Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), H. 4, S. 649-651

Verfasst von: Zdzisław Noga

 

Hans-Jürgen Bömelburg / Edmund Kizik: Deutsch-polnische Geschichte – Frühe Neuzeit. Bd. 2: Altes Reich und alte Republik. Deutsch-polnische Beziehungen und Verflechtungen 1500–1806. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014. 216 S., 3 Ktn., 8 Abb. ISBN: 978-3-534-24763-9.

Dieses Buch aus der Feder zweier bekannter Historiker, eines deutschen und eines polnischen, ist in der Reihe WGB Deutsch-Polnische Geschichte erschienen, die sich an einen breiteren Leserkreis richtet und daran erinnern möchte, dass die deutsch-polnischen Beziehungen, die nach wie vor von den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und den Geschehnissen der Nachkriegszeit belastet sind, auf 1000 Jahre Nebeneinander und Miteinander zurückblicken. Diese Beziehungen waren in den vergangenen Jahrhunderten sehr eng, sind jedoch bis heute nicht unbedingt näher bekannt. Das rezensierte Buch bringt dem Leser einen weniger spektakulären Zeitraum nahe, war dieser doch von Frieden bestimmt, was, soweit es um die damaligen Grenzziehungen geht, wohl als Phänomen bezeichnet werden darf. Die Herausgeber begründeten in einer kurzen Einleitung (S. 6) die Notwendigkeit dieser Reihe, allerdings unterlief ihnen hier doch ein Fehler, als sie schrieben: „In Lemberg wurden im 16. Jahrhundert die polnischsprachigen Stadteliten Deutsche genannt.“ Es war nämlich genau umgekehrt: „Polnische Nation“ bedeutete Konfession – d.h. katholisch, sowohl auf polnischer wie auf deutscher Seite. Hinzufügen möchte ich, dass „russische Nation“ die Bekenner der Ostkirche bezeichnete – sowohl die Ukrainer, wie auch beispielsweise die in Lemberg lebenden Griechen. Dieses geringfügige Detail ist lediglich ein Hinweis darauf, wie kompliziert sich die gesamte Materie, mit der sich beide Autoren in dieser eher als klein zu bezeichnenden Reihe zu befassen hatten, darstellt.

Der erste Teil des Buches umfasst eine chronologische Übersicht der wesentlichen Fragestellungen. Die Autoren nehmen zunächst eine Gegenüberstellung der Ähnlichkeiten beider Staaten vor, von denen jeder ein Gebiet von rund einer Mio. Quadratkilometern Fläche umfasste, einen durch Wahl bestimmbaren Herrscher hatte, einen Reichstag und noch viele andere in diesem Buch sehr gut erfasste Ähnlichkeiten. Bei der Spurensuche allerdings wagen sich die Autoren etwas zu weit vor. Wenn sie schreiben, dass sich die preußischen Städte (in der Korrespondenz) auf das Modell des Reiches beriefen (S. 21), suggerieren sie, dass die Städte beider Staaten einen vergleichbaren Status besaßen. Offenkundig hatten die Städte der Rzeczpospolita, trotz des auf dem deutschen Stadtrecht basierenden Systems, einen anderen, eher schlechteren Status im Staatsgefüge. Einen vergleichbaren Status besaßen lediglich die preußischen Städte, die Residenzstadt Krakau allerdings schon nicht mehr. Dort wurde sogar der Stadtrat formell durch Beschluss eines königlichen Beamten berufen; die von lediglich einigen wenigen polnischen Städten zum Reichstag delegierte Gesandtschaft hatte eher symbolischen Charakter und wurde nicht selten von den adeligen Vertretern in Frage gestellt.

Die Autoren versuchen zu Recht Analogien im 1000 Kilometer umfassenden Grenzgebiet beider Staaten, Beispiele grenzübergreifender kultureller Wechselbeziehungen, spezifischer Rechtssysteme, Lehenssysteme oder auch grenzübergreifender Mehrsprachigkeit aufzuzeigen. Derlei Phänomene haben sicherlich existiert, nur eines der angeführten Beispiele wirft Fragen auf. Konkret geht es hier um das grenznahe polnisch-schlesische Herzogtum Auschwitz-Zator, genauer gesagt um die Krakauer Bischöfe von Siewierz. Eben dieses Herzogtum der Krakauer Bischöfe bliebt als eines der wenigen klerikalen Herrschaftsgebiete bis 1790 von der Rzeczpospolita formell unabhängig. Darüber hinaus war seine Bevölkerung polnisch, ausgenommen einige wenige Adelsfamilien, die aus Schlesien hierher gekommen waren, aber auch Polnisch sprachen und schrieben. Einen jüdischen Bevölkerungsanteil gab es hier überhaupt nicht, genauso wie in anderen geistlichen Besitzungen. Das Herzogtum Auschwitz-Zator wurde infolge der Integrationsprozesse des 16. Jahrhunderts ein Kreis des Gebietes Schlesien, der sich durch eine rein polnische ethnische Struktur auszeichnete.

