Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), S. 171-173

Verfasst von: Gleb Kazakov

 

Antonina Zykova: Zaren, Bären und Barbaren. Das mediale deutsche Russlandbild am Anfang des 21. Jahrhunderts und seine historischen Wurzeln. Herne: Schäfer, 2014. 360 S., 4 Abb. = Studien zur Geschichte Ost- und Ostmitteleuropas, 11. ISBN: 978-3-944487-19-9.

Die Dissertation von Antonina Zykova befasst sich mit einem Thema, das in der deutschen Historiographie bereits eine lange und gut entwickelte Forschungstradition aufweist, dem deutschen Russlandbild. Doch wie die aktuellsten politischen Ereignisse zeigen, wird das Thema noch lange nicht an Aktualität und Anziehungskraft verlieren. Die Autorin konzentriert sich auf die Erforschung und Auswertung der deutschen Medienberichte über Russland am „Anfang des 21. Jahrhunderts“, genauer gesagt in den Jahren 2000–2011. Zwar werden der Ukrainekonflikt und die damit verbundenen Mediendebatten im Einleitungskapitel angesprochen, sie bleiben jedoch außerhalb des  Rahmens der Untersuchung, was keineswegs der Autorin vorgeworfen werden soll – das Buch wurde 2014 publiziert und selbstverständlich noch früher verfasst. Der zeitliche Rahmen der Studie ist also auf die zwei ersten Amtsperioden Vladimir Putins und die Präsidentschaft von Dmitrij Medvedev beschränkt.

In Teil I des Buches wird der theoretisch-methodische Rahmen der Studie dargestellt. Die Autorin ordnet ihre Arbeit der Neuen Kulturgeschichte und der Wahrnehmungsforschung zu und versteht nationsgebundene Fremdbilder und Stereotypen vor allem als „konstruierte Realität“, bei deren Entstehung Massenmedien wie Fernsehen und Zeitungen eine wichtige Rolle spielen. Der konstruierte Charakter eines Fremdbildes deutet darauf hin, dass einerseits die Wahrnehmung einer fremden Nation einer ständigen Anpassung unterworfen wird und andererseits einige Vorstellungen und Stereotypen über Jahrhunderte bestehen und wirksam bleiben. Zu ihrer Aufgabe zählt Zykova die Untersuchung gerade dieser beweglichen („variablen“ in der Terminologie der Autorin) und unbeweglichen („konstanten“) Komponenten des Russlandbildes in deutschen Medien sowie der Faktoren, die diese Vorstellungen präg(t)en („Determinanten“). Daher teil sich der Hauptteil des Buches (Teile II und III) in zwei Kapitel – eine Übersicht des historischen Erbes des deutschen Russlandbildes seit dem Mittelalter und die Untersuchung der Berichte deutscher Printmedien über russische Innen- und Außenpolitik am Anfang des 21. Jahrhunderts.

In Teil II stützt sich die Autorin hauptsächlich auf sekundäre Forschungsliteratur, wenn sie die historischen Wurzeln des deutschen Russlandbildes skizziert. Zu den wichtigsten Konstanten dieses Bildes zählt Zykova die Vorstellungen von der Rückständigkeit und Barbarei der Russen, der russischen Knechtsnatur und ihrer Hinneigung zu autoritärer Herrschaft sowie zur Vortäuschung falscher Realitäten (Topos von den „potemkinschen Dörfern“) und schließlich die Zuordnung Russlands zu Asien und die allgemeine Furcht vor der „russischen Gefahr“. Der Überblick über die Historiographie ist jedoch etwas lückenhaft: Der Schwerpunkt liegt deutlich auf den deutschsprachigen Werken von Andreas Kappeler, Hans Lemberg und auf den vier Bänden des Wuppertaler Projekts unter Redaktion von Mechthild Keller, während die englischen Arbeiten von Marshall Poe und Nancy Kollmann Shields über die Ursprünge der Barbaren- und Sklavenbilder und des russischen Despotismus nicht berücksichtigt werden. Komponenten wie Barbarei und Rückständigkeit der Russen werden im Wesentlichen miteinander gleichgesetzt, obwohl gerade der Übergang von der Vorstellung über die russische Barbarei zu der Idee der Rückständigkeit Russlands einen wichtigen Wendepunkt in der westlichen Wahrnehmung Russlands unter Peter I. markierte. Fehlerhaft ist die Erwähnung fehlender Russischkenntnisse bei Sigismund von Herberstein, der bekanntermaßen während seines Aufenthalts im Moskauer Reich etliche russische Handschriften lesen konnte.

