Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), H. 2, S. 315-317

Verfasst von: Mariusz Kaczka

 

Gábor Kármán / Lovro Kunčević (eds.): The European Tributary States of the Ottoman Empire in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Leiden, Boston, MA: Brill, 2013. IX, 449 S., Tab., Ktn.. = The Ottoman Empire and Its Heritage, 53. ISBN: 978-9-004-24606-5.

In den letzten Jahren hat sich das allgemeine und wissenschaftliche Interesse am Osmanischen Reich mit erfreulicher Geschwindigkeit entwickelt. Die Attraktivität des Thema löste in der Türkei selbst eine wahre „Osmanomanie“ in den bildenden Künsten, in Medien, Architektur und bis hin zu Mode und Esskultur aus. Gleichermaßen ist in der historischen Forschung ein steigendes Interesse erkennbar. Die in den letzten Jahren erschienenen Monographien und Sammelbände bieten einen weiterreichenden Blick auf das Osmanische Reich als frühere Forschungen. Diese neue Forschung betrachtet das Osmanische Reich nicht mehr ausschließlich aus der Perspektive des Mittelmeerraums (siehe etwa den kürzlich erschiene Sammelband: Well-Connected Domains. Towards an Entangled Ottoman History, ed. by Pascal W. Fringes / Tobias P. Graf / Christian Roth / Gülay Tulasoğlu. Leiden, Boston, 2014. = The Ottoman Empire and its Heritage. Politics, Society and Economy, 57), vielmehr wird hier auf eine vergleichende Perspektive gesetzt. Das Osmanische Reich war nicht nur eine Mittelmeermacht. Die Interessen der Osmanen erstreckten sich vom Mittelmeerraum über weite Teile Osteuropas bis hin zum Persischen Golf, wobei an den Grenzen des Reiches ein komplexes und vielschichtiges System der Kontrolle und Eingliederung der Neueroberungen in das Reich geschaffen wurde. Letzterem Aspekt ist der von Gábor Kármán und Lovro Kunčević verantwortete Sammelband gewidmet. Er ging aus einer im Mai 2009 in Dubrovnik abgehaltenen Tagung hervor und ist in drei thematische sowie einen vierten komparativen Abschnitt unterteilt. Diese befassen sich mit den juristischen, diplomatischen und militärischen Aspekten der Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und seinen verschiedenen Vasallen. Ergänzt wird der Band durch eine Einleitung der Herausgeber, ein abschließendes Kapitel, das sich mit der osmanischen Perspektive auf die Tributpflichtigkeit auseinandersetzt, sowie mit einem Register und historischen Karten. Der Anspruch der Herausgeber lag eindeutig auf einem möglichst breitgefächerten regionalen (Ragusa, Walachei, Moldau, Siebenbürgen, das Krimkhanat und das kosakische Hetmanat) und thematischen Spektrum der Beiträge.

In dem der Diplomatie gewidmeten Abschnitt liefert Gábor Kármán eine aufschlussreiche Vergleichsdarstellung der diplomatischen Praxis des Osmanischen Reichs gegenüber tributpflichtigen und souveränen Herrschern sowie eigenen Untertanen. So hielten interessanterweise die osmanischen Paschas von Buda oder Silistra ihre ständigen Repräsentanten am Hof in Istanbul, ähnlich wie die Herrscher Transsilvaniens, der Moldau und der Walachei. (S. 163–164) Kármán lokalisiert in seinem Beitrag die Standorte der Botschaften und anderen Vertretungen in der osmanischen Hauptstadt. Am Beispiel Transsilvaniens schildert er zudem das Zeremoniell und die Misshandlung der Diplomaten. Vesna Miović bietet in ihrem Artikel einen Überblick über den diplomatischen Dienst von Ragusa. Die ragusischen Gesandten bekamen klare Instruktionen, die Stadt bei den Osmanen als möglichst arm und harmlos zu präsentieren. Sie sollten sogar bei der Ablieferung des Tributs theatralische Fähigkeiten beweisen, was die Verfasserin als „Theater der Armut“ bezeichnet (S. 205–207).

Radu G. Paun widmet seinen quellenreichen Beitrag exemplarisch den moldo-walachischen Aufständen des 16. und 17. Jahrhunderts. Ein faszinierendes Beispiel stellt der von Paun erwähnte Gaspar Graziani dar. Graziani beherrschte zahlreiche Sprachen und unterhielt weitreichende politische und soziale Beziehungen. Diese Sprachkenntnisse und Beziehungen nutzte er, um sein Netzwerk im Osmanischen Reich zu erweitern, bis er dadurch schließlich den moldauischen Thron bestieg. Er versuchte, gemeinsam mit anderen rebellierenden Herrschern der Donaufürstentümer, eine gemeinsame moldo-walachische Front aufzubauen und schreckte dabei nicht vor Allianzen mit dem Habsburgerreich, mit Polen-Litauen, Moskau oder den Kosaken zurück (S. 248). Paun kritisiert, dass die erfolglosen Aufstände in der Forschung immer noch teleologisch interpretiert werden. Er versucht in seinem Beitrag demgegenüber, diese Aufstände aus der Perspektive der zeitgenössischen Akteure darzustellen.

