Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), H. 2, S. 332-334

Verfasst von: Edvin Pezo

 

James Lyon: Serbia and the Balkan Front, 1914. The Outbreak of the Great War. London, New York: Bloomsbury Academic, 2015. XVI, 306 S., 20 Abb., 7 Ktn. ISBN: 978-1-4725-8004-7.

Cer und Kolubara – ein Gebirge bzw. ein Fluss, südwestlich von Belgrad gelegen – sind nicht allein Toponyme aus der Geographie Serbiens, sie stehen zugleich für die ersten verlustreichen Kämpfe des Ersten Weltkriegs in Südosteuropa. Ausgefochten wurden sie in der zweiten Jahreshälfte 1914 in den Grenzgebieten Serbiens zu Bosnien-Herzegowina. Und diesen Kämpfen, d.h. dem österreichisch-ungarischen Angriff auf Serbien und der Verteidigung durch das serbische Heer in den Monaten von August bis Dezember 1914, widmet sich James Lyon in seiner Monographie, und zwar en détail. Das Werkt lehnt sich, auch dies sei erwähnt, im Wesentlichen an die 1995 an der University of California in Los Angeles eingereichte Dissertation des Verfassers an. Lyon widmet sich in seinem Buch in elf mit zahlreichen Illustrationen und Karten versehenen Großkapiteln der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges – unter besonderer Berücksichtigung der Stellung Serbiens in der Region –, vor allem aber den Kriegsschauplätzen und -ereignissen in Serbien samt den hier beobachtbaren militärischen Auswüchsen und Problemen. Dabei verdeutlicht der Autor sehr genau die nichtlinearen Entwicklungen der militärischen Ereignisse in Serbien, die nicht allein mit dem militärischen Geschick (aber auch dem Unvermögen) einzelner Heerführer zu tun hatten, sondern auch stark beeinflusst waren von Witterungsbedingungen und letztlich auch glücklichen Fügungen. Lyons Ziel ist es wiederum, die diplomatischen und militärischen Schlachten von 1914 unter Berücksichtigung des sozialhistorischen Kontextes, „from a Balkan perspective“, darzustellen (S. 4). Hierfür hat er vor allem Archive in Serbien konsultiert und die wichtigsten serbokroatischen Titel zusammengetragen. Leider fehlt aber eine intensivere Diskussion und Auseinandersetzung mit der neueren deutsch- bzw. englischsprachigen Literatur. Zwar nimmt er ein Mal Bezug auf Christopher Clarks viel besprochenes Buch The Sleepwalkers, indem er seiner Einschätzung der Geschehnisse im Kontext des Attentats in Sarajevo widerspricht (S. 35), doch Arbeiten von beispielsweise Günther Kronenbitter („Krieg im Frieden“. Die Führung der k.u.k. Armee und die Großmachtpolitik Österreich-Ungarns 1906–1914) oder auch Manfried Rauchensteiner (Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918) bleiben leider unberücksichtigt. Aber es geht Lyon nun einmal auch weniger um die Habsburgermonarchie; im Fokus stehen Serbien und die Balkanfront im Jahr 1914.

Die Frage, wie es zum Krieg kam, bleibt nicht ausgespart. Der Autor geht in den ersten drei Kapiteln auf den historischen Kontext, die Situation auf dem Balkan und die serbische wie österreichisch-ungarische Balkandiplomatie bis 1914 ein. Er zeichnet dabei auch das schwierige und komplexe Verhältnis von Regierung und Geheimorganisationen (Narodna odbrana; Crna ruka) in Serbien nach und kontextualisiert mitunter die Mitgliedschaft in der illegalen Organisation Mlada Bosna (Junges Bosnien), aus deren Reihen die jungen Attentäter des 28. Juni 1914 kamen. Der Schwerpunkt von Lyons Arbeit liegt aber eindeutig auf der Darlegung jener Ereignisse, die dem Attentat folgten. Hier schildert der Autor die einsetzenden Übergriffe gegenüber der serbischen Bevölkerung in der Habsburgermonarchie, die diplomatischen Bemühungen Serbiens auf der Suche nach Bündnispartnern in der Region und dann vor allem die militärische Konfrontation, die Lyon stellenweise buchstäblich minutiös rekonstruiert. Darin liegt seine Stärke, nämlich in der Auseinandersetzung mit dem militärischen Verlauf. Er legt die Stärken wie Schwächen der sich bekriegenden Heere offen und vermag es plausibel darzulegen, weshalb das wesentlich besser ausgestattete und zahlenmäßig bedeutend größere österreichisch-ungarische Heer dem Serbischen unterlag. Der Leser erfährt dabei auch, mit welchen Nöten die Heere – insbesondere das Serbische, dessen Soldaten weder über ausreichend Munition noch über die notwendige Winterkleidung verfügten – zu kämpfen hatten und welche Verluste sie im Zuge der einzelnen Schlachten erleiden mussten. Desertionen auf beiden Seiten macht er dabei ebenso zum Thema wie den oftmals blinden Eifer des Oskar Potiorek, der noch in Sarajevo hauptverantwortlich für die Sicherheitsvorkehrungen während des Besuchs des Erzherzogs Franz Ferdinand war, im August 1914 zum Oberbefehlshaber aller Balkanstreitkräfte ernannt wurde und dessen teilweise gravierende militärische Fehlentscheidungen gutteils verantwortlich waren für das militärische Desaster Österreich-Ungarns in Serbien.

Und auch das sei gesagt: Nicht immer lassen sich die Aussagen des Autors mit den von ihm angeführten Literaturhinweisen belegen; so zerstörte beispielsweise die graue Eminenz Dragutin Dimitrijević (Apis) Ende Juli 1914 nicht „especially those [documents]“, die einen Bezug zur Geheimorganisation Crna ruka hatten (S. 63, Anm. 50) – in der angegebenen Quelle ist lediglich von „mitunter“ die Rede –; Serbiens Kriegsziel war es auch nicht allein, alle Serben in einem Staat zu vereinigen (S. 65, Anm. 59) – kurioserweise wird dies mit Titeln unterfüttert, in denen eher „jugoslawische“ Bezüge groß gemacht werden –; und die Behauptung, Oberbefehlshaber Erzherzog Friedrich persönlich stehe hinter dem Telegramm vom 13. Dezember 1914, worin dazu aufgerufen wurde, eine Niederlage der 5. Armee unbedingt zu vermeiden, kann mit der angegebenen Quelle nicht belegt werden (S. 231, Anm. 31).

Abgesehen von diesen handwerklichen Fehlern überzeugt das Buch in seinen militärhistorischen Ausführungen zum Kriegsverlauf in Serbien, vom Angriff auf Belgrad Ende Juli/Anfang August bis zum militärischen Fiasko der österreichisch-ungarischen Streitkräfte Anfang Dezember 1914 im Zuge der Schlacht an der Kolubara. Wenig Neues erfährt man dagegen hinsichtlich der politischen Vorgeschichte, die zwar solide erzählt wird, doch ohne neue Erkenntnisse oder Hypothesen.

Edvin Pezo, Regenburg

Zitierweise: Edvin Pezo über: James Lyon: Serbia and the Balkan Front, 1914. The Outbreak of the Great War. London, New York: Bloomsbury Academic, 2015. XVI, 306 S., 20 Abb., 7 Ktn. ISBN: 978-1-4725-8004-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Pezo_Lyon_Serbia_and_the_Balkan_Front.html (Datum des Seitenbesuchs)

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