Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 62 (2014), 3, S. 467‒468

Verfasst von: Markus Krzoska

Volker Zimmermann: Eine sozialistische Freundschaft im Wandel. Die Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei (1945–1969). Essen: Klartext, 2010. 639 S., Tab. = Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa, 34. ISBN: 978-3-8375-0296-1.

Die Analyse der politischen Beziehungen zwischen der ČS(S)R und der DDR hat in der deutschsprachigen Forschung schon in der Vergangenheit ihre Autoren gefunden, etwa in den Arbeiten von Beate Ihme-Tuchel (1994) oder Wolfgang Schwarz (2004). Dabei wurde der Begriff Außenpolitik allerdings nie so breit verstanden wie in der nun vorliegenden Fassung der ursprünglich 2005 eingereichten Düsseldorfer Habilitations­schrift von Volker Zimmermann, einem der ausgewiesensten Kenner der tschechischen Geschichte des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Im Kontext der Debatten über transnationale Beziehungen sowie das Wirken nichtstaatlicher Akteure bezieht er in seine Studie neben den Kontakten auf offizieller Partei- und Staatsebene auch Gewerkschaften, Jugendverbände und Betriebe mit ein. Dies trägt nicht nur zu einer deutlichen Erweiterung der verwendeten Quellenbasis bei, sondern verbessert auch die Möglichkeiten der Wahrnehmung gesamtgesellschaftlicher Prozesse bzw. – wie Zimmermann es ausdrückt – ihrer Tiefenstrukturen.

Eine der wichtigen Prämissen des Buches ist es überdies, Beziehungsgeschichte nicht als reine Konfliktgeschichte zu verstehen, was sich im Falle der beiden beteiligten Staaten im Vorfeld des Jahres 1968 ja zweifellos anbieten würde. Ganz zu Recht spricht Zimmermann deshalb auch von einer teilweisen Neuinterpretation der Dokumente der sechziger Jahre hin zu einer Betonung des normalen Beziehungsalltags. Des Weiteren sieht der Verfasser die Beziehungsgeschichte im Kontext der jeweiligen Stellung zur Sowjetunion und des Kampfes um die Rolle des meistprivilegierten Verbündeten. Die damit verbundenen Debatten stellen zwar kein Neuland dar – gerade die Rivalitäten der jeweiligen Parteichefs sind im Kontext der zeitnahen Sowjetologie ausführlich beleuchtet worden –, sie illustrieren aber dennoch eindrucksvoll die Gewichtsver­schiebungen, die zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings in Ostmitteleuropa stattfanden. Der zunehmende wirtschaftliche wie ideologische Einfluss der DDR wurde gerade in Bezug auf die Tschechoslowakei deutlich sichtbar. Konnte es sich die tschechoslowakische Führung als Vertreterin eines Siegerstaates des Krieges bis in die frühen fünfziger Jahre hinein leisten abzuwägen, eine wie enge Verbindung zum ostdeutschen Staat sie angesichts der massiven Ablehnung alles Deutschen innerhalb der eigenen Gesellschaft eingehen würde, musste sie später auch angesichts wirtschaftlicher Zwänge immer stärker die wichtigere Rolle der DDR akzeptieren.

Die fünf Unterkapitel gliedern den Untersuchungszeitraum in die Phasen von Annäherung, Begegnungen, Differenzen, Entfremdung und Neuordnung, wobei klar wird, dass es innerhalb der einzelnen Zeitabschnitte durchaus unterschiedliche Bewertungen des Zustands sowie der künftigen Chancen der Beziehungen in Partei und Gesellschaft gegeben hat. Nahmen sich die Bevölkerungen der beiden Staaten anfänglich vor allem aus sicherem Abstand heraus wahr, wuchs mit der Zeit das Interesse an direkten Kontakten und dem damit verbundenen Erfahrungsaustausch. Dies lag freilich nicht immer im Interesse der jeweiligen Parteiführungen. Die Abschottung der DDR vom Westen durch Stacheldraht und Mauerbau belebte die Beziehungen zur Tschechoslowakei deutlich. Dies fiel allerdings in eine Zeit, als sich an der Moldau zunehmend liberalere Tendenzen in der Politik, vor allem aber in der Kultur zeigten, die die SED-Führung nicht gutheißen konnte. Während also die Bevölkerungen beider Staaten immer stärker Reiseerleichterungen einforderten, wuchs der Ost-Berliner Argwohn, die reformkommunistische Führung in Prag könne auf dem Weg sein, das Bündnis zu verlassen. Interessant ist hierbei, dass die tschechoslowakisch-ostdeutschen Beziehungen immer durch das Prisma der Wahrnehmung der Bundesrepublik Deutschland gesehen werden müssen, denn zu groß war die Angst der DDR-Führung, eine Annäherung an diesen Staat könne die eigene Position massiv gefährden. Dass dennoch die Kontakte der Menschen Mitte der sechziger Jahre aufgrund des zunehmend elaborierten Beziehungsgeflechts gewissermaßen außer Kontrolle gerieten, ist nicht zu leugnen, wenngleich gerade auf tschechoslowakischer Seite die häufig überhebliche Einstellung ostdeutscher Besucher des Landes beklagt wurde. Als eine solche Haltung auch immer häufiger bei offiziellen Vertretern des DDR-Systems aufzutreten schien, die in bevormundendem Ton Ratschläge zu den inneren Verhältnissen der ČSSR gaben, reagierten deren Bürger in Protestschreiben zunehmend kritisch. In gewisser Weise wurde hierdurch die gegenseitige Entfremdung bereits vorbereitet, die auf den Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen 1968 folgte. In den Jahren darauf waren die Rollen in den Beziehungen dann aber zu klar verteilt und die kritischen Stimmen in der ČSSR wurden mundtot gemacht.

