Susan Gross Solomon (Hrsg.) Doing Medicine Together. Germany and Russia between the Wars. University of Toronto Press Toronto, Buffalo, London 2006. XIII, 533 S., 5 Abb., 1 Tab. = German and European Studies, 4.

Der Sammelband ist aus Kongressen angelsächsischer, russischer und deutscher Historiker/innen zur deutsch-sowjetischen medizinischen Beziehungsgeschichte hervorgegangen und vereinigt zwölf Beiträge zu den engen Kontakten deutscher und sowjetischer Mediziner und Wissenschaftler aus medizinischen Teildisziplinen seit 1921. Wie die Herausgeberin in ihrer Einführung betont, fanden im Umkreis der deutsch-sowjetischen Annäherung von Rapallo Politiker und Wissenschaftler beider Länder, nach dem Weltkrieg auf dem internationalen wie wissenschaftlichen Parkett politisch isoliert, rasch zueinander. Im „Geist von Rapallo“ wurde eine etwa zehnjährige Kooperation eingeleitet, die beiden Seiten konkrete Vorteile und ein weitgehend reibungsloses Zusammenarbeiten eröffnete. Dies war möglich, weil die 1922 beginnende Phase gerade in den medizinischen Wissenschaften auf schon lange vor dem Ersten Weltkrieg eingespielten, belastbaren Verbindungen aufbauen konnte. Sie werden sporadisch von einzelnen Beiträgern erwähnt. Dass die deutsche Hungerhilfe für Sowjetrussland, die 1921 quasi als Seuchenbekämpfung und Hygiene-Beratung anlief, ein weiterer wichtiger Baustein war, wird eher am Rande berührt.

Die ausgreifenden Aufsätze sind in vier thematische Blöcke mit chronologischer Struktur gefasst: Der Oxforder Medizinhistoriker Paul Weindling bespricht die Übergangszeit, die deutschen Erfahrungen und Schlüsse aus der Weltkriegszeit und dem Osten, sowie die Anbahnung der Kontakte. Die Wissenschaftshistorikerin Marina Sorokina behandelt die Umstände der 200-Jahrfeier der Russischen Akade­mie der Wissenschaften im Jahre 1925, bei der die deutsche die größte aller eingeladenen ausländischen Delegationen war. Michael David-Fox untersucht anhand der „Allrussischen Gesell­schaft für Kulturbeziehungen“ (VOKS) und deutscher Kulturorganisationen mit osteuropäischer Ausrichtung die politischen Konjunkturen in der Weimarer Republik für die Zusammenarbeit mit Russland. Neben die von Otto Hoetzsch ge­leitete „Deutsche Gesellschaft zum Studium Ost­europas“ trat eine von Moskau gesteuerte „Ge­sellschaft der Freunde des Neuen Russland“, später noch die „Arbeitsgemeinschaft zum Studium der Sowjetischen Planwirtschaft“. Sowjetisch-deutscher Austausch und Kontakte erlahmten nach Beginn von Stalins Diktatur zusehends, nach der Machtergreifung der Nazis brachen sie weitgehend ab. Doch bis dahin standen die deutschen Wissenschaftler im Sowjetstaat vor allen anderen Ausländern im Vordergrund.

Der zweite Block ist dem bedeutendsten und langlebigsten Exponenten der sowjetisch-deut­schen Zusammenarbeit gewidmet, dem Hygieni­ker und „Erfinder“ der Geomedizin Heinz Zeiss, der von 1921 bis 1931 überwiegend in Russland arbeitete, forschte und publizierte. Elizabeth Hachten, Wolfgang Eckert, Susan G. Solo­mon und Sabine Schlei­er­ma­cher (so?) beleuchten in ihren Beiträgen die vielen wissenschaftlichen und politischen Seiten in der russischen Karriere des schillernden Mannes, der nach seiner Vertreibung aus Sowjetrussland als NSDAP-Mitglied zunächst hochrangiger Wehr­machts­arzt wurde, bei Kriegsende aber in Berlin von den Sowjets nach Russland gebracht und we­gen Spionage angeklagt wurde.

Der dritte Block widmet sich zwei Fallbeispielen, der Geschichte der Hirnforschungszentren in Berlin, von Oskar Vogt 1919 als Kaiser-Wil­helm-Institut gegründet, und in Moskau, das zunächst Lenins Hirn analysieren sollte (Jochen Richter). Die sowjetisch-deutsche Gemeinsam­keit der Partnerinstitute blieb hier am längsten, nämlich bis 1935 erhalten. Keinen Erfolg erzielte Russland dagegen mit dem Versuch, den 17. Internationalen Genetik-Kongress 1937 in Moskau auszurichten (Nikolai Krementsov). Wegen der zwischen angelsächsischen, deutschen und sowjetischen Wissenschaftlern politisch um­strittenen Eugenik fand er schließlich 1939 in Schottland statt.

Der letzte Block stellt Fälle wissenschaftlicher Emigration aus Deutschland nach Sowjetrussland nach 1933 vor, so des Neuromediziners Louis Jacobsohn-Lask (Ulrike Eisenberg) und die Kollektivbiographie von 58 deutsch-jüdi­schen Ärzten, die zwischen 1934 und 1937 in Russ­land arbeiteten (Carola Tischler).

Die Beiträge sind beeindruckend gründlich und detailliert erarbeitet, viele basieren auf deutschen und russischen Archivalien und erhellen die Biographien bedeutender Wissenschaftler und Wissenschaftsfunktionäre wie S. Ol’den­burg, A. Lunačarskij, N. Semaško u.a. Der Band lässt nur wenige Wünsche offen, wie etwa nach einem Foto von Heinz Zeiss oder nach mehr über die russisch-deutschen Kontakte auf medizinisch-na­turwissenschaftlichem Gebiet in der Vorkriegs­zeit. Übrigens sind diese Kontakte auch während des Ersten Weltkrieges nie völlig erloschen. Unausgesprochen wirft der Band die Frage auf, auf welchen weiteren Feldern das deutsch-russische Zusammengehen ähnlich intensiv und fruchtbar verlief. Es scheint, dass dies auf dem Gebiet der Naturwissenschaft mit konkretem Nutzen am besten möglich war. Die geheim gehaltene militärische Zusammenarbeit, die mit Blick auf die spätere Aufrüstung der Wehrmacht und den Überfall auf die Sowjetunion negativ konnotiert ist, oder die wirtschaftlichen Gemeinschaftsunternehmen nehmen sich nicht so glänzend aus. Aber auch in den medizinisch-naturwissenschaftlichen Beziehungen, die bis Anfang der dreißiger Jahre als erfolgreich an­gesehen werden können, gab es zunehmend po­litisch bedingte Friktionen. Auch unterstreicht Susan Solomon, dass es sich streckenweise – vor allem nach dem Abgang des deutschen Botschafters und eindringlichsten Befürworters einer deutsch-russischen Traditionsbeziehung, Graf Brockdorff-Rantzau – um eine von Deutsch­land nur als Notlösung gesehene Verbindung handelte.

Reinhard Nachtigal, Freiburg

Zitierweise: Reinhard Nachtigall über: Susan Gross Solomon (Hrsg.) Doing Medicine Together. Germany and Russia Between the Wars. University of Toronto Press Toronto, Buffalo, London 2006. XIII, 533 S., 5 Abb., 1 Tab. = German and European Studies, 4. ISBN: 978-0-8020-9171-0, in: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Nachtigal_Gross_Solomon_Doing_Medicine_Together.html (Datum des Seitenbesuchs)