Das zweite Kapitel ist demografischen Fragen gewidmet. Das Phänomen der Migration größerer Bevölkerungsgruppen und die Folgen dieser Migration werden in diesem Buch ausgezeichnet dargestellt. Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass neben den bereits gut bekannten Verbindungen zu den baltischen Städten auch eine Verbindung in den Karpatenraum nachgewiesen wird, welche die Städte Süddeutschlands, Böhmens und Schlesiens mit Krakau und Lemberg zusammenführte. Bei der Erörterung der Migration wäre eine genauere Betrachtung ökonomischer Faktoren interessant gewesen, u.a. die Wanderbewegung von Handwerksgesellen. Schade, dass die Autoren der sog. Josephinischen Kolonisation nicht mehr Platz eingeräumt haben, die in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts nach dem Vorbild Friedrichs des Großen in Galizien stattfand, wo rund 200 Siedlungen mit gleichartiger städtischer Anlage geschaffen wurden – die Anwerbung der Siedler fand in allen Ländern des deutschen Reichsgebietes statt.

Im folgenden Kapitel, das Wirtschafts- und Handelsfragen gewidmet ist, richten die Autoren völlig zu Recht die Aufmerksamkeit auf die Veränderungen und die steigende Bedeutung des Handels mit Getreide und Vieh, aber auch auf die rückläufige Bedeutung des Handels mit Kupfer, das in dem erörterten Zeitraum aus Böhmen nach Deutschland kam wurde.

Weitere Fragen, die eingehend erörtert werden, sind die Reformation und die Gegenreformation, die nach dem Konzil von Trient einsetzte. Obwohl die Reformation in Polen und Deutschland anders verlief, so ist sie doch das beste Beispiel für die enge Verbundenheit beider Staaten. Ähnlich enge Verbindungen belegt auch der Abschnitt Dynastien, Adel und höfische Kultur. Der Leser erfährt hier viel über Eheschließungen der Jagiellonen mit den Habsburgern und anderen Fürstenhäusern des Deutschen Reichs. Ein gesondertes Kapitel widmen die Autoren der polnisch-sächsischen Union (1697–1763), wo insbesondere den Kontakten der Eliten beider Staaten breiter Raum eingeräumt wird, u.a. der nicht weiter bekannten polnischen Diaspora, die seinerzeit in Dresden ansässig war, oder der militärischen Karriere polnischer Soldaten in der sächsischen und preußischen Armee.

Das siebte und letzte Kapitel des ersten Teils dieses Buches – Brandenburg, Preußen und die Teilungen Polensist aus preußischer Perspektive geschrieben, was für den polnischen Leser interessant sein kann, der ja Preußen traditionell als Aggressor betrachtet. Die Teilung Polens wird hier als Beispiel der für die damalige Zeit charakteristischen europäischen Diplomatie der Aggression behandelt. Für einen breiteren Leserkreis, insbesondere für Polen, welche die Teilungen als etwas „Außergewöhnliches ansehen, dürfte dies ein interessanter, wenn auch in der Geschichtsschreibung nicht neuer Ansatzpunkt sein, der bereits seit Marcel Handelsman († 1945) bekannt ist. Leider haben die Autoren die Rolle Österreichs bei den Teilungen Polens im Vergleich mit Preußen nicht ausführlich berücksichtigt (auch nicht im Titel des Kapitels), sondern lediglich an Galizien im vergleichenden Kontext erinnert.

Der zweite Teil des Buches mit dem Titel Fragen und Perspektiven enthält interessante Erörterungen der Autoren über ausgewählte Themenbereiche und bietet Anstöße zur Diskussion. Am Anfang findet sich eine gründliche Erörterung des sogenannten „Kulturträgertums“ und dessen Nutzung zu politischen Zwecken in der Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts. Interessant ist auch der Abschnitt über die jüdische Bevölkerung, insbesondere in Polen. Die Autoren haben hier der überregionalen Autonomie der Juden den gehörigen Platz eingeräumt (erinnern jedoch nicht an die außergewöhnliche Institution des „Sejm 4 Ziem“ – Wa’ad Arba’ Aratzot = Ausschuss der vier Länder). Nicht sehr präzise heißt es hierzu: Auf Initiative der Stadtherren wurden an einigen Orten christliche Zünfte bewogen, jüdische Mitglieder zu akzeptieren“ (S. 159). DiesesAkzeptieren“, in Verbund mit den Einträgen in die Zunftbücher (nicht immer gewollt und oft „auf den Kopf gestellt“, wie etwa 1762 im Zunftbuch der Schneider und Schuster in Sławków an der polnischen-schlesischen Grenze), bedeutete lediglich die Zustimmung der Zunft zur Ausübung eines Handwerkes in der Stadt. Juden konnten in eine christliche Zunft nicht aufgenommen werden, weil diese Vereinigung auch religiösen Zwecken diente. So war es Pflicht, an Gottesdiensten, Fronleichnamsprozessionen, Beerdigungen usw. teilzunehmen, was bei Vertretern des jüdischen Glaubens eher ausgeschlossen war.

