Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 3, S.  458-459

Andrew L. Jenks Russia in a Box. Art and Identity in an Age of Revolution. Northern Illinois University Press DeKalb, IL 2005. IX, 264 S., 12 Farbabb., 15 s/w-Abb. ISBN: 0-87580-339-3.

Die für den westlichen Touristen hübsch kitschigen, lackierten Kästchen aus den Dörfern Palech, Choluj und Mstera erweisen sich in der Untersuchung des Historikers als ein höchst charakteristisches Medium innerhalb des Ringens um die russisch-orthodoxe Ikone und authentisch russische Kunst. J. W. von Goethe hatte 1814 durch eine Anfrage an die russische Zarenmutter Maria Fedorovna das Interesse an beidem ausgelöst, auch deswegen, weil der Historiker Karamzin involviert wurde. Der Verfasser verfolgt einerseits die Entwicklung der Ikone zum Kunstgewerbe mit teilweise beträchtlichem Anteil am russischen Kunst-Export, andererseits die Rezeption dieser pseudo-altrussischen Malerei in der russischen Intellektuellen-Schicht. Ein Zitat von F. I. Buslaev verknüpft dieses Thema mit dem Widerstreit zwischen Sla­vophilen und Westlern: Die Ikone reflektiere „the determined independence and uniqueness of the Russian nation, in all its indestructible might, raised for centuries in backwardness and stagnation, in its unwavering faith in the long-ago accepted principles“ (S. 27). An den volkstümlichen Lackbildern und -kästchen rieben sich bis über die Stalinzeit hinweg die Traditionalisten, die Avantgarde und die sowjetischen Ideologen. Immerhin haben sowohl Lev Trockij als auch Maksim Gorkij und andere Prominente ihre Hand über Palech gehalten. Nicht nur die russisch-orthodoxe Bevölkerung, sondern auch und vor allem das internationale Publikum liebte und kaufte die Lackmalereien aus Palech, auch wenn schließlich aus dem heiligen Georg ein Rotarmist zu Pferde geworden war. 1930 hieß es „The Palekh artel has exceptional importance as an organization that produces objects of high value of an export character“ (S. 117). Auf internationalen Ausstellungen sind die Palech-Produkte reißend verkauft worden und haben in dieser Hinsicht die sowjetische Moderne weit überflügelt (S. 113ff.). Die Geschichte des volkstümlichen Genres wird von Jenks sowohl in den Zusammenhang der traditionell russischen Identität als auch in den Wirbel der sowjetischen Selbstfindung gestellt, bis hin zur Stalin-Ikonographie (1951 wurde das Motiv „Stalin – The Lenin of Today“ kreiert). Wenn man über die Malerei auf Lack-Kästchen hinausblicken will, findet man etwa in dem Buch des Palech-Malers Nikolaj Michajlovič Zinov’ev „Iskusstvo Palecha“ (Leningrad 1968) anderes Material bis hin zur Monumentalmalerei.

Frank Kämpfer, Hamburg

Zitierweise: Frank Kämpfer über: Andrew L. Jenks: Russia in a Box. Art and Identity in an Age of Revolution. Northern Illinois University Press DeKalb, IL 2005. ISBN: 0-87580-339-3., in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 3, S. 458-459: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Kaempfer_Jenks_Russia_in_a_Box.html (Datum des Seitenbesuchs)