Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Andreas Renner

 

Maik Hendrik Sprotte, Wolfgang Seifert, Heinz-Dietrich Löwe (Hrsg.) Der Russisch-Japanische Krieg 1904/05. Anbruch einer neuen Zeit? Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2007. XI, 302 S., 18 Abb. ISBN: 978-3-447-05707-3.

Hundert Jahre, nachdem im September 1905 der Friedensschluss von Portsmouth (USA) den Russisch-japanischen Krieg beendete, können Historiker eine reichhaltige Forschungsbilanz zu diesem imperialistischen Streit um die Vorherrschaft in Ostasien ziehen. Lange Zeit standen allerdings die aufsehenerregenden Siege des jungen japanischen Imperiums, das schließlich die europäische Großmacht Russland zu einem Rückzug aus Korea und der Südmandschurei zwang, in dem historiographischen Schatten der nachfolgenden Revolutionen und Kriege. Das Erinnerungsjahr 2005 dien­te daher als ein willkommener Anlass, den Russisch-japanischen Krieg einmal in den globalgeschichtlichen Kontext an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einzu­ordnen. Die vorliegende Aufsatzsammlung ist die bislang letzte in einer Reihe neuerer Monographien, Themenhefte und Sammelbände zu diesem Forschungsgegen­stand; sie enthält die überarbeiteten Vorträge eines Symposiums an der Universität Heidelberg, an dem Osteuropa- und Ostasienhistoriker sowie Japanologen teilnahmen. Die zwölf Beiträge gehen auf die eigentlichen Kriegshandlungen wie auf die imperialistische Expansion der beiden Länder nur am Rand ein. Die Schwerpunkte liegen zum einen auf den jeweiligen innenpolitischen Hintergründen und Auswirkungen des Kriegs im Zarenreich beziehungsweise in Japan, zum anderen auf den Folgen des Krieges für mehr oder weniger unbeteiligte Dritte – in Europa, Asien und Amerika.

Um ein Befremden vorwegzunehmen: Die globalgeschichtliche Leitfrage nach dem Epochenwechsel wird explizit nur von dem abschließenden Beitrag über „Die Alte Welt und die japanische Herausforderung“ (Philipp Gas­sert) aufgegriffen – und verneint. Schließlich habe das europäische Staatensystem den Krieg unbeschadet überstanden und sei erst mit dem Ersten Weltkrieg untergegangen. Sicher ist Gassert zuzustimmen, dass der Russisch-japanische Krieg nicht zuletzt durch den von den USA vermittelten Kompromissfrieden stärker den Kabinetts- und Kongresskriegen des 19. als den totalen Kriegen des 20. Jahrhunderts ähnelte. Doch gerade auf der außenpolitischen Ebene ließe sich einwenden, dass eben schon vor 1914 mit dem Aufstieg Japans und der USA eurozentrische Bündnissysteme der Vergangenheit angehörten und den Zeitgenossen bis 1914 die japanischen Siege als Zäsur galten. Auf den Machtzuwachs und die imperialistischen Ambitionen der USA geht auch Manfred Berg in seiner Analyse der Politik von Roosevelt ein. Für das Zarenreich wurde hingegen der überraschend schmachvolle Ausgang des Krieges zum Anlass, bald einen Ausgleich nicht nur mit Japan zu suchen, sondern auch mit Großbritannien, und so das wahrlich epochale Great Game um die Vorherrschaft in Asien beizulegen. Weitere über das 19. Jahrhundert hinausweisende Momente des Wandels kommen in dem Band zur Sprache: die Vorbildwirkung Japans unter anderem auf den Antikolonialismus in Indien (Gita Dharampal-Frick) oder die globale Öffentlichkeit, die den Krieg zu einem Medienereignis nicht nur im Okzident, sondern etwa auch in China (hierzu herausragend Gotelind Müller) oder auf dem Balkan (Edda Binder-Iijima) machte. Andere, transnational wirkende Indikatoren einer neuen Zeit ließen sich aus der aktuellen Debatte über die frühe Globalisierung oder über den „modernen“ Krieg übernehmen und zur Diskussion stellen. In derselben Zeit gewann auch das Völkerrecht eine neue, ‚außereuropäische‛ Qualität: Wolfgang Seifert zeigt überzeugend, wie es Japan gelang, das unterworfene Korea als geographisches Gebiet zu definieren und die jahrhundertealte Staatlichkeit des Landes vergessen zu machen.

Eingerahmt sind solche Einzelanalysen von recht allgemein gehaltenen Überblicksaufsätzen zu den beiden kriegsführenden Parteien. Für beide Länder wird, im Einklang mit der bisherigen Forschung, die Bedeutung des Krieges als Epochengrenze unterschiedlich bestimmt. Der ungünstige Kriegsverlauf hat zweifellos die innenpolitische Krise des späten Zarenreichs verschärft, kann aber nicht einmal als Auslöser der Revolution von 1905 gelten. Umgekehrt haben die japanischen Erfolge, so enttäuschend sie zunächst in Japan angesichts der wirtschaftlichen Belastungen des Krieges wirkten, eine massive internationale Aufwertung des Landes bedeutet. Etwas blass bleibt in diesem Zusammenhang das Profil sowohl der antijapanischen Komponenten im russischen Nationalismus wie umgekehrt das spezifisch Antirussische im japanischen Nationalismus. Dabei liegen gerade hierzu mit den Arbeiten von David Schimmel­pen­ninck van der Oye und Naoko Shimazu neuere Forschungsergebnisse vor, die sich gut in einer Verflechtungsgeschichte verbinden ließen. Insgesamt jedoch bietet dieser Sammelband ein Spektrum neuer Aspekte – was nicht wenig ist angesichts der zahlreichen Publikationen der letzten Jahre. Insbesondere in der universitären Lehre wird er daher willkommen sein.

Andreas Renner, Köln

Zitierweise: Andreas Renner über: Maik Hendrik Sprotte, Wolfgang Seifert, Heinz-Dietrich Löwe (Hrsg.) Der Russisch-Japanische Krieg 1904/05. Anbruch einer neuen Zeit? Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2007. XI, ISBN: 978-3-447-05707-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Renner_Sprotte_Der_Russisch_Japanische_Krieg.html (Datum des Seitenbesuchs)

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