen Jahren immer wieder unter sehr unterschiedlichen Fragestellungen und methodischen Zugängen Gegenstand der Forschung geworden. Eine Herausforderung stellt dabei die Spärlichkeit zeitgenössischer Schriftquellen dar: Die polnische Überlieferung setzt erst relativ spät ein, zeitgenössische Zeugnisse über die Herrschaft der ersten Fürsten aus der Dynastie der Piasten finden sich überwiegend in der Historiographie des Reiches, dort vor allem in den Werken sächsischer Chronisten.

Die hier anzuzeigende Übersetzung einer erstmals 2008 in Lublin als Habilitationsschrift veröffentlichten Studie ist der Wahrnehmung durch die westlichen Nachbarn gewidmet, den Mustern, die dabei wirksam wurden, und den Bildern, die Chronisten von den ersten polnischen Fürsten und ihrer Herrschaft jeweils entwarfen. Zentrales Anliegen des Verfassers ist es dabei, frühe Ursprünge stereotyper Bilder über Polen aufzuspüren. Als Beginn seines Untersuchungszeitraums hat Pleszczyński die erste Erwähnung Mieszkos I. in der schriftlichen Überlieferung (963) gewählt.  Den Endpunkt der Untersuchung und einleuchtende Zäsur in der Geschichte des polnischen Mittelalters bildet der Zusammenbruch des Reiches unter Mieszko II. (gest. 1034).

Pleszczyński hat seine Arbeit in drei große Teile gegliedert und sich dabei zunächst an der Abfolge der Herrschaften Mieszkos I., Bolesławs I. Chrobry und Mieszkos II. orientiert. In jeweils eigenen Unterkapiteln diskutiert er systematisch für jede dieser Persönlichkeiten ausgewählte historische Ereignisse, spezifische Termini und die Darstellung rituellen, symbolhaften Handelns in den analysierten Quellenals Spiegel der Wahrnehmung der ersten Piastenfürsten und ihres Landes durch die Eliten des Reiches sowie als Ausgangspunkte und thematische Kerne für die Formung stereotyper Bilder.

Der erste Teil der Untersuchung ist dem Eintritt des Piastenstaates in das Blickfeld der Eliten des Reiches und seiner sächsischen Herrscher gewidmet, personifiziert durch  Mieszko I. Die Analyse der ersten, spärlichen Erwähnungen durch zeitgenössische Chronisten zeigt zutreffend, dass bei der Charakterisierung Mieszkos alsKönig des Nordensundrex barbarorumauf Vorstellungen, Zuschreibungen und Klassifikationen antiker griechischer Ethnographen zurückgegriffen wurde. Dies trifft dabei zunächst für den sächsischen Chronisten Widukind von Corvey und auch für den Bericht des jüdischen Kaufmanns Ibrāhīm ibn Yaqūb zu, der aus zweiter Hand Informationen über das Piastenreich präsentierte, die er nur am Hofe Ottos I. erhalten haben konnte. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, diesen arabischen Bericht zumindest teilweise als Widerspiegelung sächsischer Auffassungen zu interpretieren. Pleszczyński arbeitet dabei auch in westeuropäischer Historiographie des Hochmittelalters greifbare Zuschreibungen heraus, die für die erwähnte negative Charakterisierung von Slawen und ihren Fürsten alswildund alsBarbaren des Nordensverwandt wurden. Ein Wandel in der Wahrnehmung und den in den Quellen entworfenen Bildern hat gemäß Pleszczyński erst durch die Christianisierung eingesetzt und zu einer positiven Umwertung des Bildes von Mieszko I. geführt: Einleuchtend verweist der Verfasser hier auf die zeitgenössische Darstellung bei Widukind, der die Beziehungen zwischen Mieszko und Kaiser Otto I. mit dem Begriff amicitia beschreibt. Diese Beziehungen würden beim nachgeborenen und für seine gegenüber piastischen Herrschern eher kritische Haltung bekannten Bischof Thietmar von Merseburg allenfalls als ein Tributverhältnis gedeutet und dargestellt. Schließlich untersucht Pleszczyński die Titel, mit denen Mieszko I., sein Reich und seine Untertanen in den Quellen bezeichnet worden sind: Die Herrschertitel schwanken dabei zwischen rex, dux, comes und marchio, wechselnd ist auch ihr Bezug auf dieLjachen,Wandalenoder auch dieSlawen. Ungeachtet der  mangelnden Eindeutigkeit in der Terminologie kann der Verfasser aber zu Recht festhalten, dass Mieszko I. zum Ende seines Lebens in den zeitgenössischen Quellen als politisch wie auch kulturell-religiös akzeptierter Akteur und Partner des Reiches dargestellt wurde.

