Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), 4, S. 676-680

Verfasst von: Grzegorz Rossoliński-Liebe

 

Joshua D. Zimmerman: The Polish Underground and the Jews, 1939–1945. New York: Cambridge University Press, 2015. 474 S., 15 Abb., 8 Tab., 3 Ktn. ISBN: 978-1-107-01426-8.

Die Einstellung des polnischen Untergrunds gegenüber den Juden wurde seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in wissenschaftlichen Kreisen debattiert und unterschiedlich dargestellt. Das Thema war mit unterschiedlichen Interpretationen und Bewertungen auch der Gegenstand gesellschaftlicher Debatten und politischer Diskurse. Da die bisherigen Studien nur einzelne Aspekte erforscht haben, konnten sie weder den gesamten Gegenstand beleuchten, noch ein differenziertes Bild zeigen. Diese Lücke wird durch Joshua Zimmermans umfassende und ausgewogene Monographie gefüllt.

In vierzehn Kapiteln beleuchtet der Autor verschiedene Aspekte des komplexen und schwierigen Themas. In der Einleitung ruft er den Nachruf auf Cyla Wiesenthal in Erinnerung, in dem erwähnt wurde, dass sie den Zweiten Weltkrieg mit der Unterstützung des polnischen Untergrundes, und zwar, wie sich später herausstellte, der Heimatarmee (Armia Krajowa, AK), überlebt hatte. Dies stand im Widerspruch zu Zimmermans Vorannahme und zur Erinnerung vieler anderer Juden, die die AK nur als eine judenfeindliche Bewegung verstanden. Diese Beobachtung bewegte ihn dazu, die undifferenzierten Wahrnehmungen der AK in einer Studie zu hinterfragen. (S. 1–3).

Die Analyse der politischen Situation in der Zweiten Polnischen Republik ermöglicht es dem Leser, die politische Zusammensetzung des Untergrundstaates, zu dem die AK gehörte, besser zu verstehen. Nach dem Tod Józef Piłsudskis, der zwar diktatorisch regierte, aber kein Antisemit war, kamen in Polen Politiker an die Macht, die das Lager der Nationalen Einheit (Obóz Zjednoczenia Narodowego, ONR) etablierten. Infolgedessen rückte die politische Zusammensetzung der regierenden Eliten nach rechts, was die Ausbreitung des ohnehin in fast allen Lebensbereichen präsenten Antisemitismus noch verstärkte. Die polnische Regierung, die sich nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Exil formierte, stand jedoch in Opposition zum ONR. Auf ihre politische Ausrichtung wirkten auch Frankreich, Großbritannien und die USA ein, von denen sie unterstützt wurde. Vor allem in der ersten Phase des Krieges betonte sie den Bruch mit der totalitären Tradition in der Zweiten Polnischen Republik, sprach sich für ein demokratisches System in einem zukünftigen polnischen Staat aus und beteuerte, Juden und andere Minderheiten nicht diskriminieren zu wollen (S. 46, 73).

Für die militärischen Angelegenheiten wurde von der Exilregierung Władysław Sikorski berufen, ein erfahrener Offizier und Politiker mit gemäßigten Ansichten. Die AK entstand jedoch von unten. Ihr Vorläufer war der Verband für den bewaffneten Kampf (Związek Walki Zbrojnej, ZWZ). Strukturell bestand der polnische Untergrundstaat aus sieben Abteilungen, die ähnlich wie Ministerien Finanzen, militärische Operationen, Propaganda und weitere Gebiete betreuten (S. 55). Die wichtigste Untergrundzeitung der AK, Biuletyn Informacyjny, erschien alle zwei Wochen in hoher Auflage und druckte unter anderem Mitteilungen an die polnische Gesellschaft ab (S. 55). Eine der ersten Botschaften dieses Mediums an die polnische Gesellschaft war die Drohung, den „Verrat“ (Kollaboration mit den Deutschen) mit dem Tod zu bestrafen (S. 57).

