Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 57 (2009) H. 3, S.  435-436

Cornelia Skodock Barock in Russland. Zum Œuvre des Hofarchitekten Francesco Bartolomeo Rastrelli. Mit Werkkatalog auf CD-ROM. Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2006. 298 S., 1 Farbabb., 36 s/w-Abb. = Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes München. Reihe: Geschichte, 70, ISBN: 978-3-447-05304-4

Die Architekturgeschichte Russlands ist in westlichen Sprachen bisher wenig erschlossen und ihre publizierte Darstellung aus ost- wie aus westeuropäischer Feder ist zudem stark von überkommenen Stereotypen geprägt. Cornelia Skodock stellt mit ihrer Dissertation erstmals eine quellengestützte systematische Architektenmonographie zur Verfügung und ermöglicht so den wissenschaftlichen Einstieg in die weitere Erforschung der Barockarchitektur im nachpetrinischen Russland. Sie rekonstruiert lückenlos das umfängliche, von ca. 1720 bis 1762 reichende Gesamtwerk des Architekten und präsentiert es in einem vorbildlich gearbeiteten Katalog (der freilich nur digital vorliegt). Im Buch werden ausgewählte Werke vorgestellt und vor allem im Hinblick auf die Frage nach Rastrellis stilistischer Orientierung ausführlich erörtert. Die Auswahl richtete sich einerseits nach der Dichte der überlieferten Dokumentation, die – wie im Fall der kaiserlichen Sommerresidenz in Carskoe Selo oder des Winterpalastes in St. Petersburg – mit der Prominenz der Bauten zusammenfällt; andererseits repräsentiert sie das gesamte Spektrum der von Rastrelli bedienten Bauaufgaben einschließlich Sakralbauten (u. a. Smoľnyj-Kloster) und städtischer wie ländlicher Adelsresidenzen (Palais Vo­ron­cov und Stroganov in St. Petersburg; Biron-Schlösser in Rundale und Jelgava, Kurland). Eingeleitet werden die architekturgeschichtlichen Ausführungen durch eine Rekonstruktion der Biographie Rastrellis, die ein umfangreicher Anhang edierter Quellen illustriert, sowie vor allem durch konzise Information über Bedingungen und Strukturen des Bauwesens in den Hauptstädten des Zarenreiches in der Folge der petrinischen Re­form­ansätze. Hier beschreibt die Autorin, stets auf solider Quellenbasis, die Organisation und Funktionsweise der ab 1706 etablierten Bauverwaltung. Gleichermaßen wesentlich für ein Verständnis der spezifischen Stilausprägung des Barock in Russland ist die Auskunft über traditionelle Verfahrensweisen der Planung und Bauausführung, die, bauhüttenähnlich organisiert, ohne das Instrument der Planzeichnung auskamen. Diese Verfahren wurden, so Skodock, erst allmählich, maßgeblich unter Rastrellis Ägide, durch ‚westliche‘ Entwurfsmethoden ersetzt, welche auch den Auftraggebern eine neue Rolle zuwiesen: Die Aufspaltung von Projektierung und Realisierung in zwei Schritte ermöglichte Partizipation am Entwurfsprozess – und verlangte zugleich den Bauherren ein ungekanntes Maß an Kompetenz ab, das erst der Einübung bedurfte. Schließlich weist Skodock mit Recht auf infrastrukturelle Einschränkungen wie die mangelnde Verfügbarkeit etlicher der für eine Adaption ‚westlicher‘ Barockarchitektur und Raumkunst erforderlichen Materialien (u. a. Spiegelglas, Marmor, Stuck) sowie der entsprechenden (kunst-)handwerklichen Fertigkeiten hin, die für langfristiges Überdauern und hohe Akzeptanz der Holzbauweise auch bei hochrangigen Bauaufgaben sorgten und die, nicht zuletzt, eine ‚Recycling-Kultur‘ zeitigten, die formalästhetische Innovation als Prozess wie auch als Ideal spürbar relativierte.

Als charakteristische Züge der Architektur Rastrellis – und damit zugleich des Spätbarock vor der Neuorientierung unter Katharina II. – konstatiert die Autorin eine im Horizont der einheimischen Baugewohnheiten neuartige, aus Sicht ‚westlicher‘ Entwicklungen jedoch deutlich retardierte Typologie besonders der Residenzbauten, ferner eine synkretistische Handhabung von ‚importiertem‘ und traditionellem Motivvokabular, die mit der Umdeutung architektonischer Elemente ins Dekorative einherging, und schließlich das weitgehende Ausbleiben einer Entwicklung im Verlauf der recht langen Schaffensphase. Lässt sich das Festhalten an frühbarocken Schemata dadurch erklären, dass Rastrelli seit seinem sechzehnten Lebensjahr, als er als Lehrling seines Vaters aus Paris nach Russland gekommen war, keinen direkten Kontakt mit der Architektur im ‚Westen‘ mehr hatte und daher den eine Generation zurückliegenden Stand reproduzierte, bedürfen andererseits die von Skodock in Fülle aufgezeigten Zitate und Paraphrasen oder auch Parallelen aktueller Motivfindungen in Frankreich und Italien, aber auch in Süddeutschland, Österreich und Böhmen, weiterer Untersuchungen vor allem der Formen und Medien von Kommunikation und Information. Dies betrifft nicht zuletzt auch die Ansprüche der Auftraggeber und den Rahmen, in dem sich diese entwickeln konnten. Für beides hat Cornelia Skodocks Buch eine ebenso solide wie anregende Basis gelegt.

Michaela Marek, Leipzig

Zitierweise: Michaela Marek über: Cornelia Skodock: Barock in Russland. Zum Œuvre des Hofarchitekten Francesco Bartolomeo Rastrelli. Mit Werkkatalog auf CD-ROM. Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2006, ISBN: 978-3-447-05304-4, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 3, S. 435-436: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Marek_Skodock_Barock.html (Datum des Seitenbesuchs)