Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 1, S. 149-150

Verfasst von: Peter Mario Kreuter

 

Griechische Dimensionen südosteuropäischer Kultur seit dem 18. Jahrhundert. Verortung, Bewegung, Grenzüberschreitung. Hrsg. von Maria Oikonomou/ Maria A. Stassinopoulou / Ioannis Zelepos. Frankfurt a.M., Berlin, Bern [usw.]: Lang, 2011. 317 S., Abb. = Studien zur Geschichte Südosteuropas, 17. ISBN: 978-3-631-61688-8.

Im Dezember 2009 fand an der Universität Wien eine zweitägige Konferenz mit jenem Titel statt, den auch der vorliegende Sammelband trägt. 19 der damals gehaltenen Vorträge sind nun zugänglich. Drei der Beiträge sind auf Englisch verfasst worden, die restlichen liegen auf Deutsch vor.

Zunächst einmal muss lobend hervorgehoben werden, dass die im Titel gemachte zeitliche Angabe auch wirklich so umgesetzt wurde. Das 18. Jahrhundert erhält mit vier Beiträgen, die sich ausdrücklich mit jenem Jahrhundert auseinandersetzen, breiten Raum zugestanden; einige weitere Beiträge gehen zumindest in ihrer Thematik von diesem Jahrhundert aus. Bis in die aktuelle Gegenwart reichen dann auch tatsächlich diejenigen Aufsätze, die sich mit der zeitgenössischen griechischen Literatur und dem griechischen Film auseinandersetzen. Nicht minder erfreulich ist, dass der Band wirklich Südosteuropa in seiner Gesamtheit im Blick hat und Griechenland selbst nur als eines von vielen Ländern vorkommt. Es steht somit, wie im Titel angegeben, die Bedeutung der griechischen Kultur für die Nachbarkulturen in Südosteuropa im Vordergrund. Die Gefahr, letztlich eine Griechenland-zentrierte Geschichte zu verfassen, hat man erfolgreich gebannt.

Naturgemäß sind die einzelnen Beiträge höchst unterschiedlich in Themenwahl und Umfang, aber generell kann gesagt werden, dass sie allesamt informativ sind und, wo nicht Neuland betretend, zumindest gute Überblicksdarstellungen liefern. Eine solche Überblicksdarstellung ist Walter Puchner mit seinem BeitragGriechische Hegemonialkultur im östlichen Balkanraum zur Zeit der Aufklärung und der nationalenWiedergeburt. Beispiele und Tendenzen(S. 17–25) gelungen. Neben der Bedeutung der griechischen Druckereien im Balkan- und Ägäisraum zeigt er am Beispiel der volks­sprachlichen Übersetzungen von Volksbüchern wie dem italienischen „Bertoldo“ oder von Überlieferungen wie dem Alexanderroman oder demSyntipas“ auf, wie bedeutsam der griechische Einfluss im 18. und selbst noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wardie rumänische (1774) wie die bulgarische (1853) Übersetzung des „Bertoldo“ werden anhand der griechischen Variante vorgenommen, und der Alexanderroman wäre ohne die diversen griechischen Vorlage niemals so erfolgreich gewesen.  

Neben Überblicksdarstellungen gibt es aber auch Beiträge, die sich einer speziellen Fragestellung widmen. Hierzu zählt der Aufsatz von Dora E. Solti zurWalachei im Spannungsfeld der Großmächte: Die letzten Jahren vor der Phanariotenherrschaft(S. 169–177). Hinter dem wenig spektakulären Titel verbirgt sich eine Abhandlung über die griechische Übersetzung des „Muscowittischen Prognosticons“. Diese ließ Fürst Constantin Brâncoveanu 1699 im Rahmen seiner Bemühungen um ein Bündnis mit Russland anfertigen. Das „Prognosticon“ beinhaltet neben einer Geschichte Russlands und der Orthodoxie auch Gedankenspiele zu einer Rückeroberung Konstantinopels und liefert sogar Ratschläge für eine erfolgreiche Belagerung. Solti verfolgt die im „Muscowittischen Prognosticon“ formulierte Verbindung von russischer Größe und Kampf gegen die Osmanen sowie der Rezeption dieses Werkes im politischen Diskurs des Fürsten Brâncoveanu und fügt den politischen Visionen des walachischen Fürsten damit eine Note bei, die bislang nicht beachtet worden ist, nämlich die zielgerichtete Verwendung der Übersetzung eines fremdsprachigen (hier deutschen) Textes zur ideologischen Unterstützung der eigenen Politik, wobei dieser Kulturtransfer im konkreten Fall auch zur Neudefinition der eigenen Rolle beim Kampf gegen die Osmanen führt.

