Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), H. 4, S. 646-647

Verfasst von: Isabel Röskau-Rydel

 

Angelique Leszczawski-Schwerk: „Die umkämpften Tore zur Gleichberech­ti­gung“. Frauenbewegungen in Galizien (1867–1918). Münster [usw.]: LIT, 2015. 369 S., 2 Abb., 11 Tab. = Osteuropa, 9. ISBN: 978-3-643-50586-6.

Das Jahr 1867 markiert aufgrund des im Dezember 1867 in Österreich erlassenen Staatsgrundgesetzes, in dem die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Habsburgermonarchie verankert wurde, auch eine bedeutende Zäsur für die im Kronland Galizien lebenden Nationalitäten. Profitieren konnte in Galizien von dieser neuen Gesetzgebung vor allem die polnische Bevölkerung, da im Rahmen der Autonomie für Galizien sukzessive die polnische Sprache als Unterrichts- und Amtssprache und schließlich Anfang der 1870er Jahre auch als Vorlesungssprache an den Universitäten Lemberg und Krakau eingeführt wurde. Die Verfasserin hat dieses Jahr als Ausgangsjahr für ihre Untersuchung der ruthenischen (ukrainischen), polnischen und jüdisch-nationalen (zionistischen) Frauenbewegungen in Galizien bis zum Ende des Ersten Weltkrieges gewählt. Sie stützt sich auf zahlreiche Quellen aus Archiven und Bibliotheken in Polen, der Ukraine, Österreich und Israel sowie auf zeitgenössische Frauenzeitschriften, Erinnerungen, Autobiographien und Biographien von Akteurinnen in Galizien. Darüber hinaus kann sie auf eine recht beachtliche Sekundärliteratur in deutscher, polnischer, englischer und ukrainischer Sprache zu den Frauenbewegungen in Galizien zurückgreifen. Nach einleitenden Bemerkungen zu den methodischen Ansätzen der Studie und zum Forschungsstand über die Frauenbewegungen im Allgemeinen und in Galizien im Besonderen gibt die Verfasserin im zweiten Kapitel einen Überblick über die Entwicklung der multiethnischen Frauenbewegungen in Galizien sowie über deren unterschiedliche Strömungen, gesellschaftliche Kontexte und internationale Kontakte. Sie stützt sich bei ihrem Vergleich auf die im Jahre 2000 erschienene Forschungsarbeit von Natali Stegmann über die Frauenbewegungen in Polen 1862–1919 und auf das von ihr dort angewandte „chronologische Bewegungsmuster“ (S. 12). Ein wichtiges Anliegen der Verfasserin ist es, die Affinitäten und Differenzen zwischen den drei Frauenbewegungen in Galizien, aber auch die überregionalen sowie transnationalen Verflechtungen und Vernetzungen herauszuarbeiten sowie der Frage nachzugehen, inwieweit es den Frauen möglich war, Geschlechtergrenzen vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs zu überwinden. Angelique Leszczawski-Schwerk hebt hervor, dass zwar das Interesse an Gender Studies und Frauengeschichte gestiegen sei, jedoch komparatistische Forschungen über die Frauenbewegungen allgemein, insbesondere aber für Galizien fehlen, da die meisten Publikationen zur Frauenbewegung im nationalen Kontext zu verorten seien. Im dritten Kapitel befasst sie sich mit den Strukturen und Organisationen der im Untersuchungszeitraum gegründeten sozialen, kulturellen, religiösen, politischen und beruflichen Frauenvereine und Bildungsvereine für Frauen und Mädchen, die in einer Tabelle (S. 68–79) übersichtlich aufgelistet werden und von einem vielfältigen Vereinswesen polnischer, ukrainischer und jüdischer Frauen in Galizien zeugen. Ergänzt wird diese tabellarische Übersicht durch ein chronologisches Verzeichnis der sozialen und kulturellen Frauenvereine, in dem die Verfasserin auch die Vorsitzenden und Gründungsmitglieder auflistet (S. 82–110), was für weitere Forschungsarbeiten zum Frauenvereinswesen in Galizien von besonderer Bedeutung ist. Da es Frauen in jener Zeit gesetzlich verboten war, Parteien beizutreten oder zu gründen, blieben die Frauen in Galizien darauf angewiesen, sich vornehmlich mit sozialen, kulturellen und bildungspolitischen Fragen zu beschäftigen. Die Verfasserin hebt hervor, dass zu den bedeutenden Errungenschaften der Frauenbewegungen die Zulassung von Frauen zum Studium an den Fakultäten der Philosophie und Medizin an den Universitäten Krakau und Lemberg im Jahre 1897 zählte, die allerdings nicht gemeinsam von den Frauen durchgesetzt wurde, da die nationalen Gegensätze zwischen Polinnen und Ukrainerinnen nicht überwunden werden konnten. Im dritten Kapitel gibt sie einen Überblick über die Vereinstätigkeiten, die internen Strukturen und Programme der galizischen Frauenvereine und untersucht am Beispiel von drei Frauenvereinen in der Hauptstadt Lemberg (Kružok Ukrajinsk’kich Divčat, Koło Kobiet Żydowskich, Związek Równouprawnienia Kobiet we Lwowie) deren Wirkungskreis, das Engagement ihrer Gründungsmitglieder und die Beziehungen zwischen den drei Vereinen. Im Anschluss daran widmet sie sich der Interaktion zwischen polnischen, ukrainischen und jüdischen Frauen, die nationale und transnationale Netzwerke bildeten und die zum Teil gemeinsam agierten, wie beispielsweise bei der Einreichung von Petitionen, die gemeinsame Ziele der Frauen vertraten. Auf der Grundlage von Phasenmodellen kann die Autorin eine gleichzeitige Entstehung von polnischen und ruthenischen Frauenvereinen in den Jahren 1880–1905 feststellen. Die zweite Phase von 1906–1914 diente der Differenzierung der Bewegung, die dritte Phase von 1914‒1918 insbesondere dem sozialen und patriotischen Engagement. Die jüdisch-nationalen (zionistischen) Frauenvereine seien dagegen erst ein Jahrzehnt später, 1890, entstanden und hätten dann die zweite und dritte Phase fast gleichzeitig durchlaufen.