Die eigentliche Quellenanalyse – die Untersuchung und Auswertung der Zeitungsberichte – findet sich im Teil III des Buches. Die Autorin wählt die wichtigsten Themenfelder der deutschen russlandbezogenen Berichterstattung der Jahre 2000–2011 aus, beispielsweise „Energieimperialismus“ oder „Demokratiedefizite“, und untersucht sie im Hinblick auf Verwendung von alten Klischees und Stereotypen. Daraus ergibt sich laut Zykova, dass vor allem vier Komponenten des modernen deutschen Russlandbildes starke Parallelen zu bereits in der Vergangenheit vorhandenen Vorurteilen aufweisen: Vortäuschung falscher Realitäten (Topos von den „potemkinschen Dörfern“), die Schüler-Rolle Russlands im Verhältnis zum westlichen Europa, die Exklusion Russlands aus dem europäischen Raum und verschiedene Formen des Topos von der „russischen Gefahr“. Insgesamt kommt die Autorin zum Ergebnis, dass „sich hinter den Russlandbildern des Anfangs des 21. Jahrhunderts unter dem Mantel der Hinweise auf die autoritär-totalitäre sowjetische Vergangenheit Muster und Vorlagen der früheren Russlandvorstellungen verbergen, die ihren inhaltlichen Parametern nach bereits Jahrhunderte alt sind“ (S. 246).

Der Weg, der zu dieser Schlussfolgerung führt, erweckt jedoch einige Fragen und Kritik. Erstens ist die Quellenbasis der Studie ziemlich begrenzt: Sie besteht nur aus den Beiträgen der FAZ und des Spiegel, mit einigen Ergänzungen aus der Zeit und der Süddeutschen Zeitung. Die Begründung dieser Auswahl, dass die Einbeziehung anderer Zeitungen „aufgrund der zunehmenden Stromlinienförmigkeit in den Medien inhaltlich und qualitativ kaum einen Mehrwert für die Analyse bringen würde“ (S. 122), erscheint etwas voreilig, da gerade in der deutschen Medienlandschaft Zeitungen mit sehr unterschiedlichen politischen Ansichten präsent sind (etwa FAZ im Vergleich zu TAZ), von denen auch verschiedene Russlandbilder zu erwarten wären. Zweitens gelingt es Zykova nicht überall, die genauen Wurzeln der Komponenten des modernen deutschen Russlandbildes zu demonstrieren. An mehreren Stellen (z.B. im Kapitel über den russisch-georgischen Konflikt im August 2008) wird deutlich, dass die Journalisten des 21. Jahrhunderts vorwiegend auf die Rhetorik des Kalten Krieges, zum Teil sogar wörtlich, zurückgriffen. Inwieweit die Klischees aus der vorsowjetischen Epoche bewusst herangezogen wurden, wird nicht genau erläutert. Zykova muss selbst konstatieren, dass einige Stereotype über das zarische Russland – Zugehörigkeit Russlands zu Asien, russische Religiosität oder die Benennung „Moskowiter“ – in der modernen Presse kaum zu finden sind. Schließlich formuliert Zykova selbst einige sehr interessante Fragen, auf die sie jedoch nicht näher eingeht. So erwähnt sie, dass laut Umfragen ein wesentlicher Teil der deutschen Bevölkerung gegenüber der Medienberichterstattung über Russland Mitte der 2000er Jahre sehr kritisch eingestellt war, was die These von einer besonderen Wirkung der Medien bei der Schaffung eines Fremdbildes aus Teil I in Frage stellt. Auch die angekündigte Diskrepanz zwischen dem negativen Bild von Russland in den deutschen Medien und der positiven Haltung deutscher Politiker gegenüber Russland während der ersten Präsidentschaften von Putin bleibt ohne Erklärung.

Insgesamt hinterlässt das Buch von Zykova einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits behandelt die Autorin ein sehr aktuelles und fruchtbares Thema, sie bietet Einblicke in die Geschichte der westlichen Wahrnehmung Russlands und zeichnet die Grundzüge der modernen deutschen Medienberichterstattung über Russland nach. Andererseits bedarf das Thema wegen des begrenzten Quellenkorpus der Studie und der unbeantwortet bleibenden Fragen sicherlich weiterer Untersuchung.

Gleb Kazakov, Freiburg i. Br.

Zitierweise: Gleb Kazakov über: Antonina Zykova: Zaren, Bären und Barbaren. Das mediale deutsche Russlandbild am Anfang des 21. Jahrhunderts und seine historischen Wurzeln. Herne: Schäfer, 2014. 360 S., 4 Abb. = Studien zur Geschichte Ost- und Ostmitteleuropas, 11. ISBN: 978-3-944487-19-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Kazakov_Zykova_Zaren_Baeren_und_Barbaren.html (Datum des Seitenbesuchs)

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