Die Beziehungen zum Reich und ihre jeweilige Qualität stehen auch im Fokus des zweiten Abschnitts, der der Herrschaftszeit Bolesławs I. Chrobry gewidmet ist. Der Machtkampf um das Erbe des Vaters warf Schatten auf die Beziehungen des neuen Fürsten zu den Eliten des Reiches, vertrieb er doch u. a. seine aus Sachsen stammende Stiefmutter. Bolesław sei es zwar gelungen, eine enge Beziehung als amicus familiaris zum Markgrafen von Meißen aufzubauen, die allerdings nicht der amicitia-Beziehung zwischen Otto I. und Mieszko I. gleichgekommen sei. Das Treffen Ottos III. mit Bolesław am Grab des Heiligen Adalbert in Gnesen zeige zwar eine neuerliche Annäherung; seine Behandlung in der sächsischen Chronistik, insbesondere bei Thietmar, lese sich aber als Reserviertheit von Seiten der sächsischen Eliten gegenüber den universalen Vorstellungen Ottos III., indem das Ereignis vornehmlich in einen geistlich-religiösen Rahmen eingeordnet würde und etwaige politische Implikationen unerwähnt geblieben seien. Bedeutsam sei allerdings, dass in diesem Kontext  in der Reichshistoriographie die Termini Polenia/Polonia zur Bezeichnung des piastischen Herrschaftsbereichs sowie polani/poleni für die dort lebenden Menschen aufkamen und fortan verwendet wurden. Bezeichnete die Annahme des Christentums durch Mieszko I. eine Verbesserung in Wahrnehmung und Darstellung durch die westlichen Nachbarn, so gelingt es Pleszczyński, differierende Bilder aus den Quellen zu präparieren, die auf die Existenz von Konzepten der Ausgrenzung, aber auch der Inklusion im Rahmen der Bewertung gerade erst christianisierter Fürsten und Völker verweisen: Thietmar habe in seiner negativen, Bolesław Chobry alsschlechtenChristen undbösenHerrscher zeichnenden Darstellung auf Abgrenzung gesetzt. Der sächsische Missionar Brun von Querfurt habe dagegen Bolesław attestiert, idealiter als Förderer des Christentums und Beschützer der Kirche und somit konform mit dem Rollenmodell für einen christlichen Fürsten zu handeln. Zum Schluss dieses Abschnitts analysiert der Verfasser ausführlich den Hoftag von Merseburg (1002), die politischen Interessen Heinrichs II., der sächsischen Eliten und des polnischen Fürsten, um die Verschlechterung der Beziehungen zu erklären, die schließlich in langjährige kriegerische Auseinandersetzungen mündete.

Im letzten Teil seiner Untersuchung befasst sich Pleszczyński mit stark divergierenden Bildern, die rund um die Gestalt Mieszkos II. entfaltet wurden. Eine der zentralen Quellen, die der Autor befragt, bleibt Thietmar von Merseburg. Daneben wertet der Verfasser auch denCodex der Mathildeaus, eine kostbare liturgische Handschrift und Geschenk der zeitweilig im Lager der Gegner Kaiser Konrads II. befindlichen Herzogin Mathilde von Lothringen an Mieszko II. Pleszczyński kann dabei in Widmungsbrief und -miniatur der Handschrift ein sehr positives Bild Mieszkos II. herausarbeiten, das diesen als modellhaften christlichen Herrscher ausweist und ihm (und damit auch seinem Reich) einen prominenten, gleichberechtigten Platz unter den christlichen europäischen Fürsten zuweist. Ausführlich und eingeordnet in den Kontext anderer europäischer Königserhebungen im frühmittelalterlichen Europa diskutiert Pleszczyński abschließend die Krönungen Bolesławs I. und Mieszkos II., die in der Reichshistoriographie schlecht aufgenommen wurden.

Pleszczyński hat eine sorgfältige Analyse zu imagologischen Aspekten der deutsch-polnischen Beziehungen zu Zeiten der ersten Piastenmonarchie vorgelegt und dabei Wahrnehmungs- und Deutungsmuster in negativen wie positiven Bildern über die näher betrachteten polnischen Herrscherfiguren herausgearbeitet. Allerdings suggeriert der Titel seiner Untersuchung, dass in den ausgewerteten Quellen bereits die Ursprünge dauerhafterer negativer Polenstereotype zu finden seien. Entsprechende Wertungen kann der der Verfasser für seinen Untersuchungszeitraum zwar konkret herausarbeiten. Um aber die These derGeburt eines Stereotypsin der untersuchten Reichshistoriographie und die damit implizierte längerfristige Wirksamkeit bzw. Kontinuität negativer Stereotype zu erhärten, müssten Narrative sowie intertextuelle Beziehungen zwischen den untersuchten Quellen und späteren Zeugnissen noch einmal genauer unter die Lupe genommen werden.

Maike Sach, Kiel/Mainz

Zitierweise: Maike Sach über: Andrzej Pleszczyński: The Birth of a Stereotype. Polish Rulers and their Country in German Writings c. 1000 A.D. Leiden, Boston, MA: Brill, 2011. XI, 352 S. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 15. ISBN: 978-90-04-18554-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Sach_Pleszczynski_The_Birth_of_a_Stereotype.html (Datum des Seitenbesuchs)

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