Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Ausgabe: 59 (2011) H. 2

Verfasst von: Fred S. Oldenburg

 

Mitteilungen der Gemeinsamen Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen. Hrsg. im Auftrag der Gemeinsamen Kommission von Horst Möller und Alexander Čubar’jan. Bd. 3. Verlag München: Oldenbourg 2008. 814 S. ISBN: 978-3-486-58146-1.

Wo sind sie geblieben, die Germanisten des Auswärtigen Dienstes von Partei und Sowjetdiplomatie? Nun, einige der Großakteure wie Semenov (Köln), Falin (Hamburg) und Fedorov (Bonn) hatten noch vor dem Kollaps der UdSSR Zuflucht bei deren neuem Partner, der Bundesrepublik Deutschland, genommen. Andere vertauschten ihren Platz als Akteure auf dem deutsch-sowjetischen Parkett mit dem eines Lehrstuhlinhabers an der Diplomatischen Akademie oder schlüpften beim Europa-Institut in Moskau unter. In der 1997 gegründeten Historiker-Kommission der zweiten Amtsperiode findet sich von den alten Bekannten nur noch der Name des Sektorleiters im ZK der KPdSU für West-Berlin, Viktor Rykin. Mehrere der früheren Dramaturgen sowjetischer Deutschland-Strategie sind in das Fach der Interpreten übergewechselt. Das muss kein Nachteil für die Forschung sein. In der Tat hat diese von Kanzler Kohl und Präsident Jelzin 2003 gegründete „Gemeinsame Kommission“ manchem deutschen Wissenschaftler die Pforten russischer Archive geöffnet. Mit einiger Verspätung erschien nunmehr beim Münchener R. Oldenbourg-Verlag der 3. Band der öffentlichen Kommissionssitzungen, wobei die zeitferne Edition mit verlegerischen Problemen entschuldigt wird. Dafür ist nun dieser Band der „Mitteilungen“ vorzüglich ediert, zweisprachig selbstverständlich. Vorgelegt werden die Ergebnisse zweier Zusammenkünfte der Jahre 2003 und 2004 in Moskau und München. Die hier abgedruckten Referate sind gerade angesichts der jüngsten Versuche Medvedevs, historisches Wissen unter den Generalverdacht der Fälschung zu stellen, zuletzt warnend an die polnische Adresse gerichtet, von bleibender Bedeutung.

Die Zuhörer saßen somit an den Quellen, als am 26. September 2003 das Thema „Die Sowjetunion und die deutsche Wiedervereinigung“ von 7 russischen und 3 deutschen Beiträgern verhandelt wurde. Darunter befanden sich so illustre Persönlichkeiten wie der Gorbatschow-Intimus Černjaev, der Stellvertreter Kočemasovs an der Ostberliner Botschaft, der Gesandte Maksimičev sowie der Leiter des Informations- und Analysedienstes des KGB in Berlin-Karlshorst, Kuz’min und nicht zuletzt der Falin-Mitarbeiter Portugalov, um nur einige zu nennen. Auf deutscher Seite referierten Möller, Hildebrand und Faulenbach. Eindrucksvoll und zwischen den Konzeptionen Jakovlevs (Integration in das „europäische Haus“) und Gromykos („Status Quo“-Sicherung) vermittelnd, war der Vortrag des Deutschland-Spezialisten Filitov. Doch auch die Referate von Pertilin und Beroznjak sind lesenswert. Einen herausragenden Einwurf lieferte der Kölner Werner Link, der die Resultate seines Forschungsprojektes „Die deutsch-sowjetischen Beziehungen zwischen Moskauer Vertrag (1970) und Wiedervereinigung“ vorstellte. Indessen hörte man fortwährend die Frage durch, wer Deutschland verloren und das äußere Imperium zum Einsturz gebracht habe. Schließlich war die Mitherrschaft über das geteilte Deutschland die nachgereichte Legitimation nicht nur für die Stalinsche Modernisierung, sondern sogar für die Oktober-Revolution.

Daher verdienen auch die Referate des Jahres 2004 zum Thema „Resistenz, Opposition, Widerstand im Diktaturenvergleich“ ungeteiltes Interesse. Bei diesem internationalen Kolloquium, welches am 9. Juli 2004 stattfand, lieferte die deutsche Seite 10 und die russische nur 4 Referate ab. Als Bonbon geradezu ist der Hinweis auf den Abdruck von Schlüsseldokumenten des 20. Jahrhunderts im Internet, der von Helmut Altrichter und Lilia Antipow besorgt wird, zu werten. Mitte Oktober 2009 hat nunmehr auch eine bilaterale österreichisch-russische Historikerkommission ihre Arbeit aufgenommen.

Fred S. Oldenburg, Köln

Zitierweise: Fred S. Oldenburg über: Mitteilungen der Gemeinsamen Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen. Hrsg. im Auftrag der Gemeinsamen Kommission von Horst Möller und Alexander Čubar’jan. Bd. 3. R. Oldenbourg Verlag München 2008. ISBN: 978-3-486-58146-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Oldenburg_Mitteilungen_der_Gemeinsamen-Kommission_3.html (Datum des Seitenbesuchs)

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