Eine zentrale Rolle spielt in Zimmermans Monographie Stefan Rowecki, das erste Oberhaupt des ZWZ und der AK, der offiziell apolitisch und privat linksorientiert war (S. 65). An seinem Beispiel und dem einiger anderer AK-Mitglieder zeigt Zimmerman, wie die AK den Holocaust wahrnahm. Bis Mai 1941 waren die leitenden Ebenen der AK davon überzeugt, dass nicht Juden, sondern Polen das Hauptziel der deutschen Politik seien oder dass beide Gruppen etwa in gleichem Ausmaß litten (S. 71, 78). Die Berichte der AK an die Regierung in London zeigen jedoch auch, dass die Einstellung der Polen gegenüber den Juden sich von Monat zu Monat verschlechterte, selbst wenn ein Teil der polnischen Gesellschaft den Terror der Nationalsozialisten gegenüber den Juden verurteilte (S. 75–76). Die Überzeugung, dass die Juden die Sowjetunion unterstützten oder sogar beherrschten, war in der AK weit verbreitet. Vor allem in den Territorien der Zweiten Polnischen Republik, die im September 1939 in die Sowjetunion eingegliedert wurden, wurden Juden als Kommunisten und Feinde der polnischen Nation wahrgenommen (S. 76).

Die Errichtung des Warschauer Ghettos im Oktober 1940 verstand die AK als ein „riesiges Verbrechen“. Zu dieser Zeit begann sie die Kollaboration mit Deutschen heftiger anzuprangern (S. 79, 84). Spätestens nach dem Angriff Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion wurde jedoch deutlich, dass Rowecki und andere führende Mitglieder die Verbrechen der Deutschen an den Juden nur dokumentieren oder öffentlich verurteilte, ohne in die Situation einzugreifen (S. 101). Die AK und auch die polnische Regierung im Exil gingen davon aus, dass die Juden eine andere Schicksalsgemeinschaft als die Polen darstellten bzw. nicht zur polnischen Gesellschaft gehörten, weshalb eine militärische Intervention zu ihren Gunsten nicht erforderlich sei (z.B. S. 104–105). Vielen AK-Mitgliedern fehlte es auch an Empathie, die eine adäquate Wahrnehmung und Einschätzung der Situation ermöglicht und entsprechendes Handeln eingeleitet hätte. Stanisław Kot, der vor dem Krieg als Historiker an der Universität Krakau gearbeitet hat und 1941–1942 als Botschafter der Londoner Regierung in der Sowjetunion tätig war, behauptete sogar in einem Bericht vom November 1942, dass die Polen stärker als die Juden litten und dass die Juden ein Fremdkörper bzw. kein Teil der polnischen Gesellschaft seien (S. 111–112).

Zimmerman weist auch darauf hin, dass zur Verschlechterung der polnisch-jüdischen Beziehungen die Überzeugung beitrug, die Rote Armee würde zwar die Juden befreien, aber für die Polen eine neue Besatzung sein (S. 122). Bereits am 25. Januar 1942 erteilte Sikorski den Befehl, in die AK keine Angehörige nationaler Minderheiten aufzunehmen, weil sie „ein weniger wertvolles Element mit einer feindlichen Gesinnung“ seien (S. 122). Anfang 1942 richtete die AK aber auch eine Abteilung für die jüdischen Angelegenheiten ein, der Henryk Woliński vorstand. Ihre Tätigkeit beschränkte sich im Wesentlichen auf die Berichterstattung über den Holocaust oder die Verurteilung von Polen, die sich am Judenmord beteiligten (S. 123–132). Auch zeigten nicht alle Berichte der AK eine wohlwollende Haltung gegenüber den Juden. Einige machten ihnen sogar zum Vorwurf, dasss sie gegen die Vernichtung durch die Deutschen keinen Widerstand leisteten (S. 133–136). Verstärkt wurde diese Wahrnehmung durch das Stereotyp des jüdischen Kommunismus, der in der AK durchaus verbreitet war (S. 139–141).

Als die Massendeportationen aus dem Warschauer Ghetto im März 1942 begannen, reagierte die AK vor allem mit der Erstellung von detaillierten und genauen Berichten, die sie an die Exilregierung schickte (S. 141). In diesem Zusammenhang veröffentlichte der Biuletyn Informacyjny am 29. Oktober 1942 einen vielsagenden Satz, der die Gesinnung der AK und ihre Einstellung zu den Juden auf den Punkt brachte: „Wenn die Besatzer gegen die Polen dieselben Methoden anwenden wie gegen die Juden, dann werden sie auf heftigen Widerstand stoßen“ (S. 161). Zwar forderten die AK und die Exilregierung eine Intervention der Alliierten zugunsten der Juden und sie verurteilten Polen, die die Deutschen beim Massenmord unterstützen, aber sie taten selbst nichts, um diesen Massenmord zu unterbinden (S. 169). Die Londoner Exilregierung schenkte den Berichten der AK lange keinen Glauben bzw. reagierte auf sie mit mehrmonatiger Verzögerung (S. 169).

