Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Oliver Reisner

 

Rebbecca S. Katz The Georgian Regime Crisis of 2003–2004: A Case Study in Post-Soviet Media Representation of Politics, Crime and Corruption. ibidem-Verlag Stuttgart 2006. 372 S. = Soviet and Post-Soviet Politics and Society, 30. ISBN 3-89821-413-3.

Der Buchumschlag kündigt eine „explorative“ Analyse der „Re­präsen­ta­tion“ von Verbrechen, Korruption und Politik in den Medien des postsowjetischen Georgien an. Die Autorin konzentriert sich dabei auf die Umbruchphase der Rosenrevolution, also auf die Zeitspanne vom Parlamentswahlkampf Ende August 2003 über die Massenproteste gegen die offensichtlich gefälschten Wahlen, die Ende November 2003 Schewardnadse zum Rücktritt zwangen und Saakaschwili bei den Präsidentenwahlen im Januar 2004 legitimierten, bis einschließlich März 2004. Sie will diese Ereignisse anhand der englischsprachigen Presse Georgiens untersuchen. Dieser Versuch, eine soziologische Analyse der politischen, sozialen und ökonomischen Strukturen dieser Umbruchphase in Georgien zu schreiben, ist jedoch gründlich fehlgeschlagen.

Weder diskutiert und definiert die Autorin einleitend ihr Verständnis von „Verbrechen“ oder „Medienrepräsentation“, noch führt sie ihre Leser in die Besonderheiten der georgischen Medienlandschaft ein. Sie fragt nicht, warum über etwas wie berichtet wird bzw. was nicht thematisiert wird und warum. Vor allem erklärt sie nicht, warum sie keine georgischsprachigen Zeitungen oder das Leitmedium Fernsehen analysiert. Vor allem dort wird der Umgang mit Verbrechen und deren Bewertung verhandelt und nicht in den wenigen englischsprachigen Zeitungen, die sich an einen überwiegend ausländischen Leserkreis, v.a. Diplomaten, Mitarbeiter internationaler Organisationen und NGOs, wendet.

Auch an der Wissenschaftlichkeit des Buches bestehen ernste Zweifel. Entgegen dem sehr hochtrabenden Anspruch, einen Beitrag zur als notwendig reklamierten kriminologischen Theorie von Verbrechen zu leisten, liefert die Autorin ein Panoptikum an Themen aus einer chronologisch gegliederten und nach keinerlei erkenntlichem Muster ausgewählten Reihe von Zeitungsartikeln. Auf den Bush-Besuch folgt ein Exkurs über die russische Mafia, die im Gali-Distrikt Abchasiens den Haselnussfarmern Schutzgelder abpressten und dafür vor Raub und persönlicher Misshandlung – durch andere – schützten, während die staatlichen Strukturen keinen Schutz bieten konnten. Die Berichte in den Medien werden aber – nicht einmal zumindest exemplarisch – durch eigene Recherchen auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Repräsentativität für die Situation hin überprüft. Stattdessen kommentiert die Autorin eigene Beobachtungen, die sie während des Untersuchungszeitraums als Gastlektorin angestellt hat. Dabei greift sie kaum auf die aktuelle Forschungsliteratur zurück. Die durchaus interessante Frage nach dem Zusammenhang von Verbrechen, Korruption und Politik während der Rosenrevolution ist eine immens wichtige für Georgien. Stattdessen wird der georgische Nationalismus als entscheidendes Motiv für das Handeln der Georgier, Abchasen und Südosseten angesehen. Die Transformation Georgiens wird ohne große Umschweife zur Ursache einer „eigenen Version institutionalisierter Korruption“ (S. 35) erklärt, die aber nicht weiter erläutert wird.

In der sehr detailreichen, aber insgesamt nicht sehr fokussierten Darstellung der Ereignisse tauchen zahlreiche sachliche Ungenauigkeiten oder gar Fehler auf (Gamsachurdia war z.B. nicht Führer der National-Demokratischen Partei, sondern der Partei „Runder Tisch – Freies Georgien“; Namen werden häufig falsch geschrieben). Die abnehmende Bedeutung der kriminellen Welt, der „Diebe im Gesetz“, die sich in den neunziger Jahren angesichts eines schwachen Staates mit ihren bewaffneten Paramilitärs als „Gewaltunternehmer“ bzw. Warlords etablieren konnten, wurde weniger durch die externe „Demokratieförderung“ der USA (Kmara-Protestbewegung) oder die unrealistischen Erwartungen in der Bevölkerung überwunden, sondern allein durch den massiven Einsatz des staatlichen Repressionsapparates in den Händen der jungen Staatsbildner gegen die alten Interessenklientele. Demokratische und rechtsstaatliche Verfahren wurden ihrem Ideal eines zugleich starken und neoliberalen Staates geopfert. Verbrechen und seine Bekämpfung sind zu einem Instrument für das politische und ökonomische Überleben derjenigen geworden, denen die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung nach der Rosenrevolution obliegt. Warum das so ist, beantwortet dieses Buch nicht. Es bleibt bei der Beschreibung der Medienberichterstattung hängen.

Oliver Reisner, Tbilisi

Zitierweise: Oliver Reisner über: Rebbecca S. Katz The Georgian Regime Crisis of 2003–2004: A Case Study in Post-Soviet Media Representation of Politics, Crime and Corruption. ibidem-Verlag Stuttgart 2006. = Soviet and Post-Soviet Politics and Society, 30. ISBN 3-89821-413-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Reisner_Katz_Georgian_Regime_Crisis.html (Datum des Seitenbesuchs)

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