Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 3, S. 503-505

Verfasst von: Olaf Mertelsmann

 

Karel C. Berkhoff: Motherland in Danger. Soviet Propaganda During World War II. Cambridge, MA, London: Harvard University Press, 2012. 407 S. ISBN: 978-0-674-04924-6.

Karel C. Berkhoff möchte einen Beitrag zur Lösung der Frage leisten, warum die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg gegen Hitler gewann, indem er sich mit der sowjetischen Propaganda jener Zeit gründlich wie niemand bisher zuvor befasst. Dies ist ein löbliches Unterfangen und der Verfasser stützt sich dabei nicht nur auf eine Auswertung der Medien sowie der Fachliteratur, sondern zieht ebenso sowjetische Archivquellen, die den Hintergrund von Zensur und Propaganda beleuchten, heran. Doch einige Schwachpunkte der Arbeit lassen sich nicht übersehen. Abgesehen vom Schutzumschlag fehlen Illustrationen leider vollkommen. Somit kann der Leser keinen visuellen Eindruck der sowjetischen Propaganda gewinnen. Weiterhin widmet Berkhoff der Rezeption durch die Adressaten wenig Aufmerksamkeit. An einigen Stellen zitiert er Berichte zur Stimmungslage. Warum hat er nicht versucht, mit Hilfe der wenigen überlieferten Tagebücher und einer weit größeren Zahl von Lebenserinnerungen oder lebensgeschichtlichen Interviews der Wirkung von Propaganda auf die Sowjetbürger nachzuspüren? Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Verfasser zu sehr als Historiker agiert und kaum Theorien oder Modelle aus den Medien- und Kommunikationswissenschaften aufgreift.

Die Einleitung ist zu knapp gehalten, um wirklich in das Thema einzuführen. Der Verfasser beginnt sie gar mit der überzogenen Behauptung, der Sieg der Sowjetunion über Nazideutschland sei „eine der am wenigsten verstandenen Angelegenheiten in der modernen europäischen Geschichte“ (S. 1). In jeder gut bestückten Fachbibliothek finden sich hierauf ausreichend Antworten. Es geht Berkhoff aber darum zu untersuchen, wie das unpopuläre Regime Stalins die Bevölkerung für den Kriegseinsatz mobilisieren konnte. Dafür waren Medien, Propaganda und schierer Druck von oben notwendig.

Im ersten Kapitel geht der Verfasser detaillierter auf die Propaganda des Stalinismus ein. Sie sei ein System der Kontrolle und Mobilisierung gewesen. Er liefert einen Einblick in Strukturen und kann auf der Basis von Archivalien einen gewissen Überblick über die sowjetische Medienlandschaft während des Kriegs geben. Hierbei geht er aber kaum auf die Programminhalte des Radios ein, nach den Zeitungen des zweitwichtigsten Medienkanals der UdSSR, und bleibt weitgehend deskriptiv.

Die Darstellung wird interessanter, wenn der Autor sich in den folgenden Kapiteln den konkreten Medienberichten widmet, jedoch bleibt sie oftmals beschreibend. Für den Leser wirkt die fortlaufende Nacherzählung von sowjetischen Propagandainhalten eindeutig ermüdend. Die sowjetische Frontberichterstattung litt unter der strengen Auswahl dessen, was sie erwähnen durfte, und unter dem Zwang zur immerwährenden Betonung des Heroismus an der Front, so dass sie relativ schnell an Glaubwürdigkeit einbüßte. Selbst die eigenen Verlustzahlen waren fiktional, und eigene Niederlagen tauchten in den Medien nicht auf. Ausführlich beschreibt Berkhoff, wie Helden konstruiert wurden, und räumt ein, einige Sowjetbürger könnten davon inspiriert worden sein. Da auch das Hinterland zum Ort der universellen Zwangsarbeit und der Not wurde, kontrastiert der Autor die Maßnahmen der zunehmenden Verschärfung der Lebens- und Arbeitsbedingungen mit den Aufmunterungen zum selbstlosen Arbeitseinsatz oder zum sozialistischen Wettbewerb. Während durch die schnell einsetzende Rationierung des Lebensnotwendigen und die zunehmenden Engpässe die Lebensumstände in der unbesetzten Sowjetunion immer schlechter wurden, setzten die Medien auf die Propagierung von Staatsanleihen. Im Zusammenhang mit dem Alltag des Hinterlandes wären Ego-Dokumente sehr hilfreich gewesen.