Zusammenfassend sind der gut lesbare Aufbau und die klare narrative Struktur des Buches bei entsprechendem Einsatz der vergleichenden Methode hervorzuheben. Es ist kein Buch, in dem ein „polnischer“ Teil vom „deutschen“ getrennt behandelt wird, wie dies bisweilen in Gemeinschaftspublikationen der Fall ist. Hier ist die Teamarbeit dieser zwei ausgezeichneten Historiker klar zu erkennen. Die Autoren schließen ihre Betrachtungen jedoch nicht mit der Frühen Neuzeit, sondern gehen mutig weiter bis in unsere modernen Zeiten, wobei auch die Entstehung vieler Stereotypen erörtert wird, darunter auch des wohl heute noch populärstendesjenigen von der „polnischen Wirtschaft“. Es war sicher nicht leicht, eine Synthese der deutsch-polnischen Beziehungen über Jahrhunderte in so komprimierter Form zu schreiben. Viele Aspekte mussten unbeachtet bleiben. Beispielsweise werden die Entstehung und die Entwicklung des Chassidismus in Polen nicht erörtert, dafür wird eine andere jüdische Bewegung – der Frankismus – breiter dargestellt, da dieser auch in deutschen Landen Analogien aufwies. Sonstige Bewegungen werden eher lapidar abgehandelt. Das Bestreben nach einer kohärenten Form hat dabei auch seine negativen Seiten. Beispielsweise heißt es über Tadeusz Kościuszko, dass er „1794 [] in russische Gefangenschaft [geriet], aus der er 1796 freigelassen wurde“ (S. 191). Es wird jedoch nicht klar, warum er so schnell wieder freigelassen wurde, und ich bin nicht überzeugt, dass die Mehrheit der Leser diese Tatsache mit dem Wechsel auf dem russischen Thron und dem neuen Zaren Pavel I. assoziiert, der aus Bosheit gegenüber seiner verhassten, mittlerweile verstorbenen Mutter Katharina der Großen eine Amnestie erklärt hatte. In dem vorliegenden Buch kommt es zu Wiederholungen und Ungenauigkeiten. So lesen wir z.B. auf S. 37, dass in Polen-Litauen 1765/1765 etwa 750.000 Juden lebten, was „8–10 % der gesamten Bevölkerung“ ausgemacht habe. Dieselbe Zahl wird auch auf S. 156 angegeben, wobei hier aber der „Anteil der Juden an der gesamten Bevölkerung“ auf 6–7 % beziffert wird. Zwei Mal (S. 37 und S. 157) wird die Zwangsumsiedlung der Krakauer Juden in das benachbarte Kazimierz (damals keine Vorstadt) im Jahr 1494 beschrieben. Einige der Gedankengänge des Abschnittes „Menschen und Migrationen“ finden sich auch im zweiten Teil des Buches, und zwar im Abschnitt „Mobilität und Kulturtransfer“.

Diese kritischen Anmerkungen entspringen der Rezensentenpflicht und sollen unsere hohe Wertschätzung für dieses Buch in keiner Weise verdunkeln. Vielmehr bestätigt es unsere Überzeugung, dass die Forschung zu den deutsch-polnischen Beziehungen im vorindustriellen Zeitalter erst am Anfang steht und ihr Reichtum und positiver Ertrag bisher weder ausreichend erkannt und gewürdigt, noch in einem breiteren Rahmen bekannt gemacht worden ist.

Zdzisław Noga, Kraków

Zitierweise: Zdzisław Noga über: Hans-Jürgen Bömelburg / Edmund Kizik: Deutsch-polnische Geschichte – Frühe Neuzeit. Bd. 2: Altes Reich und alte Republik. Deutsch-polnische Beziehungen und Verflechtungen 1500–1806. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014. 216 S., 3 Ktn., 8 Abb. ISBN: 978-3-534-24763-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Noga_Boemelburg_Deutsch-polnische_Geschichte_2.html (Datum des Seitenbesuchs)

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