Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 1, S.  139-140

Hans-Christian Petersen, Jan Kusber (Hrsg.) Neuanfang im Westen. 60 Jahre Osteuropaforschung in Mainz. Franz Steiner Verlag Stuttgart 2007. 101 S., 4 Abb. = Beiträge zur Geschichte der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Neue Folge, 5. ISBN: 978-3-515-09080-3.

Seit dem 1992 in Stuttgart als Band 35 in der Reihe „Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa“ erschienenen, von Erwin Ober­länder herausgegebenen Werk „Geschichte Osteuropas. Zur Entwicklung einer historischen Disziplin in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1945–1990“ liegen systematische Kurzübersichten über die Geschichte der universitären und außeruniversitären Seminare und Institute im deutschsprachigen Raum vor, in denen osteuropäische Geschichte erforscht und gelehrt wird bzw. wurde; in den mehr als anderthalb Jahrzehnten seit dieser Aufnahme hat sich freilich am Bestand einiges verändert; vieles in der Lehre des Faches ist – gerade auch mit der Umgestaltung der Studiengänge durch den Bologna-Prozess – in Fluss geraten.

Vergegenwärtigt man sich die Gründungsdaten der westdeutschen Einrichtungen dieser Art, dann fällt auf, dass die erste Professur dieser Art schon ein Jahr nach Ende des Zweiten Welt­kriegs ausgerechnet ganz im Westen, in der französischen Besatzungszone, gleichzeitig mit der Einrichtung der Universität in Mainz ins Leben gerufen wurde. (Zu den Gründungsdaten siehe die graphische Übersicht des Rezensenten in: Dittmar Dahlmann [Hrsg.] Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Stuttgart 2005, S. 60. [= Quel­len und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, 68]) Die seither vergangenen 60 Jahre waren Anlass für das heute noch blühende Institut, unter der Leitung von Jan Kusber eine Jubiläumsveranstaltung abzuhalten, deren Referate im vorliegenden Band abgedruckt sind.

Dass Erwin Oberländer die Einführung geschrieben hat, ist doppelt begrüßenswert, denn erstens stand er selbst siebzehn Jahre dem Institut vor, zweitens hat er als Initiator und Herausgeber der eingangs genannten Überblicksdar­stellung optimale Vergleichsmöglichkeiten. Es ist ihm eindrucksvoll gelungen, mit breitem Horizont und aufgrund neuer Archivfunde das Interesse des Leiters der Kultur- und Erziehungs­abteilung der französischen Militärregierung Raymond Schmittlein, der in der Vorkriegszeit selbst im östlichen Europa gelehrt hatte, an einer Osteuropa-Professur nachzuzeich­nen und damit das Rätsel der frühen Entstehung der Mainzer Professur zu lösen.

Anschließend skizziert Frank Göbler die Entwicklung der Slavistik an der JGU Mainz. Das ist durchaus sinnvoll, denn kaum irgendwo oszillierte wegen des frühen Gründungsdatums die „Osteuropakunde“ so sehr zwischen Slavistik und Osteuropäischer Geschichte wie in Mainz. Einzigartig war der Vorschlag des scheidenden ersten Lehrstuhlinhabers Werner Philipp bei seiner Wegberufung nach Berlin 1951, seine Professur künftig zur Slavistik umzuwidmen.

Hans-Christian Petersen beschreibt die Position des ersten Osteuropahistorikers in Mainz, Werner Philipp, in der deutschen Osteuropaforschung, der – damals recht allein – eine Traditions­kritik des Faches Osteuropäische Geschichte für die NS-Zeit initiierte und damit ein noch lange danach gehütetes Tabu brach. Die Nachfolge Philipps brachte tatsächlich den Umweg über die Slavistik, bis schließlich 1956 auf einem neu eingerichteten osteuropahistorischen Lehr­stuhl für fast 28 Jahre Gotthold Rhode die Mainzer Professur gestaltete. Aus dieser Epoche greift Eike Eckert, der eine Dissertation über Rhode bearbeitet, materialreich etwa die erste Hälfte bis Ende der sechziger Jahre heraus.

Wenn zum Schluss des Bandes der heutige Inhaber der Professur, Jan Kusber, die 17-jährige, außerordentlich aktive Tätigkeit Erwin Ober­länders als Inhaber der Professur würdigt, seine eigenen Jahre als dessen Nachfolger aber nur andeutet, dann spricht das für seine Bescheidenheit.

Der Band enthält einige treffliche Bildporträts; von Gotthold Rhode leider nur eines aus seinen jungen Jahren. Insgesamt wird in dem Band ein beeindruckendes Gesamtbild einer effizienten Forschungs- und Lehrstätte auf dem Gebiet der Osteuropäischen Geschichte vermittelt.

Hans Lemberg, Marburg/Lahn

Zitierweise: Hans Lemberg über: Hans-Christian Petersen, Jan Kusber (Hrsg.): Neuanfang im Westen. 60 Jahre Osteuropaforschung in Mainz. Franz Steiner Verlag Stuttgart 2007. = Beitraege zur Geschichte der Johannes Gutenberg-Universitaet Mainz. Neue Folge, 5. ISBN: 978-3-515-09080-3, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 1, S. 139-140: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Lemberg_Petersen_Neuanfang.html (Datum des Seitenbesuchs)