Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 4, S.  574–575

Kurt Scharr, Rudolf Gräf Rumänien. Geschichte und Geographie. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2008. 265 S., 3 Ktn. = UTB, 2030. ISBN: 978-3-8252-3020-3.

Der hier zu besprechende Band steht für eine erfreuliche Entwicklung. Im Kontext der verschiedenen Forscher- und Lehrprogramme, die ausländische Wissenschaftler an Universitäten nach Rumänien führen, wenden diese ihr Interesse auch vermehrt der Geschichte des Landes zu. So ist die anspruchsvolle Einführung in Geschichte und Geographie Rumäniens das Ergebnis der Zusammenarbeit des historisch arbeitenden Innsbrucker Geographen Kurt Scharr und des Klausenburger Historikers Rudolf Gräf. Zugleich verdeutlicht die Darstellung, deren Ansatz gute Anregungen bietet, wie schwierig es ist, ein so komplexes und vielfältiges Thema auf wenigen Seiten auszubreiten.

In komprimierter Form bekommt der Leser in der Abfolge der Kapitel zunächst einen Einblick in die Geographie des Raumes sowie in die aktuellen Bevölkerungs- und Verwaltungsstrukturen. Der Einstieg in die Geschichte erfolgt in einem problemorientierten Zugriff. Der Blick auf Entwicklungslinien der Historiographie in Rumänien bis in die Gegenwart legt den Konstruktcharakter von Geschichte offen, wobei die Besonderheit an den Begriffen „Geschichte der Rumänen“, „Geschichte Rumäniens“, „rumänische Geschichte“ deutlich wird. Wie schwierig es dennoch bleibt, nicht dem nationalen Duktus zu folgen, wird am Beispiel Dimitrie Cantemirs deutlich, der als „einer der ersten rumänischen Historiker“ bezeichnet wird (S. 36).

Die chronologische Erzählung der Geschichte setzt mit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ein. Ausgehend von der Krönungsrede des Königs Ferdinand I. in Alba Iulia 1922 wird die politische und räumliche Situation vor und nach 1918 in den verschiedenen Regionen des neuen Landes skizziert, um anschließend auf die gesellschaftspolitischen Strukturen der Zwischenweltkriegszeit einzugehen wie Verwaltung, Parteien, Minderheiten. In der Knappheit bleiben Differenzierungen notgedrungen auf der Strecke: So ist zwar die Legion „Erzengel Michael“ 1927 entstanden, die Eiserne Garde hingegen erst 1930 als militärischer Arm der Legion hervorgegangen. Unklar bleibt auch, dass in der Zeitspanne 1927–1930 ein dreiköpfiger Kronrat die Geschicke des Landes lenkte und hier nicht allein das „Königshaus“ maßgebend war. Des Weiteren stand bei der Rückkehr des künftigen Königs Carol II. der damalige Premier Iuliu Maniu nicht allein hinter dieser Aktion. Ein zentrales Merkmal der politischen Entwicklung waren die Wahlen, die in einer Fußnote leider verkürzt erläutert werden. Entscheidend war, dass der Monarch bereits vor den Wahlen die künftige Regierungspartei bestimmte, die dann den Urnengang organisierte‛; dies war der „Regierungsbonus‟. Die „Wahlprämie“ bestand dann darin, dass jene Partei (bis 1937 war das die vorher zur Regierung bestimmte Partei), die mindestens 40 % der Stimmen auf sich vereinigen konnte, eine „Mehrheitsprämie“ erhielt.

Bei der Darstellung der Zeitspanne bis 1948 erfolgt die Konzentration auf das politische und wirtschaftliche Geschehen. Die für diese Periode ebenso wichtige kulturelle Entwicklung bleibt leider marginal. Nachfolgend zeigen die Autoren die Etappen der totalitären kommunistischen Herrschaft in Rumänien zwischen 1948 und 1989 und anschließend den Weg in die Demokratie bis zum 1. Januar 2007.

An diesen Überblick schließen sich noch drei Kapitel an, die einer eher systematisch-strukturellen Aufteilung folgen und die Geschlossenheit der bis dahin praktizierten Erzählung sprengen. Die Vermittlung Rumäniens als Land von Regionen mit verschiedenen historischen Traditionen ist wichtig, doch bleibt diese lexikonartige Ausführung in der Präsentation von der Qualität her hinter anderen Darstellungen zurück. Im letzten Kapitel kehren die Autoren sozusagen an den chronologischen ‚Anfang‛ zurück und thematisieren zentrale Aspekte wie Fragen zu den Regionen als Grenzräumen und als Spielbällen der verschiedenen Großmächte und zur Ethnogenese. Abschließend lassen sie die Kirchen Rumäniens unter der Fragestellung „Begründer und Träger von Identität(en)?“ Revue passieren. Dieses letzte Großkapitel weckt die Erwartung nach einer abschließenden Reflexion. Bedauerlicherweise fehlt dem Band ein die unterschiedlich konzipierten Abschnitte zusammenführendes Schlusskapitel, das über die in der vierseitigen Einführung gemachten Bemerkungen hinausgeht.

Der Band schließt mit einem umfangreicheren Anhang: einer leider selektiven weiterführenden Literaturliste, einer dreigeteilten Überblickschronik (der erste Teil bis 1699 erscheint in seiner Auswahl durchaus ergänzungsbedürftig), einem Personen- und einem geographischen Index. Drei Karten zur Geographie Rumäniens, zu den Großlandschaften Rumäniens sowie zum Karpaten- und Balkanraum vor 1914 veranschaulichen den Inhalt und runden den Band ab.

Hans-Christian Maner, Mainz

Zitierweise: Hans-Christian Maner über: Kurt Scharr, Rudolf Gräf Rumänien. Geschichte und Geographie. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2008. = UTB, 2030. ISBN: 978-3-8252-3020-3, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 4, S. 574–575: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Maner_Scharr_Graef_Rumaenien.html (Datum des Seitenbesuchs)