Ende Oktober 1942 errichtete der Untergrundstaat den Rat für die Unterstützung der Juden (Rada Pomocy Żydom), der auch Żegota genannt wurde. Er bekam jedoch trotz des Massenmordes an den Juden nur einen geringen Anteil des Gesamtbudgets (etwa fünf Prozent), das der AK von der Regierung zur Verfügung gestellt wurde, und konnte deshalb nur wenigen Juden helfen (S. 177, 184), selbst wenn die Mitglieder der Żegota ihren Aufgaben gewissenhaft nachgingen. Einige wie Irena Sendler waren sogar in die Rettung von mehreren Hundert Juden, vor allem Kindern, involviert (S. 304–307). Insgesamt hatte jedoch die Rettung der Juden keine Priorität für die AK und sie blieb im Schatten des Kampfes gegen die Deutschen oder des patriotischen Widerstandes kaum sichtbar.

In zahlreichen Publikationen verurteilte die AK szmalcownicy“ – Personen, die au­ßer­halb der Ghettos nach Juden suchten, ihnen mit Auslieferung an die Deutschen drohten und von ihnen und ihren Helfern Geld erpressten. Eine unbekannte Zahl dieser Menschen wurde von der AK exekutiert. Die AK nannte sie „Verräter“, weil sie das Wort „Kollaboration“ nicht kannte. Die Ermordung der Juden verstand sie als Verrat der polnischen Nation, selbst wenn ein Teil ihrer Mitglieder sich am Holocaust beteiligte (S. 194).

Die Unwilligkeit der Führungsschicht der AK, die Juden mit Waffen zu versorgen, ist ein anderes zentrales Thema in Zimmermans Monographie. Der Autor präsentiert mehrere Dokumente, in denen die AK vor allem vor Beginn und während des Ghetto-Aufstandes die Meinung äußert, den Juden keine Waffen überlassen zu sollen, weil sie nicht kämpfen könnten und ihre Waffen deshalb schnell in die Hände der Deutschen geraten würden (S. 204, 221). Der Ghetto-Aufstand beeindruckte die AK zwar zutiefst und revidierte ihre Meinung über die vermeintliche jüdische Unfähigkeit zu kämpfen, aber er veränderte ihre Einstellung gegenüber den Juden als einer anderen Schicksalsgemeinschaft nur bedingt.

Zimmerman schenkt den Veränderungen in der AK, die nach der Verhaftung von Stefan Rowecki am 30. Juni 1943 in Warschau und Sikorskis Tod am 4. Juli 1943 eintraten, viel Aufmerksamkeit. Die Ersetzung von Sikorski durch das Duo Stanisław Mikołajczyk und Kazimierz Sosnowski und von Rowecki durch Tadeusz Komorowski wertet er als fatal für den weiteren Verlauf der polnisch-jüdischen Beziehungen. Vor allem Komorowski und Sosnowski waren nationalistischer und rechts-orientierter als ihre Vorgänger, was sich entsprechend auf die Einstellung der AK gegenüber den Juden auswirkte (S. 249–250). So wurden Juden in den internen Verordnungen der AK immer öfter als Feinde Polens dargestellt. Ihre Aufnahme in die Bewegung galt als gefährlich und unerwünscht (S. 252). Die Führungsschichten der AK zeigten auch immer weniger Verständnis für Juden, die den Holocaust in Polen zu überleben versuchten, und betrachteten sie als sowjetfreundliche Banditen, die Polen überfallen und ausrauben wollten (S. 254). Diese Einstellung verbreitete sich bis in die unteren Ebenen der Organisation und stieß dort auf fruchtbaren Boden. Trotzdem kämpfte in der AK eine unbekannte Zahl von Juden, die jedoch in der Regel ihre Identität verbergen mussten. Manchmal wurden sie in Bataillone aufgenommen, deren Kommandeure keinen Unterschied zwischen Polen und Juden machten. Diese Aufnahme musste jedoch gegenüber den Vorgesetzten verschwiegen werden und wurde aus Sicherheitsgründen geheim gehalten.

