Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 62 (2014), 1, S. 139

Verfasst von: Viktor Nerlich

Helmut Wilhelm Schaller: Geschichte der Slawischen und Baltischen Philologie an der Universität Königsberg. Frankfurt/Main, Berlin, Bern [usw.]: Lang. 2009, 193 S., 16 Abb. = Symbolae Slavicae, 28. ISBN: 978-3-631-57701-1.

Trotz zahlreicher Veröffentlichungen in den vergangenen 15 bis 20 Jahren liegen noch immer viele Aspekte der Königsberger Universitätsgeschichte „wie ein versunkenes Vineta“ (Christian Tilitzki) im Dunkeln und harren einer historiographischen Aufarbeitung. Daher ist es erfreulich, dass sich Helmut Wilhelm Schaller der Geschichte der slawischen und baltischen Philologie an der Albertus-Universität zu Königsberg angenommen hat. Die Königsberger Slawistik/Baltistik ist engstens mit der Lage und Bevölkerung Ostpreußens verbunden, die nicht nur Deutsch, sondern u.a. auch Polnisch, Litauisch oder Masurisch sprach. Die Vielsprachigkeit beeinflusste auch die 1544 gegründete Albertina, die sowohl die Ausbildung regionaler Eliten in Verwaltung und Seelsorge sicherstellen als auch die reformatorische Idee gegenüber den polnisch-litauischen Nachbarn zur Geltung bringen sollte. All dies bildet den Ausgangspunkt für die Entwicklung der slawischen und baltischen Philologie in Königsberg, die zugleich einen Teil deutsch-slawisch-baltischer Beziehungsgeschichte illustriert, die weit über den Bereich einer Disziplingeschichte hinausgreift. Schallers Buch ist jedoch im Wesentlichen eine reine Fachgeschichte. Hierfür hat er verschiedenste, vor allem gedruckte Quellen zur Geschichte der slawischen und baltischen Philologie an der Albertina zusammengetragen und deren institutionelle, personelle und wissenschaftliche Entwicklung chronologisch von den Anfängen bis zu ihrem Ende 1945 nachgezeichnet. Besonderes Augenmerk hat er dabei auf die Forschungen zum Altpreußischen und die starke Ausprägung der baltischen Philologie an der Albertus-Universität gelegt.

Aus historiographischer Sicht ist Schallers Studie ambivalent. Am problematischsten ist die kontinuierliche positivistische Verwendung der Quellen und die damit verbundene Vernachlässigung historisch-kritischer Methoden. Geradezu ermüdend sind die sich teilweise über mehrere Seiten erstreckenden Auszüge aus Aktenstücken oder Aufsätzen, zumal Schaller auf Quellenkritik oder Kontextualisierung ganz überwiegend verzichtet. Auch die von ihm vorgenommene Einordnung der Königsberger Slawis­tik / Bal­tistik in die deutsche Osteuropa-Forschung verharrt an der Oberfläche, indem sie sich vor allem auf Struktur- und Personalfragen konzentriert. Insoweit kommt Schaller über den gegenwärtigen Forschungsstand nicht hinaus. Störend ist darüber hinaus die teilweise sprunghafte und zusammenhanglose Darstellungsweise; ärgerlich ist es, wenn wichtige Aussagen zum Teil ohne jeden Quellenbeleg getroffen werden. Der Vorzug der Abhandlung liegt indes darin, dass Schaller viele Quellen zusammengetragen hat, die dem Nichtphilologen wohl sonst verborgen geblieben wären. Gerade aber die von ihm nachgewiesenen Erträge der Königsberger Slawistik/Baltistik enthalten Aussagen, die auch für die sozial- und mentalitätshistorische Erforschung Ostpreußens bzw. des deutsch-polnisch-litauischen Verhältnisses von Bedeutung sein dürften. Das zeigt sich u.a. an den Ausführungen über die sprachgeschichtlichen Untersuchungen Königsberger Philologen zu den ost- und altpreußischen Idiomen. Der Wert dieser Arbeiten geht zum Teil weit über linguistische Erkenntnisse hinaus und stellt daher auch für Historiker eine unmittelbare Quelle dar. Schaller würdigt darüber hinaus ausgiebig Leben und Werk der bedeutendsten Königsberger Slawisten und Baltisten und lenkt zudem seine Aufmerksamkeit auf Unterrichtsabläufe und Lehrinhalte ihrer Disziplinen. Auch das trägt dazu bei, dass Schallers Buch trotz aller Kritik „Vineta“ etwas sichtbarer macht.

Viktor Nerlich, Berlin

Zitierweise: Viktor Nerlich über: Helmut Wilhelm Schaller: Geschichte der Slawischen und Baltischen Philologie an der Universität Königsberg. Frankfurt/Main, Berlin, Bern [usw.]: Lang. 2009, 193 S., 16 Abb. = Symbolae Slavicae, 28. ISBN: 978-3-631-57701-1, http://www.oei-dokumente.de/JGO/Rez/Nerlich_Schaller_Slawische_und_Baltische_Philologie.html (Datum des Seitenbesuchs)

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