Gerhard Besier, Agnieszka Dębska, Zbigniew Gluza [u.a.] (Hrsg.) Deutsche und Polen während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Gemeinsame Geschichte gemeinsam erinnern. Lit Verlag Berlin [usw.] 2007. 302 S. = Mittel- und Ostmitteleuropastudien, 6. ISBN: 978-3-8258-0504-3.

Die polnische Nichtregierungsorganisation „Karta“, die aus einer Untergrundzeitschrift her­vorging und nach 1989 zu einer der wichtigsten Vereinigungen wurde, die sich mit menschlichen Schicksalen seit dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzt, ist in den letzten Jahren mehrfach für ihre Verdienste gewürdigt worden. Wichtige Beiträge aus der gleichnamigen Zeitschrift wurden ins Deutsche übersetzt, so dass drei deutschsprachige Ausgaben von „Karta“ erscheinen konnten.

Der vorliegende Band enthält erneut Texte aus „Karta“. Bei einem Teil der 19 Beiträge handelt es sich um Wiederabdrucke, andere sind erstmals auf Deutsch veröffentlicht. Ein irgendwie geartetes Konzept für Anlass und Auswahl der Publikation lässt sich allerdings nicht erkennen. Zweifellos liefern einige Beiträge interessante Informationen und vermitteln einen guten Eindruck von der emotionalen Situation, in der sich ihre Verfasser befunden haben. Erschütternd sind zum Beispiel die literarisch gekonnt formulierten Erinnerungen eines polnischen Müllers an sein neues Leben in Pommern nach 1945, aber auch die Auszüge aus dem Tagebuch des Lemberger, später Breslauer Philologen Ryszard Gansiniec, der sich verzweifelt bemühte, nach 1945 die polnische Stellung in der nun ukrainischen Stadt zu halten.

Insgesamt stellt sich aber die Frage, welchem Zweck das Buch dienen soll. Um eine wissenschaftliche Arbeit handelt es sich definitiv nicht, die sehr knapp gehaltene Einleitung geht über Allgemeinplätze nicht hinaus. Ein echtes Ordnungsprinzip ist ebenfalls nicht erkennbar. Einige der Texte sind zwar jeweils zu Beginn kurz kommentiert, auf die Problematik von Erinnerungen, ihre Entstehung und Veränderung im Laufe der Zeit wird jedoch nirgendwo eingegangen. Gänzlich fragwürdig wird es, wenn ein Artikel über den Vertriebenenfunktionär Herbert Czaja aus „Karta“ übernommen wird, den dieser so nie geschrieben hat, der aber dennoch in der Ich-Form gehalten ist (worauf freilich hingewiesen wird). Die Feststellung, dass man vor allem einander zuhören müsse, ist zweifellos richtig. Im wissenschaftlichen Bereich entbindet moralische Empathie aber nicht von der Verpflichtung zur Überprüfung der Fakten bzw. von deren Einordnung in größere Zusammenhänge. Ein einfaches „ich habe gelitten, du hast gelitten, deshalb verstehen wir uns“ hilft da nur bedingt weiter. Wenn z.B. Herbert Hupka im vorliegenden Band davon spricht, er sei im VDA, dem Volksbund für das Deutschtum im Ausland, tätig gewesen, der „bis 1933 keine nationalistische Organisation [gewesen sei; MK]“, sondern sich „einfach mit den Deutschen aus Siebenbürgen oder Russland beschäftigt hat“ (S. 283), so ist das schlicht und ergreifend falsch und hätte in einer wissenschaftlichen Publikation eines Kommentars bedurft. Niemand von den fünf Herausgeberinnen und Herausgebern hat sich jedoch einer solchen Aufgabe gestellt, so dass nicht mehr als eine klassische Buchbindersynthese entstanden ist.

Markus Krzoska, Gießen

Zitierweise: Markus Krzoska über: Gerhard Besier, Agnieszka Dębska, Zbigniew Gluza [u.a.] (Hrsg.) Deutsche und Polen während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Gemeinsame Geschichte gemeinsam erinnern. Lit Verlag Berlin [usw.] 2007. = Mittel- und Ostmitteleuropastudien, 6. ISBN: 978-3-8258-0504-3, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 2, S. 312: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Krzoska_Besier_Deutsche_und_Polen.html (Datum des Seitenbesuchs)