Der dritte Abschnitt wird von Ovidiu Cristea und seinem Beitrag über die militärische Zusammenarbeit der Donaufürstentümer mit dem Osmanischen Reich eröffnet. Cristea identifiziert die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts als die Anfangsphase der militärischen Kooperation, wobei erst nach der Schlacht bei Mohács (1526) die Pflicht zur Stellung eines Hilfskorps an die Osmanen festgesetzt wurde. Diese Hilfskräfte wurden üblicherweise in der direkten Umgebung der Fürstentümer eingesetzt, wobei walachische Truppen auch auf dem Balkan zum Einsatz kamen. Der sich grundsätzlich an Quellen aus dem 16. Jahrhundert orientierende Aufsatz von Cristea bietet einen guten Ausgangspunkt für weitere Forschungen in diese Richtung.

Mária Ivanics spricht in ihrem minutiösen, aber dennoch ausgewogenen Beitrag die militärische Zusammenarbeit der Tataren und Osmanen an. Die höchst mobilen tatarischen Einheiten wurden von den Osmanen gerne sowohl an auf ungarischen, als auch auf den persischen Kriegsschauplätzen eingesetzt. Ivanics behandelt in ihrem Übersichtsbeitrag diplomatische, militärische, ökonomische und sogar ethnographische Aspekte der tatarischen Kriegsführung. Dabei werden auch neue Fragen beispielsweise nach der Rolle der Tataren bei der Versorgung der osmanischen Armee (S. 285) aufgegriffen. In den beiden weiteren Beiträgen des Abschnitts behandelt János B. Szabó zunächst deskriptiv die transsilvanisch-osmanische Zusammenarbeit (1571–1688), während Domagoj Madunić anschließend das Defensivsystem der ragusanischen Republik (ca. 1580–1620) untersucht.

Als besonders spannend erweist sich der vierte Abschnitt, der an den von Helmut G. Koenigsberger eingeführten und von John H. Elliott popularisierten Begriff der „zusammengesetzten Monarchie“ anknüpft. In seinem komplexen, aber verständlichen Beitrag liefert Sándor Papp eine Systematisierung des osmanischen Provinzsystems. Die Atlanten und Gesamtdarstellungen der europäischen Geschichte bilden oft das Osmanische Reich als ein einheitliches und von einem Herrscher regiertes Territorium ab. Papp verweist dagegen auf verschiedene Ebenen der Abhängigkeit bei den unterschiedlichen Vasallen des Reiches gegenüber dem Zentrum in Istanbul. So bemühte sich beispielshalber der fast autonome Herrscher von Tunis 1709 um eine Verleihungsurkunde der Osmanen (S. 385; siehe dazu: Christian Windler: Diplomatic History as a Field for Cultural Analysis: Muslim-Christian Relations in Tunis, 1700–1840, in: The Historical Journal, 44 [2001], 1, S. 79–106). Das osmanische Regierungssystem umfasste auch, so Papp, ein Konglomerat von lokalen und autonomen Gemeinden, die vorwiegend in den Grenzgebieten des Reiches lokalisiert waren (S. 417).

Der Band wird durch einen grundlegenden Beitrag von Dariusz Kołodziej­czyk abgerundet. Unter Heranziehung von Beispielen aus dem osteuropäischen Raum, aber ebenso aus den Gebieten Kurdistans, des Jemen und des Kaukasus, unterstreicht Kołodziejczyk eine unscharfe Kategorisierung des Vasallentums durch die Osmanen und darüber hinaus deren Pragmatismus. So wurde das Khanat der Krim von den Osmanen inkonsequenterweise innerhalb von zwei Jahren einmal als völlig unterworfen und ein anderes Mal als souverän kategorisiert (S. 422–423). Konträr zur Situation auf der Krim wurden die aufständischen Imame des Jemen nach längeren Kämpfen einfach auf ihren Posten als Vasallen des Sultans bestätigt (S. 423–425). Diese Situation führt Kołodziejczyk zu der provokanten Frage, welche Länder innerhalb und welche außerhalb des Osmanischen Reiches lagen dies alles, um letztendlich eine sokratische Antwort zu geben, die den Forschungsschwerpunkt auf andere damit zusammenhängende Elemente des Reiches zu lenken versucht als nur auf die Frage der fehlenden oder existierenden Souveränität der Vasallen. Denn genau davon sind die nationalen Geschichtsschreibungen weiterhin besessen.

Zusammen mit dem ersten Abschnitt des Bandes, wo in fünf Beiträgen die juristische Lage der Vasallenstaaten (Moldau, Walachei, Khanat der Krim, Transsilvanien, Ragusa und die kosakische Ukraine) behandelt wird, erweitert, strukturiert und systematisiert der Band unser Wissen über die flexiblen Strukturen des Vasallentums innerhalb des Osmanischen Reichs während der Frühen Neuzeit und zeigt bestehende Forschungslücken auf. Zweifelsohne gehört der gewissenhaft editierte Band zu den besten Publikationen der letzten Jahre in diesem Forschungsfeld.

Mariusz Kaczka, Berlin

Zitierweise: Mariusz Kaczka über: Gábor Kármán / Lovro Kunčević (eds.): The European Tributary States of the Ottoman Empire in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Leiden, Boston, MA: Brill, 2013. IX, 449 S., Tab., Ktn.. = The Ottoman Empire and Its Heritage, 53. ISBN: 978-9-004-24606-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Kaczka_Karman_European_Tributary_States_of_the_Ottoman_Empire.html (Datum des Seitenbesuchs)

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