Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012) H. 2, S. 297-298

Verfasst von: Andreas Oberender

 

Political Humor under Stalin. An Anthology of Unofficial Jokes and Anecdotes. Edited and with an Introduction by David Brandenberger. Bloomington, IN: Slavica Publishers, 2009. X, 158 S., 36 Abb. ISBN: 978-0-89357-351-5.

Diktatoren fürchten sich nicht nur vor offenem Widerstand gegen ihre Herrschaft. Eine Herausforderung sehen sie auch in politischen Witzen, die die zweifelhafte Legitimität, die Schwächen und Fehlleistungen ihres Regimes aufs Korn nehmen. Auch in der frühen Sowjetunion waren die Herrschenden nicht bereit, respektlose Witze und bissigen Spott der Bevölkerung zu tolerieren, denn sie sahen durch Witze ihr Selbstbild in Frage gestellt. Unter Stalin galt das Erzählen und Verbreiten von Witzen als eine Form der „antisowjetischen Agitation“. Besonders Mitte der 1930er Jahre mussten jene, die ihre Zunge nicht hüteten, mit Verfolgung und Repression rechnen. Die harte Reaktion des Regimes stand dabei in umgekehrtem Verhältnis zur eher geringen Brisanz des Witzeerzählens, das schwerlich als ernst zu nehmender politischer Widerstand anzusehen ist. Es war nicht mehr als ein Ventil, das den vielfach geplagten Sowjetmenschen gestattete, wenigstens ihrer Unzufriedenheit und Frustration Ausdruck zu verleihen, wenn sie schon an den politischen Zuständen nichts ändern konnten.

Mit diesen Überlegungen leitet David Brandenberger seine Anthologie zum politischen Humor der Stalin-Zeit ein. Auf die knappe Einführung folgt eine teils chronologisch, teils thematisch gegliederte Zusammenstellung von Witzen und Anekdoten. Brandenberger hat diese Witze nicht etwa in jahrelanger Arbeit mühsam zusammengetragen, sondern einem älteren Werk entnommen (Kreml’ i narod, München 1951). Die Witze werden zweisprachig dargeboten, auf Russisch und auf Englisch. Brandenberger hat viel Sorgfalt darauf verwandt, bestimmte Formulierungen und Pointen, die sich dem Nichtrussen nur schwer erschließen, so zu übersetzen, dass sie einem englischsprachigen Leserkreis verständlich werden. Die Witze fallen in verschiedene Kategorien und decken ein breites thematisches Spektrum ab: Verballhornungen offizieller Abkürzungen stehen neben Galgenhumor; Witze über Mangelversorgung und Warteschlagen gesellen sich zu Anekdoten über die Absurditäten der Planwirtschaft. Nicht einmal vor Stalin, dem Stalin-Kult und den Säuberungen von 1937/38 machte der Volkswitz Halt, wie etliche Beispiele zeigen. Witze über jüdische Karrieristen in der Partei und über bauernschlaue armenische Schuhputzer illustrieren die Stereotypen, mit denen Russen anderen Ethnien begegneten. Brandenberger ist ein handliches Kompendium gelungen, das in Lehrveranstaltungen zur sowjetischen Sozial- und Kulturgeschichte mit Gewinn benutzt werden kann.

Andreas Oberender, Berlin

Zitierweise: Andreas Oberender über: Political Humor under Stalin. An Anthology of Unofficial Jokes and Anecdotes. Edited and with an Introduction by David Brandenberger. Bloomington, IN: Slavica Publishers, 2009. X. ISBN: 978-0-89357-351-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Oberender_Brandenberger_Political_Humor_under_Stalin.html (Datum des Seitenbesuchs)

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