Ein gefundenes Futter für die sowjetische Propaganda lieferte Hitler mit den sofort einsetzenden Kriegsverbrechen sowie dem Genozid an den Juden. Diese Taten wurden dem sowjetischen Publikum umfangreich ausgebreitet, wobei sich Realität und Fiktion vermischten. Die Brutalität des deutschen Vorgehens war sicherlich ein Hauptgrund für die Mobilisierung der sowjetischen Bevölkerung auf Seiten des ungeliebten Regimes Stalins. Ausführlich widmet sich Berkhoff auch der Widerspiegelung des Holocaust in sowjetischen Medien. Entgegen verbreiteten Vorstellungen wurde das Schicksal der Juden von sowjetischer Seite nicht verschwiegen. Allerdings bestand keine einheitliche Politik, teilweise wurden Juden als Opfer  des Faschismus hervorgehoben, mitunter wurden sie als friedliche Sowjetbürger oder einfache Bürger anderer Staaten dargestellt.

Das siebte Kapitel widmet sich der Konstruktion von Hass auf den Feind, der enthumanisiert werden sollte. Hierbei führt der Autor auch Vergleiche mit Großbritannien und den USA an. Während anfangs noch zwischen den deutschen Aggressoren und der deutschen Zivilbevölkerung unterschieden wurde, radikalisierte sich die sowjetische Propaganda allmählich. 1943 trat dann das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ in Erscheinung und komplizierte die Situation. Ausführlich geht Berkhoff auch auf den Fall des Schriftstellers und Propagandisten Il’ja Ehrenburg ein, dessen Artikel ein wesentlicher Teil der Hasspropaganda waren.

Der Krieg führte zu einem Ansteigen des Russozentrismus in den Medien, doch auch für andere sowjetischen Nationalitäten wurde die Propaganda nationalistischer und die Verwendung der entsprechenden Symbole und Mythen immer häufiger. Berkhoff sieht darin eine Tendenz und noch keine gesonderte Politik. Auch die Frage, was mit den Bewohnern der besetzten Gebiete nach der Befreiung zu tun sei, wurde in den sowjetischen Medien behandelt. Wie weit ging die Kooperation oder gar die Kollaboration mit dem Feind? Wobei der letztere Ausdruck noch nicht zum sowjetischen Sprachgebrauch gehörte. Berkhoff zeichnet auch das Bild der Alliierten in den sowjetischen Medien nach, wobei die Rolle der Polen verständlicherweise problematisch war. Die Frage der Zweiten Front stand sicherlich an erster Stelle, und kleinere Unstimmigkeiten mit den Westalliierten führten sofort zu einem scharfen Ton.

Berkhoffs Vorgehensweise kann für den Leser mitunter etwas ermüdend sein. Ein Thema nach dem anderen arbeitet er anhand der sowjetischen Medienberichterstattung ab. Er zitiert oder paraphrasiert. Er beschreibt, aber er analysiert zu wenig. Seine knappen Schlussfolgerungen können eine gründlichere Interpretation nicht ersetzen. Der Autor kommt selbst zu dem Schluss, dass die sowjetische Propaganda womöglich nicht sehr erfolgreich war und vor allem die deutschen Verbrechen wesentlich zur Mobilisierung der Bevölkerung beitrugen. Angesichts des Verhältnisses von sowjetischen Medieninhalten zur Realität ist dies kein unerwartetes Ergebnis.

Zusammenfassend gesagt: Das zu besprechende Buch füllt zwar eine Lücke, doch dies erfolgt nicht auf eine rundum gelungene Art und Weise. Der Autor hätte sich intensiver mit der Analyse von sowjetischer Propaganda, auch mit Hilfe von Theorien und Modellen, beschäftigen und weniger Beschreibung liefern sollen.

Olaf Mertelsmann, Tartu

Zitierweise: Olaf Mertelsmann über: Karel C. Berkhoff: Motherland in Danger. Soviet Propaganda During World War II. Cambridge, MA, London: Harvard University Press, 2012. 407 S. ISBN: 978-0-674-04924-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Mertelsmann_Berkhoff_Motherland_in_Danger.html (Datum des Seitenbesuchs)

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