Ebenfalls sehr detailliert sind die Beiträge zu einzelnen Schriftstellern oder zum griechischen Film. Hierzu zählenGrenzgängerZur Dialektik von Selbst- und Fremdwahrnehmung in der Prosa von Michel Fais(S. 71–90) von Bart Soethaert und Dirk SangmeistersEin Vagant voll Glut und Wut. Der Schriftsteller und Maultrommler Michael Kosmeli(S. 201–216). Soethaert setzt sich mit dem 1957 geborenen Michel Fais auseinander, dessen Figuren sich immer wieder der Frage nach dem Platz des eigenen Selbst in der Welt gegenübersehen und dabei die Grenzen zwischen diesen beiden Polen ausloten. Sangmeister beschäftigt sich mit dem aus Schlesien stammenden Musiker, Arzt und Juristen Michael Kosmeli (1773–1844), dessen unstetes Wanderleben ihn immer wieder ins Osmanische Reich führte und ihn dort zur Beschäftigung mit der neugriechischen Literatur anregte, die er in seinen Reisebeschreibungen auch ausführlich vorstellte.

Auch die anderen Beiträge des Sammelbandes sind lesenswert, doch zwang der zugestandene Platz den Rezensenten zu einersubjektivenAuswahl. Gibt es inhaltlich nichts zu bemängeln, muss dennoch die äußere Gestalt sich einige Kritik gefallen lassen. Ein wirkliches Ärgernis ist die Lesbarkeit der Texte. Diese wird doch spürbar behindert durch die Verwendung einer serifenlosen Schrift, die sich als für ein Buch ungeeignet erweistdie Augen des Rezensenten jedenfalls ermüdeten rasch bei der Lektüre. Auch ist der Satz nicht immer gelungen: So gibt es zum Beispiel Wörter, die einen Trennungsstrich behalten haben, auch wenn sie in die Mitte der Zeile gerutscht sind (dau-erteundWa-lachei, S. 176); auch finden sich der Buchstabe ß bei Beitragstiteln in der Kopfzeile inmitten von Großbuchstaben wieder (GROßMÄCHTE, S. 171 undPARNAß, S. 181). Ebenfalls unschön istLouis dem XIV.(S. 234)entweder in französischer Manier oder eingedeutscht, aber so bitte nicht. In manchen Beiträgen wirdJahrhundertgeschrieben, in denen von Puchner und von Nadia Danova überGriechische Dimensionen der kulturellen Tätigkeit innerhalb der bulgarischen Diaspora in Wien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts(S. 253–263) aberJh.abgekürzt. Manchmal ist die sprachliche Redaktion ein wenig zu tolerant geweseneinerussisch-walachische militärische Kollaboration(S. 171) klingt jedenfalls gewöhnungsbedürftig. Und zwei  Fragen müssen gestattet seinwieso werden die Beiträge nicht in der Reihenfolge geboten, in der sie auf der Konferenz gehalten wurden, und warum wird dann nicht wenigstens darauf hingewiesen, dass die Reihenfolge für den Band geändert wurde? So stehen die Beiträge ohne alphabetische oder erkennbar inhaltliche Gliederung einer nach dem anderen im Buch.

Und dennoch war es dem Rezensenten ein Vergnügen, den vorliegenden Band zu lesen. Denn jedem einzelnen Beitrag gelingt es, eine Facette derGriechischen Dimensionen südosteuropäischer Kultur seit dem 18. Jahrhundertzu beleuchten, und dies in durchwegs hoher fachlicher Qualität. Die Autorinnen und Autoren sind für das jeweilige Thema ausgewiesene Spezialisten, was man auch den Fußnoten anmerkt, die eine Fülle von Material beinhalten, welches eine eingehendere Beschäftigung mit der Thematik des betreffenden Beitrags möglich macht. Vor allem aber soll noch einmal hervorgehobenen werden, dass die Herausgeber wirklich einen Band zu der Fragestellung geschaffen haben, die der Titel verspricht.

Peter Mario Kreuter, Regensburg

Zitierweise: Peter Mario Kreuter über: Griechische Dimensionen südosteuropäischer Kultur seit dem 18. Jahrhundert. Verortung, Bewegung, Grenzüberschreitung. Hrsg. von Maria Oikonomou/ Maria A. Stassinopoulou / Ioannis Zelepos. Frankfurt a.M., Berlin, Bern [usw.]: Lang, 2011. 317 S., Abb. = Studien zur Geschichte Südosteuropas, 17. ISBN: 978-3-631-61688-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Kreuter_Oikonomou_Griechische_Dimensionen_suedeuropaeischer_Kultur.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2015 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg and Peter Mario Kreuter. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact jahrbuecher@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.