An dieser Stelle könnte das wohlüberlegt verfasste und gewissenhaft durchgearbeitete Buch im Grunde enden. Es folgen aber noch vom Verfasser so bezeichnete Exkurse über Geschichtsbilder als Basis sozialistischer Freundschaft und zur Rolle der VR Polen in den bilateralen Beziehungen. Während der erste Teil sich äußerst verdienstvoll der Kooperation sowie den (oft ausbleibenden) Ergebnissen der Historiker innerhalb und außerhalb der 1955 gegründeten offiziösen gemeinsamen Historikerkommission – unter anderem auf der Basis von Interviews mit daran Beteiligten – sowie den Inhalten der Geschichts- und Geographieschulbücher widmet, fällt der Polen gewidmete Teil des Buches inhaltlich etwas ab und es ist ein tatsächlicher Mehrwert nicht unbedingt zu erkennen. Dieser wäre auch nur in Gestalt einer zusätzlichen Monographie wirksam zu leisten gewesen. Problematisch sind hier aber eher die Unsicherheit bei der Bewertung innerpolnischer Vorgänge sowie die Auswahl der für die Darstellung herangezogenen Literatur. So verwendet der Verfasser etwa auf der Grundlage der veralteten Gesamtdarstellung von Jörg Hoensch unzutreffende Zahlen zum „Dreimal-Ja-Referendum“ des Jahres 1946 (S. 518). Der Stand der Beziehungen zwischen SBZ/DDR und Polen konnte noch nicht auf der Grundlage der wegweisenden Quelleneditionen von Jerzy Kochanowski für die Jahre 1945–1949 oder 1956 beschrieben werden, sondern lediglich anhand der zeitnahen Monographien Franz Sikoras (dessen Pseudonym Frank Bontschek Zimmermann nicht identifizieren kann).

Dies ändert jedoch nichts an der Leistung einer erstmaligen umfassenden Beschreibung des tschechoslowakisch-ostdeutschen Verhältnisses in den fünfundzwanzig Jahren nach Kriegsende auf gesamtgesellschaftlicher Basis, die sich zudem an einer Reihe die gegenwärtige Forschung voranbringender Fragen orientiert, wie der nach den Handlungsspielräumen der so genannten „Satellitenstaaten“ im Ostblock, die Zimmermann völlig zurecht als relativ groß kennzeichnet, oder nach den Widersprüchen zwischen interner Parteipolitik und den Erfordernissen der Diplomatie. Dies gipfelt in den anregenden Schlussfrage, inwieweit Verflechtung nicht auch ein Dilemma darstellen könne, das den eigentlichen Intentionen der beteiligten Staats- und Parteistellen, namentlich ihrem Anspruch auf eine möglichst umfassende Beherrschung der eigenen Bevölkerung, zuwiderlaufe.

Markus Krzoska, Gießen

Zitierweise: Markus Krzoska über: Volker Zimmermann: Eine sozialistische Freundschaft im Wandel. Die Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei (1945–1969). Essen: Klartext, 2010. 639 S., Tab. = Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa, 34. ISBN: 978-3-8375-0296-1, http://www.oei-dokumente.de/JGO/Rez/Krzoska_Zimmermann_Eine_sozialistische_Freundschaft.html (Datum des Seitenbesuchs)

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