Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Christoph Mick

 

Karl Schlögel (Hrsg.) Russian-German Special Relations in the Twentieth Century. A Closed Chapter? Berg Publishers Oxford, New York 2006. XI, 222 S. = German Historical Perspectives, XIX. ISBN: 978-1-8452-0177-7.

Deutsche historische Forschung wird im Ausland kaum wahrgenommen. Nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften hat sich Englisch als lingua franca durchgesetzt. Wer außerhalb Deutschlands, Österreichs und der Schweiz gehört werden will, muss auf Englisch publizieren. Deshalb ist es verdienstvoll, dass Berg Publishers seit einigen Jahren eine Reihe herausgibt, in denen deutsche Forschung einem englischsprachigen Publikum zugänglich gemacht wird. Leider beschränkt sich die Reihe auf Aufsätze zur deutschen Geschichte. Dies ist für die internationale Forschung weniger relevant. Gute Deutschlandhistoriker können Deutsch, aber immerhin sind solche Bände nützlich für die Lehre. Wichtiger wären jedoch englischsprachige Aufsätze deutscher Historikerinnen und Historiker zu Gebieten, in denen Deutschkenntnisse wenig verbreitet sind. Die gängigen englischsprachigen Sammelbände zu neuen Perspektiven in der Stalinismus-Forschung oder zur Geschichte des Russländischen Reiches beispielsweise kommen in der Regel ohne Beiträge von Forschern aus, die in Deutschland lehren.

Der vorliegende Sammelband wurde von Karl Schlögel herausgegeben und basiert auf einer Konferenz in Oxford im Jahre 2002. Die Aufsätze behandeln die deutsch-russischen Sonderbeziehungen im 20. Jahrhundert. Der Untertitel fragt danach, ob diese ein abgeschlossenes Kapitel darstellten, doch kein Beitrag diskutiert diese Frage näher. Leider folgen die Aufsätze keinem einheitlichen Standard. Karl Schlögel hat die Einleitung seines Bandes zur russischen Emigration in Deutschland übersetzen lassen und um einen kleinen bibliographischen Essay erweitert. Die Beiträge beruhen auf Forschungen der Autoren, aber nicht alle verfügen über einen wissenschaftlichen Apparat. Ohne Fußnoten sind die Aufsätze jedoch nur die Hälfte wert. Nicht auf Fußnoten verzichtet hat Dittmar Dahl­mann, der die Welt deutscher Industrieller und Wissenschaftler im vorrevolutionären Russ­land beleuchtet. Carola Tischler stellt ihre Forschungen zu deutschen politischen Flüchtlingen in der Sowjetunion der dreißiger Jahre vor, von denen viele Opfer des stalinistischen Terrors wurden. Die beiden interessantesten Artikel stammen von Viktor Krieger und Elke Scherstjanoi. Viktor Krieger untersucht die systematische Verfolgung der Russlanddeutschen in der Sowjetunion nach dem deutschen Überfall. Während bereits in den „nationalen Operationen“ der Jahre 1937 bis 1940 die „Ethnisierung des Stalinismus“ deutlich geworden war und Deutsche neben anderen „Diaspora-Nationen“ weit überproportional vom Terror betroffen waren, nahmen nach dem 22. Juni 1941 die Repressionen eine neue Dimension an. Die Staatsführung befahl, alle Russlanddeutsche in Arbeitslager zu bringen. Klassenkampfrhetorik und Internationalismus hatten nach wie vor ihren Platz in der Propaganda, aber während des Krieges trafen die stalinistischen Repressionen vor allem national oder ethnisch definierte Gruppen. Mit dem Ende des „Großen Vaterländischen Krieges“ beschäftigt sich Elke Schers­tja­noi. Sie analysiert Briefe, die sowjetische Soldaten im Frühjahr 1945 auf ihrem Vormarsch in Deutschland nach Hause schickten. Diese Briefe sind eine faszinierende Lektüre und zeigen wie sehr die Soldaten die Wirklichkeit durch eine ideologische Brille wahrnahmen. Sie führten den unerwarteten Komfort, der ihnen im deutschen Alltagsleben begegnete, auf die Ausbeutung Europas zurück. Damit konnten sie potentiell systemkritischen Vergleichen zwischen der Lebenswirklichkeit in der Sowjetunion und dem kapitalistischen Deutschland ausweichen.

Der Band stellt einen lobenswerten Versuch dar, deutsche historische Forschung im Ausland zu vermitteln, doch sollte künftig mehr Sorgfalt auf die Auswahl und die Gestaltung der Beiträge gelegt werden.

Christoph Mick, Coventry, Großbritannien

Zitierweise: Christoph Mick über: Karl Schlögel (Hrsg.) Russian-German Special Relations in the Twentieth Century. A Closed Chapter? Berg Publishers Oxford, New York 2006. XI, 222 S. = German Historical Perspectives, XIX. ISBN: 978-1-8452-0177-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Mick_Schloegel_Russian-German_Special_Relations.html (Datum des Seitenbesuchs)

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