Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), 3, S. 498-500

Verfasst von: Hanna Kozińska-Witt

 

Kathrin Krogner-Kornalik: Tod in der Stadt. Religion, Alltag und Festkultur in Krakau 1869–1914. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015. 310 S., 3 Abb. = Religiöse Kulturen im Europa der Neuzeit, 5. ISBN: 978-3-525-31026-7.

Es mag verwundern, dass eine bigotte und konservative Kleinstadt, die im 19. Jahrhundert schwer zugänglich am äußeren Rand „Europas“ lag, seit Jahren so viel Aufmerksamkeit der nicht-polnischsprachigen Forschung auf sich zieht. Zu den neusten Arbeiten aus den Federn von Patrice Dabrowski, Nathaniel Wood und Simon Hadler gesellt sich das hier besprochene Buch. Die Arbeit entstand auf Basis einer an der Münchener Ludwig-Maximilian Universität bei Martin Schulze Wessel eingereichten Dissertation.

Kathrin Krogner-Kornalik beschreitet als Krakau-Expertin einen neuen Weg und macht auf eine innovative Art und Weise die ‚morbide‘ Dimension der Stadt und des Stadtlebens zum Thema („Totenstadt“), die sie ausgehend von den Aushandlungsprozessen zwischen religiösen und säkularen Akteuren beleuchtet. Sie wendet Konzepte von Arenen und Gegenorten an und wertet wenig bekannte Archivbestände aus: Außer den Quellen der kommunalen Behörden zieht sie kirchenamtlichliche und kuriale ebenso wie Bestände der örtlichen religiösen Gemeinschaften heran. Neben der lokalen Presse wertet sie sowohl die Periodika der anderen Teilungsgebiete als auch die katholische Presse aus, punktuell greift sie auch zu nicht-polnischsprachigen Presseorganen. Sie vergleicht die lokalen Phänomene, z. B. die hiesige Form des Katholizismus, mit denen anderer Regionen, wodurch die Spezifik verständlicher und Kontroversen besser nachvollziehbar geworden sind. Der Lokalgeschichte wird damit eine universelle (europäische?) Dimension verliehen. Die Autorin möchte einen generellen Prozess, Anpassung und Formenwandel aufzeigen, die sie an konkreten Ereignissen festmacht.

Dadurch, dass die Verfasserin die Krakauer Entwicklungen in den Rahmen des allgemeinen Modernitätsdiskurses über Hygienisierung des Todes und der Friedhofsreform stellt, und die hiesigen Vorkommnisse mit denen der anderen Großstädte vergleicht, überschreitet ihre Arbeit den Rahmen der bis jetzt üblichen Analyse der Krakauer Begräbnisse als nationsbildende Zeremonien. Die Autorin stellt die Entwicklung von den Gottesäckern bei den Kirchen mitten in der Stadt bis zu einem ‚neutralen‘ kommunalen Friedhof am Stadtrand dar, der vor allem ordentlich und ästhetisch werden sollte und erst durch eine Veränderung der politischen Machtkonstellationen wieder konfessionalisiert werden konnte. Sie analysiert die Entstehung einer neuen Bestattungskultur und der Bestattungsunternehmen, die während des 19. Jahrhundert immer mehr Bedeutung gewannen und wichtige Repräsentationsaufgaben übernehmen konnten.

Dieser thematische Zugang ermöglicht der Autorin eine vergleichbar umfangreiche Berücksichtigung der analogen Entwicklungen in der Krakauer jüdischen Gemeinde, die sich genauso wie andere Konfessionsgemeinden mit den neuen administrativen Vorschriften auseinandersetzen musste. Nun schien die Situation der jüdischen Gemeinde dabei besonders brenzlig, denn die jüdische Bestattungstradition stand zu den modernisierenden Vorschriften im Widerspruch, was die Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde, wenigstens am Anfang, enorm verstärkte. Krogner-Kornalik hätte auch gerne die evangelische Gemeinde ausführlich berücksichtigt, konnte dies auf Grund der Materialknappheit jedoch nicht tun.

