Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 3, S. 492-493

Verfasst von: Viktor Nerlich

 

Den Blick nach Osten weiten. 50 Jahre Slavisches Seminar der Universität Zürich (1961–2011). Hrsg. von Peter Brang / German Ritz / Sylvia Sasse / Daniel Weiss. Zürich: Chronos, 2011. 220 S., Abb. ISBN: 978-3-0340-1099-3.

Warum sollte man alsim Idealfall von der slavischen Philologie kommender und also mit deren fachlichen wie methodischen Besonderheiten vertrauterHistoriker zur vorliegenden Festschrift greifen? Obwohl die Schweiz insbesondere zu Russland seit Ausgang des 18. Jahrhunderts vielfältige Verbindungen hatte, gelang es der Slavistik lange Zeit nicht, sich in dem Alpenland zu institutionalisieren. Lediglich vereinzelt und gemäß den Vorlieben der jeweiligen Forscher wurde sie in Lehrveranstaltungen vermittelt. Erst zum Sommersemester 1961, angesichts der gewachsenen Bedeutung der osteuropäisch-slavischen Welt auch für die Eidgenossenschaft, wurde aus Anlass der Berufung Peter Brangs (geb. 1924) das Slavische Seminar an der Universität Zürich gegründet. Brang vertrat zunächst sowohl den linguistischen als auch literarischen Zweig, ehe 1974 ein eigener Lehrstuhl für Slavische Sprachwissenschaft geschaffen und mit Robert Zett (19352010) besetzt wurde. Brang verstand slavische Philologie als Erforschung der Sprachen und Literaturen vor dem Hintergrund der Geschichte und Kultur der slavischen Völker. Das Seminar kooperierte daher immer wieder mit der Zürcher osteuropäischen Geschichte, die 1971 einen eigenen Lehrstuhl (besetzt mit dem 1937 geborenen Carsten Goehrke) erhielt. Über diese Entwicklungen, darunter auch den Anteil des Seminars an der Förderung des Russischunterrichts in Schweizer Schulen sowie die Einbindung der Schweizer Slavistik in die internationalen Forschungsverbünde, weiß der Beitrag Brangs anschaulich und detailreich zu berichten. Das Interview, das Sylvia Sasse mit dem Nestor der Zürcher Slavistik zusätzlich geführt hat, ergänzt seine Erinnerungen kurzweilig, aber sinnvoll, und enthält vor allem in den Zwischentönen Details, aus denen der interessierte Historiker die eine oder andere Anregung wird entnehmen können.

Mit dem Umbruch in Osteuropa 1989/90 änderten sich, wie andernorts auch, die Rahmenbedingungen der Zürcher Slavistik. Zudem verließen bis 1993 nacheinander Brang und Zett aus Alters- bzw. gesundheitlichen Gründen ihre Lehrstühle. Über die nun folgende Phase bis heute berichtet German Ritz, der das Seminar seit seiner Studienzeit kennt und jetzt als Professor dort arbeitet. Ritz schreibt in seiner inhaltlich wenig überraschenden Bestandsaufnahme von derNormalisierungder Slavistik in den neunziger Jahren, von den strukturellen Veränderungen am Seminar und in den Prüfungsordnungen sowie von Gastdozenten aus und Exkursionen in die slavische Welt. Anderes, was man als Historiker jenseits der engeren Fachgrenzen ebenfalls gern (oder lieber?) erführe, bleibt demgegenüber offen, so z.B., ob und wie sich der tiefgreifende politische, gesellschaftliche und kulturelle Wandel in Osteuropa in den neunziger Jahren auf Forschung, Lehre und Studium der interdisziplinär orientierten Slavistik in Zürich ausgewirkt hat. In Ansätzen hilft diesbezüglich nur der Erfahrungsbericht von Jochen-Ulrich Peters weiter, der von 1991 bis 2008 in Zürich wirkte. Sein Beitrag sowie diejenigen von sieben seiner Kollegen runden den Gesamtblick ab und verfolgen den Zweck, diePerspektive [zu] öffnen und individuell [zu] akzentuieren(S. 88). Das ist für künftige historische Forschungen zweifellos inspirierend, auch wenn der Aussagegehalt dieser Memoiren, insoweit den sich anschließenden Interviews nicht unähnlich, naturgemäß von unterschiedlichem Wert ist. Insgesamt aber ist den Herausgebern gleichwohl eine anschauliche und in weiten Teilen auch inhaltsreiche Dokumentation zu einem halben Jahrhundert Slavistik in Zürich gelungen.

Viktor Nerlich, Berlin

Zitierweise: Viktor Nerlich über: Den Blick nach Osten weiten. 50 Jahre Slavisches Seminar der Universität Zürich (1961–2011). Hrsg. von Peter Brang / German Ritz / Sylvia Sasse / Daniel Weiss. Zürich: Chronos, 2011. 220 S., Abb. ISBN: 978-3-0340-1099-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Nerlich_Brang_Den_Blick_nach_Osten_weiten.html (Datum des Seitenbesuchs)

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