Im vierten Kapitel analysiert die Verfasserin ausgewählte Titel der in Galizien im Untersuchungszeitraum erschienenen Frauen- und zionistischen Zeitschriften und stellt Vergleiche zwischen den darin geführten Diskursen an. So untersucht sie beispielsweise den Bildungsdiskurs in den polnischen Frauenzeitschriften Ster, Nowe Słowo und Głos kobiet w kwestii kobiecej und den ruthenischen Frauenzeitschriften Peršyj Vinok, Naša Meta und Naša Dolja. Als Vergleich dienen ihr beim Stimmrechtsdiskurs an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert insbesondere die Ausführungen der bekannten ruthenischen Frauenrechtlerin Natalija Kobryns’ka in der Zeitschrift Naša Dolja sowie der polnischen Frauenrechtlerin Helena Witkowska in der Zeitschrift Głos kobiet w kwestii kobiecej. Die Bildungsdiskurse jüdischer Frauen spiegelten sich in der in Galizien herausgegebenen zionistischen Presse wider, etwa in Wschód und Przyszłość, in der auch Frauen Beiträge veröffentlichten. Allerdings sahen sich Zionistinnen, die für eine Gleichberechtigung und Selbständigkeit von Frauen in der jüdischen Gesellschaft plädierten, starker Kritik seitens der zionistischen Akteure ausgesetzt, die von den Frauen eine jüdisch-nationale Haltung forderten und eine Assimilation jüdischer Frauen an die polnische Gesellschaft strikt ablehnten.

Mit ihrer Studie hat die Verfasserin einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der ethno-religiösen Frauenbewegungen in Galizien zwischen 1867 und 1918 geleistet, der zu weiteren intensiven Studien über einzelne Frauenvereine und deren Mitglieder sowie ihre Vernetzung und Wirkung in der galizischen Gesellschaft anregen dürfte.

Isabel Röskau-Rydel, Krakau

Zitierweise: Isabel Röskau-Rydel über: Angelique Leszczawski-Schwerk: „Die umkämpften Tore zur Gleichberech­tigung“. Frauenbewegungen in Galizien (1867–1918). Münster, Berlin, Wien [usw.]: LIT, 2015. 369 S., 2 Abb., 11 Tab. = Osteuropa, 9. ISBN: 978-3-643-50586-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Roeskau-Rydel_Leszczawski-Schwerk_Die_umkaempften_Tore_zur_Gleichberechtigung.html (Datum des Seitenbesuchs)

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