In zwei Kapiteln, von denen eines der Ermordung von Juden und das andere ihrer Rettung gewidmet ist, zeigt Zimmerman, dass die Quantifizierung beider Phänomene schwierig bzw. unmöglich ist. Dabei wird es deutlich, dass die AK durchaus viele Juden ermordete und sich regional sehr unterschiedlich zu ihnen verhielt. So agierten die AK-Partisanen im Gebiet von Nowogródek, das von Polen und Litauern bewohnt war, viel antisemitischer als die AK-Einheiten in Südostpolen, wo Ukrainer und Polen nebeneinander lebten. Eine wichtige Rolle spielte dabei der Antikommunismus, der in Nordostpolen extrem verbreitet war, und auch die Präsenz sowjetischer Partisanen. Eine andere wichtige Rolle spielten die Organisation Ukrainischer Nationalisten und die Ukrainische Aufständische Armee, die nicht nur ethnische Säuberungen gegen Polen in Wolhynien 1943 und Ostgalizien 1944 durchführten, sondern auch Juden außerhalb der Ghettos oder Zwangsarbeitslager jagten und ermordeten.

Nach dem Krieg wurden die AK-Soldaten in Polen staatlichen Repressionen ausgesetzt, weil sie für die Londoner Regierung gegen die Sowjetunion gekämpft hatten. Ihre komplizierte Einstellung zu den Juden und ihr fragwürdiges Verhalten im Holocaust waren für die neuen Machthaber relativ unbedeutend. Da die AK eine Dachorganisation war, die verschiedene, auch kleinere Bewegungen, darunter auch einige mit extrem rechten und faschistischen Überzeugungen wie die Nationalen Streitkräfte (Narodowe Siły Zbrojne, NSZ), einschloss, konnte man in ihren Reihen sowohl überzeugte Faschisten und Antisemiten als auch Demokraten finden, denen die Rettung ihrer jüdischen Mitbürger nicht weniger wichtig war als der patriotische Widerstand.

Zusammenfassend sollte hervorgehoben werden, dass Joshua Zimmerman ein wichtiges Buch über die AK und die Juden geschrieben hat. Es ist ihm gelungen, alle zentralen Aspekte dieses schwierigen Themas zu beleuchten und alle Seiten der Einstellung der größten nationalen Widerstandsbewegung in Europa zu den Juden zu erläutern. Mit seiner Monographie macht er deutlich, dass  politische Orientierung und Handlungspraxis die AK von faschistischen Bewegungen wie der Ustaša, der Eiserne Garde oder der Organisation Ukrainischer Nationalisten unterschieden, selbst wenn sich in ihren Reihen Faschisten und Antisemiten befanden. Zimmermans Schlussthese, dass die AK aus Menschen mit verschiedenen politischen Gesinnungen bestand und dadurch ein Ausschnitt fast der gesamten polnischen Gesellschaft war, kann nur zugestimmt werden. In der AK gab es sowohl aus Antisemiten, die Juden ermordeten, als auch Personen, die ihr Leben riskierten, um sie zu retten. Der Mehrheit der AK-Soldaten war das Schicksal der Juden schlicht egal, weil sie sie nicht als Mitglieder ihrer Nation oder Schicksalsgemeinschaft verstanden. Obwohl sie den Holocaust schrecklich fanden und Kollaboration mit den Deutschen anprangerten, versuchten sie nicht, die massenhafte Ermordung der Juden zu unterbinden. Ein ähnliches Vorgehen der Besatzer gegen die Polen hätte jedoch nach eigenem Bekunden zu vehementem Widerstand und erbittertem Kampf geführt. Von einer tiefergehenden und kritischeren Beleuchtung dieses zentralen Aspekts der Studie hätte Zimmermans Buch noch profitiert. Es ist aber trotzdem die erste vollständige Monographie über den polnischen Untergrund und die Juden, die das Thema strukturiert und ausgewogen präsentiert und seine Komplexität deutlich macht.

Grzegorz Rossoliński-Liebe, Berlin

Zitierweise: Grzegorz Rossoliński-Liebe über: Joshua D. Zimmerman: The Polish Underground and the Jews, 1939–1945. New York: Cambridge University Press, 2015. 474 S., 15 Abb., 8 Tab., 3 Ktn. ISBN: 978-1-107-01426-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Rossolinski-Liebe_Zimmerman_The_Polish_Underground.html (Datum des Seitenbesuchs)

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