Alfred Eisfeld, Victor Herdt, Boris Meissner † (Hrsg.) Deutsche in Rußland und der Sowjet­union 1914–1941. Lit Verlag Berlin 2007. 479 S., Abb. = Geschichte. Forschung und Wissenschaft, 25.

Der Sammelband vereint 31 Beiträge unterschiedlichen Charakters, zum einen vorwiegend auf Sekundärliteratur basierende Überblicksdarstellungen (wie den Aufsatz von B. Meissner zur verfassungsrechtlichen Stellung der Sowjetdeutschen und den Artikel von A. Eisfeld zur Nationalitätenpolitik der Zwanzigerjahre), zum anderen auf Archivalien gestützte Arbeiten zu enger umgrenzten Themen, die – so die Herausgeber – „unverkennbar erste Studien“ darstellen.

Der zeitliche Rahmen der Beiträge beginnt mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in dessen Folge die Deutschen im Russischen Reich als „innere Feinde“ stigmatisiert und mit repressiver Politik verfolgt wurden. Dabei beschreibt E. G. Boldina die Schließung deutscher Unternehmen in Moskau, während die Studie R. Nachtigals über die Unterstützung deutschsprachiger Kriegsgefangener durch die Moskauer Deutschen einen neuen Blickwinkel eröffnet.

Mit dem konfliktreichen Verhältnis der nunmehr Sowjetdeutschen zum neu entstandenen sozialistischen Staat befasst sich der Großteil der Beiträge des Bandes, oftmals in Form von ar­chivgestützten Untersuchungen. Dabei wird häufig eine regionale Perspektive eingenommen: So verwendet V. Čencov exemplarisch Ge­richtsakten als Quelle zur Erforschung des von Repressalien geprägten Alltags der Deutschen in der Südukraine. T. P. Volkova beschreibt die zunehmend repressive staatliche Politik in Kazachstan am Ende der Zwanziger- und zu Beginn der Dreißigerjahre, während O. A. Gerber anhand reichhaltigen Quellenmaterials die Zwangskollektivierung unter den Sibiriendeutschen darstellt. Die Wolgadeutschen werden im Hinblick auf die Autonomiebestrebungen 1917/18 (A. Eisfeld) und ihre Dialektologie (P. Rosenberg) behandelt, wohingegen die Wolhyniendeutschen unberücksichtigt bleiben.

Weitere Beiträge nehmen eine Außensicht ein – G. Calov zum deutschen Einfluss auf die bildenden Künste in Russland und der Sowjetunion und M. Köhler-Baur über die Darstellung der Russlanddeutschen in der deutschen Presse der Zwanzigerjahre. In den Aufsätzen zu kirchengeschichtlichen Aspekten stehen die erlittenen Repressalien im Vordergrund (z.B. O. E. Lit­zenberger über die Verfolgung lutherischer Geist­licher in den Dreißigerjahren).

Die Herausgeber bieten mit dem Band eine Reihe neuer Perspektiven auf ein in weiten Teilen noch nicht hinreichend erforschtes Themengebiet. Gerade die auf Archivalien aufbauenden Einzeluntersuchungen machen deutlich, an welcher Stelle tiefergehende Forschungen ansetzen könnten, auch wenn die Konzentration auf repressive Maßnahmen gegen die Deutschen in Russland zuweilen andere Aspekte in den Hintergrund treten lässt.

Thorsten Pomian, Düsseldorf

Zitierweise: Thorsten Pomian über: Alfred Eisfeld, Victor Herdt, Boris Meissner † (Hrsg.): Deutsche in Russland und der Sowjetunion 1914–1941. Lit Verlag Berlin 2007. 479 S. = Geschichte. Forschung und Wissenschaft, 25. ISBN: 978-3-8258-0073-4, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 1, S. 113: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Pomian_Eisfeld_Deutsche_in_Russland.html (Datum des Seitenbesuchs)