Da die Autorin die Totenriten als substantiell „für die Bildung und Erhalt von Kollektiven sowie für die Herrschaftsstabilisierung und Stärkung der Legitimität des Herrschers“ und den Totenkult als eine wichtige Ausdrucksform des Patriotismus betrachtet, nimmt sie außer dem Kommunalfriedhof noch zwei weitere aussagekräftige Krakauer Nekropolen („Gedächtnisspeicher“) unter die Lupe: Den Wawel als Bestattungsstätte der Monarchen und Heroen und die „Krypta der Verdienten“ in der Kirche St. Michael und St. Stanisław am Fels als die Bestattungsstätte der besonders verdienten, nichtsoldatischen zeitgenössischen Söhne Polens: der Dichter und Künstler (und eines Astronomen!). Die Verfasserin schildert erneut die Kontroversen um beide Nekropolen und die Auseinandersetzungen darum, wer für solche Grabstätten würdig verhandelbar war. Hier referiert sie den wohldokumentierten und inzwischen gut untersuchten Kampf zwischen den aristokratisch-konservativ-katholischen und liberal-nichtklerikalen Milieus, der die Ausdifferenzierung der lokalen Öffentlichkeit beweist. Beide Nekropolen befanden (und befinden) sich in Kirchen, was den katholischen Hierarchie eine große Entscheidungsmacht über Würdigkeit der zu Bestattenden sicherte. Dieser Entscheidungsvorteil gefiel den neuen Stadtmilieus nicht, die Tugenden und Verdienst anders, nämlich national, definierten.

Innovativ ist, dass die Autorin außer den politischen Positionen umfangreich die Stellung der lokalen Kirche darstellt und sehr interessant über einen „guten“ und einen „schlechten“ Tod referiert, der für katholische Würdenträger für die Gewährung einer konfessionellen Bestattung entscheidend war. Gerade der erste Verdiente, der Historienschreiber Ignacy Kraszewski, der in der Krypta am Fels bestattet wurde, trug mit seinen liberalen Ansichten über die Kirche und seinem persönlichen Lebenswandel zu Kontroversen bei. Sein Tod, der wohl nicht „gut“ genug war, wurde, um einen Skandal zu vermeiden, geflissentlich katholisiert. Krogner-Kornalik kontrastiert den Tod Kraszewskis mit dem eines griechisch-orthodoxen Landes- und Kommunalpolitikers, des loyalen habsburgischen Untertanen und sozialen Aufsteigers Mikołaj Zyblikiewicz. Dieser starb nämlich nicht nur vorbildlich „gut“, da er bei einem bekannten Priester beichtete, sich die letzte Ölung verabreichen ließ und in den letzten Stunden sowohl seiner Familie als an seines Landes und seiner Stadt gedachte. Sein Begräbnis ließ sich darüber hinaus sowohl für ein gütiges und integratives Image des polnischen Katholizismus als auch für eine überethnische, paternalistische, polnische Nation instrumentalisieren. Da die Krypta nur den Kulturschaffenden vorbehalten war, wurde Zyblikiewicz mit großem Pomp auf dem Kommunalfriedhof bestattet.

In weiteren Kapiteln setzt sich die Autorin mit weiteren geplanten und tatsächlich realisierten Begräbnissen von Dichtern und Künstlern (u.a. von Adam Mickiewicz), mit einer nächtlichen Beisetzung und mit den Leichenüberführungen auseinander. Sie dokumentiert damit sowohl einen Teil der Entwicklung, die Krakau in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts zur „geistigen Hauptstadt“ Polens werden ließ, womit die physische Präsenz der Nation gesichert wurde. Weiter weist die Autorin auf den bestehenden kirchlichen Einfluss im politischen Totenkult hin. Knapp erwähnt sie auch Begräbnisse bekannter Juden.

Das Buch wird mit den Untersuchungen zu zwei priesterlosen, nichtkonfessionellen Bestattungen in Krakau abgerundet, denen ein vom katholischen Klerus konstatierter „schlechter Tod“ vorausging. Beide Begräbnisse waren laut Krogner-Kornalik weniger von einer Kontroverse zwischen den Antiklerikalen und Klerikalen überschattet, als „vielmehr von den unterschiedlichen Figurationen des Katholischen“.

Zusammenfassend ist zu sagen: Paradoxerweise ist ausgerechnet diese Arbeit über den Tod in Krakau zu einem sehr lebendigen, erfrischenden Buch geworden.

Hanna Kozińska-Witt, Rostock

Zitierweise: Hanna Kozińska-Witt über: Kathrin Krogner-Kornalik: Tod in der Stadt. Religion, Alltag und Festkultur in Krakau 1869–1914. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015. 310 S., 3 Abb. = Religiöse Kulturen im Europa der Neuzeit, 5. ISBN: 978-3-525-31026-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Kozinska-Witt_Krogner-Kornalik_Tod_in_der_Stadt.html (Datum des Seitenbesuchs)

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