Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 62 (2014),, S. 616-617

Verfasst von: Harald Roth

 

Lisa Mayerhofer: Zwischen Freund und Feind. Deutsche Besatzung in Rumänien 1916–1918. München: Meidenbauer, 2010. 410 S., 2 Ktn., Tab. ISBN: 978-3-89975-715-6.

Während der ersten beiden Jahre des Ersten Weltkriegs blieb das Königreich Rumänien neutral, auch gebunden durch einen Geheimvertrag von König Carol I. mit Österreich-Ungarn. Der baldige Tod des Königs und das Werben sowie die territorialen Versprechungen der Alliierten bewegten das Land schließlich im Sommer 1916 zur Kriegserklärung an die Mittelmächte und zum Einmarsch nach Siebenbürgen als Teil Ungarns. Die überraschten deutschen und k.u.k.-Militärs konnten ihre Kräfte jedoch rasch bündeln und umlenken und die rumänischen Truppen im Frühherbst 1916 in teilweise verlustreichen Schlachten aus dem Süden Siebenbürgens zurückdrängen. Den sich anschließenden Kämpfen an mehreren Fronten folgte eine allmähliche Besetzung von rund zwei Dritteln des rumänischen Staatsgebiets, vor allem der Walachei, durch deutsche Truppen, während sich die amtierende rumänische Regierung in die nicht besetzte Moldau zurückzog. Die hier vorzustellende Münchener Dissertation befasst sich mit dieser in der Geschichtsschreibung bisher nur am Rande behandelten Besatzungszeit zwischen Herbst 1916 und Herbst 1918. Dabei war es der Autorin möglich, umfangreiche deutsche, österreichische und rumänische Archivbestände zu sichten und nicht wenige davon erstmals systematisch auszuwerten; des weiteren hat sie einschlägige Pressequellen und die Memoirenliteratur umfassend berücksichtigt.

Die Erkenntnisse ihrer sehr ordentlich dokumentierten und in gut lesbarer Sprache verfassten Arbeit sind in vielerlei Hinsicht erhellend. So stellt sie anschaulich dar, weswegen sich die Besetzung Rumäniens deutlich von anderen Besatzungen unterscheidet. Das Verhältnis zwischen Okkupanten und Okkupierten war während des ersten Jahres ein weitgehend ausgeglichenes; es bestanden keine ausgeprägten gegenseitigen Animositäten, es gab keine parallelen militärischen und zivilen Verwaltungsstrukturen, da der größte Teil der rumänischen Behörden beibehalten und die Eliten einbezogen wurden; für mancherlei kriegsbedingte Belastungen wurden pragmatische Lösungen gefunden; Requisition und Beschlagnahme waren angesichts der bis dahin guten Versorgungslage des Agrarlandes Rumänien vorerst noch nicht schmerzlich. Daher sieht die Autorin Rumänien im Rahmen der deutschen Okkupationsgeschichte als einen positiv auffallenden Sonderfall.

Erst mit dem Bukarester Frieden im Mai 1918, der ein Ergebnis der festgefahrenen Situation zwischen den Besatzern und dem unbesetzten Teil des Landes war, fing das Verhältnis schlagartig an, sich zu verschlechtern. Keine Seite war damit wirklich zufrieden, die Besatzung wurde vor allem aus wirtschaftlichen Gründen trotz Einführung einer gesamtrumänischen Regierung weiter aufrechterhalten, Rumänien musste Gebiete abtreten und die Versorgungslage wurde zunehmend schlechter, ja bald existenzbedrohend. Passiver Widerstand, Sabotage, Abneigung der Besetzten gegenüber den Besatzern waren die Folge. In dieser Situation fing die Okkupationsherrschaft an, sich allmählich aufzulösen, zumal kriegsbedingt immer mehr Personal abgezogen werden musste. Die Reste der Besatzungstruppen konnten im Herbst 1918 kaum noch ihre eigene Sicherheit aufrechterhalten und verließen im November schließlich mit Schimpf und Schande überstürzt das ausgebeutete und ruinierte Land. Aus einem anfangs in weiten Teilen ausgeglichenen Verhältnis war ein klares Freund-Feind-Bild entstanden.

In ihrer Darstellung kann die Autorin vielfältige Facetten des Okkupationsregimes berücksichtigen: neben dem Verhältnis der Okkupanten zu den einheimischen Eliten und Wirtschaftsaspekten auch die Versorgungsproblematik, Fragen der Nutzung der Einheimischen als Arbeitskräfte, die Abgrenzung zwischen Okkupanten und Okkupierten in Alltag, Bildungswesen und Freizeit, schließlich zwischenmenschliche Beziehungen. Dem Buch sind im Anhang eine sehr nützliche „verwaltungstechnische Gliederung“ der Militärverwaltung, Biogramme ausgewählter Personen und zwei Karten beigegeben. Alles in allem eine sehr gediegene und für die Forschung erkenntnisfördernde Untersuchung, die als Synthese in Aufsatzform hoffentlich bald auch breiter publik gemacht werden kann.

Harald Roth, Potsdam

Zitierweise: Harald Roth über: Lisa Mayerhofer: Zwischen Freund und Feind. Deutsche Besatzung in Rumänien 1916–1918. München: Meidenbauer, 2010. 410 S., 2 Ktn., Tab. ISBN: 978-3-89975-715-6, http://www.oei-dokumente.de/JGO/Rez/Roth_Mayerhofer_Zwischen_Freund_und_Feind.html (Datum des Seitenbesuchs)

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