Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 62 (2014), 3, S. 456‒457

Verfasst von: Kristina Küntzel-Witt, Lübeck

 

Peter Hoffmann: Ostsibirien und Nordpazifik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Diskussion um die Ausdehnung Asiens. Frankfurt/Main: Lang, 2013. 206 S., 2 Ktn. ISBN: 978-3-631-62734-1.

Trotz seines hohen Alters hat Peter Hoffmann in den letzten Jahren eine rege publizistische Tätigkeit entfaltet und u. a. Biographien von Michail V. Lomonosov (2011) und Gerhard Friedrich Müller (2005) veröffentlicht. Mit der hier vorzustellenden Publikation vervollständigt sich in gewisser Weise sein Œuvre, denn es handelt sich um die überarbeitete Version seiner 1959 verfassten Dissertation, die zu Zeiten der DDR nicht veröffentlicht wurde.

Auch wenn er im Titel nicht genannt wird, spielt Gerhard Friedrich Müller (1705–1783), der deutschstämmige Historiker in russischen Diensten, hier eine zentrale Rolle. Hoffmann möchte beweisen, dass Müller nicht nur als Historiker und Ethnograph Sibiriens bedeutsam für die russische Wissenschaftsgeschichte ist, sondern auch seine Leistungen auf dem Gebiet der Geographie hoch einzuschätzen sind.

In Russland hat es anlässlich des 300. Geburtstags 2005 eine regelrechte Wiederentdeckung von Müllers Werk gegeben, die sich in zahlreichen Publikationen äußerte und in denen vor allem seine historischen und ethnologischen Forschungen im Mittelpunkt des Interesses standen. So ist z.B. Müllers dreibändige „Istorija Sibiri“ von S. I. Vajnštejn seit 1998 in Moskau neu herausgegeben worden und hat bereits mehrere Auflagen erlebt. S. S. Ilizarov hat eine kurze Biographie von Müller 2005 und einen Band mit Müllers wichtigsten Schriften (G. F. Miller: Izbrannye trudy. Moskva 2006) veröffentlicht. Erstmals sind auch Müllers ethnologische Forschungen sowohl in russischer als auch in deutscher Sprache von A. Ėlert und W. Hintzsche ediert worden (G. F. Müller: Ethnographische Schriften I. Halle 2010). Darüber hinaus sind mehrere Sammelbände mit Konferenzbeiträgen erschienen, so ein von D. Dahlmann und G. Smagina publizierter Band „G. F. Miller i russkaja kul’tura“ (St. Peterburg 2007), und in Ekaterinburg er­schien 2006 der Sammelband „Tri stoletija akademičeskich issledovanij Jugry: ot Millera do Štejnica“. Ein Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung „Miller“ im Archiv für Alte Akten (RGADA) ist in Moskau von E. Ryčalovskij 2005 herausgegeben worden.

Eine eigenständige Publikation zu Müllers geographischen Arbeiten ist bisher nicht erfolgt; diese Lücke schließt P. Hoffmann mit seiner Studie. Er konzentriert sich dabei ganz auf das 18. Jahrhundert und umreißt nach einer relativ knappen Einleitung die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft, die im 18. Jahrhundert eine starke Aufwertung erfuhr. Anschließend skizziert er kurz die Eroberung und Erforschung Sibiriens durch Russland, wobei auch die beiden Kamtschatka-Expeditionen unter Vitus Bering charakterisiert werden (S. 35 ff.). Außerdem wird eine komprimierte Übersicht über die Darstellung Sibiriens in den ersten Berichten von Ausländern geboten (S. 53 ff.). Es folgt ein Kapitel über den Aufbau der geographischen Abteilung an der neu gegründeten Petersburger Akademie der Wissenschaften ab 1725 unter der Leitung von Joseph-Nicolas Delisle, der 1747 nach Paris zurückkehrte.

Im Hauptteil wird die Diskussion über die russischen Entdeckungen im Nordpazifik und an der Eismeerküste dargestellt, die sich ab der Mitte des 18. Jahrhunderts in Westeuropa entwickelte. Die von einer Veröffentlichung von Joseph-Nicolas Delisle und Philippe Buache (1752) angeregte Diskussion betraf einmal die Größe Asiens (S. 95 ff.) und die geographische Beschaffenheit des Nordpazifiks (S. 121 ff.), aber auch den Verlauf der amerikanischen Westküste (S. 149) und die drei apokryphen Länder Jeso (Hokkaido), Gama- und Compagnieland (S. 157). Im Mittelpunkt der Diskussion befand sich G. F. Müller, der genötigt wurde, eine Gegenschrift zu Delisles Publikation über die russischen Entdeckungsfahrten zu veröffentlichen. Im Verlauf der Diskussion warf der Schweizer Geograph Samuel Engel der russischen Seite vor, Asien um 30 Längengrade zu lang dargestellt zu haben. Damit verband sich auch die Frage nach einer Nordostpassage, von deren Nutzen Engel überzeugt war, was hier in einem eigenen Kapitel zur „nördlichen Durchfahrt“ (S. 121 ff.) dargelegt wird.

Hoffmann ist ein genauer Kenner der Materie; insbesondere die russischen Quellen sind ihm gut vertraut. Unsicherer ist er in Hinblick auf die französische Literatur, wo sich einige Unsauberkeiten eingeschlichen haben. So nimmt er beispielsweise die Schriften von Lucie Lagarde und Marie-Anne Chabin nicht zur Kenntnis. Unzweifelhaft gelingt es ihm zu zeigen, dass Müller sich immer wieder intensiv mit der Geographie Sibiriens beschäftigt hat und eine Schlüsselrolle in der hitzigen Diskussion einnahm.

Etwas ungewöhnlich ist, dass die russischen Literaturhinweise nicht transliteriert sind, ein Nachteil für Leser, die über keine russischen Sprachkenntnisse verfügen. Abgerundet wird die Studie durch zwei Register und zwei Karten von 1758 und 1773, die im Auftrag von Gerhard Friedrich Müller entstanden.

Kristina Küntzel-Witt, Lübeck

Zitierweise: Kristina Küntzel-Witt, Lübeck über: Peter Hoffmann: Ostsibirien und Nordpazifik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Diskussion um die Ausdehnung Asiens. Frankfurt/Main: Lang, 2013. 206 S., 2 Ktn. ISBN: 978-3-631-62734-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Kuentzel-Witt_Hoffmann_Ostsibirien_und_Nordpazifik.html (Datum des Seitenbesuchs)

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