Robert Born, Alena Janatková, Adam S. La­bu­da (Hrsg.) Die Kunsthistoriographien in Ostmit­tel­europa und der nationale Diskurs. Gebr. Mann Verlag Berlin 2004. 479 S., 86 Abb. = Hum­boldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte, 1.

In der Kunstgeschichte ist die kritische Reflexion der eigenen Historiographie, ihrer Geschichte und ihrer Methoden heute noch nicht annähernd so etabliert wie in den Geschichtswissenschaften. Nach wie vor ist die Auffassung verbreitet, dass Kunst innerhalb ihres jeweiligen historischen Kontextes in hohem Grade autonom sei und die Kunstgeschichte infolgedessen ohne Weiteres imstande, sich über außerwissenschaftliche, insbesondere politische Bedingtheiten zu erheben. Für Ostmitteleuropa gilt dies aufgrund der spezifischen historischen Gegebenheiten nur umso mehr. Die Kunstgeschichte spielte hier im 19. Jahrhundert und in der frühen Zwischenkriegszeit eine zentrale Rolle für die kulturelle Legitimation nationaler Identitätsfindung und Abgrenzung. Diese Argumentationslinie floss nahtlos in die Abwehr nationalsozialistischer ‚germanischer‘ Kulturideologie ein und ging dann einerseits in der auch kulturgeschichtlich argumentierenden Ost-West-Frontstellung des Kalten Krieges auf; andererseits führte sie zur weitgehenden Isolation der Geisteswissenschaften in Ostmitteleuropa vom gesamteuropäischen Diskussionszusammenhang. Der ‚klassische‘ vergleichende und beziehungsgeschichtliche Analysezugriff war nahezu unmöglich geworden, was zusätzlich die Beschränkung auf den nationalen Horizont beförderte und schrittweise gleichsam selbstverständlich werden ließ.

Der Band dokumentiert in 28 Beiträgen eine Tagung, die im Jahr 2001 Kunsthistoriker aus neun Ländern Ostmittel-, Südost- und Westeuropas sowie den USA versammelte, um in diachroner Perspektive die Verflechtungen von Fragestellungen und Methoden des Faches mit nationalideologischen Interessen seit dem 19. Jahrhundert zu reflektieren und nicht zuletzt auf Folgerungen für die Gegenwart seit 1989 hin zu befragen. Seine Konsistenz und letztlich seinen Wert als herausragendes Referenzwerk verdankt der Band der strikten Konzentration auf diesen Aspekt; Information über Institutionen und Protagonisten tritt in den Hintergrund und bildet überwiegend lediglich den Rahmen für die in wechselndem Maßstab exemplarischen Untersuchungen.

Bereits eingangs entzaubern Ján Bakoš und Katharina Scherke die scheinbar rein formal begründete, kontextunabhängige Konzeption der europäischen Kunstentwicklung, wie sie um 1900 in der Habsburgermonarchie die ‚Wiener Schule‘ entwickelt hat: Bakoš deckt eindrucksvoll deren integrativen und staatserhaltenden Impetus auf, Scherke zeigt am Beispiel Kroatiens und Dalmatiens, wie gerade Alois Riegls ‚objektivierender‘ Ansatz in einer paradoxen Wendung maßgeblich zur Entwicklung nationaler und nationalistischer Kunsthistoriographien beitragen konnte. Die mehrfache Rekonzeptuali­sierung der Kunstgeographie seit dem 19. Jahr­hundert, insbesondere ihre ‚Karriere‘ im Zuge der Ostforschung und die – umstrittenen – aktuellen Bemühungen, sie unter veränderten Vorzeichen wieder fruchtbar zu machen, werden in mehreren Beiträgen präsentiert und diskutiert (Stefan Muthesius, Marina Dmitrieva-Einhorn, Beate Störtkuhl). Im Großteil der Studien wird anhand kunsthistorischer Themenfelder, konkreter Objekte oder auch einzelner Künstler und Autoren ein Spektrum von Fallbeispielen für die Möglichkeiten und Grenzen stilkritischer Analysen aufgefächert: Ihre Argumentationsmuster und nicht zuletzt der unvermeidliche Anteil des ‚kennerschaftlichen Urteils‘ erleichterten in jedem historisch-politischen Kontext interessegeleitete Deutungen und entzogen die stets in nationalen Kategorien verharrende Bewertung der Befunde dem Zweifel. Auffällig ist, dass in Ostmitteleuropa bis in die jüngste Zeit die an formalen Parametern orientierten Methoden maßgeblich geblieben sind, während selbst traditionsreiche Ansätze zur ideen-, kultur- und sozialgeschichtlichen Kontextualisierung entweder nicht Fuß fassen konnten oder aber durch andere als nationale Erwartungen an die Kunstgeschichte kontaminiert wurden.

Michaela Marek, Leipzig

Zitierweise: Michaela Marek über: Robert Born, Alena Janatková, Adam S. Labuda (Hrsg.): Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs. Gebr. Mann Verlag Berlin 2004. = Humboldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte, 1. ISBN: 3-7861-2491-4, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 3, S. 422-423: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Marek_Born_Die_Kunsthistoriographien.html (Datum des Seitenbesuchs)