Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), H. 2, S. 343-344

Verfasst von: Jens Hoppe

 

Hildrun Glass: Deutschland und die Verfolgung der Juden im rumänischen Machtbereich 1940–1944. München: Oldenbourg, 2014. VIII, 303 S. = Südosteuropäische Arbeiten, 152. ISBN: 978-3-486-72293-2.

Hildrun Glass ist Mitglied der Internationalen Kommission zur Erforschung des Holocaust in Rumänien gewesen und hat in deren Rahmen mit dem ausgewiesenen israelischen Experten Jean Ancel das Kapitel des Abschlussberichts dieser Kommission zu den deutsch-rumänischen Beziehungen bearbeitet. Hierdurch wird klar, dass die Autorin schon vor langer Zeit tief in die Materie ihrer Studie eingedrungen ist. Eine Leserin oder ein Leser kann daher einen fundierten Einblick in die deutsch-rumänischen Auseinandersetzungen und in die Kooperation bei der Verfolgung und massenhaften Ermordung der Juden im rumänischen Machtbereich erwarten. Und man wird nicht enttäuscht!

Zentrale Punkte der vorliegenden Studie sind die deutschen Bemühungen um die Einbeziehung der rumänischen Juden in den Massenmord, die rumänischen Planungen hinsichtlich der Juden im eigenen Machtbereich sowie die Interaktionen zwischen den beiden Achsenmächten. Seit längerem ist bekannt, dass hier mehr oder weniger von drei Phasen gesprochen werden kann: Entsprechend gliedert Hildrun Glass ihre Arbeit nach einer knapp gehaltenen informativen Einleitung in drei Abschnitte, nämlich über die erste Phase der weitgehenden Kongruenz der deutschen und rumänischen antijüdischen Planungen in den Jahren 1940/41, die zweite Phase mit den zu Tage tretenden Divergenzen im Jahr 1942 und die des offenen Dissenses 1943/44. Besonders deutlich wird durch diese Studie, dass die unterschiedliche Einschätzung der militärischen Lage bzw. die daraus gezogenen unterschiedlichen Schlüsse eindeutig für den Dissens verantwortlich sind. Insbesondere der zweite ‚starke Mann‘ in Rumänien Mihai Antonescu ging ab Herbst 1942 davon aus, dass die Achse den Krieg gegen die Sowjetunion nicht mehr gewinnen könne, und entschied sich daher dafür, die Politik gegenüber den Juden zu ändern. Statt auf Massenmord (wie noch im Jahr 1941) setzte er nunmehr erneut auf Auswanderung, die jedoch von den Deutschen seit Oktober 1941 grundsätzlich abgelehnt wurde. Rumänien ist ein gewichtiges Beispiel dafür, dass bei der Erforschung der Shoah die militärische Lage und die Einschätzung derselben durch die Beteiligten stärker als bisher berücksichtigt werden müssen. Zudem ist erkennbar, dass die deutsche Vernichtungsmaschinerie dann nicht voll zum Zuge kam, wenn ideologische Fixierungen einer flexiblen Handhabung im Wege standen. Hildrun Glass kann aufzeigen, dass die rumänische Staatsführung bereit gewesen wäre, weitere Juden aus Rumänien nach Transnistrien zu deportieren, wenn die zuvor dorthin verschleppten Juden in die deutsch besetzten Teile der Sowjetunion hätten abgeschoben werden können. Dies unterblieb schließlich, denn die deutschen Planungen sahen 1942 einen Transport in die Vernichtungslager im deutsch besetzten Polen vor, aber keinen Massenmord im Reichskommissariat Ukraine, und so weigerten sich die deutschen Stellen, die rumänischen Juden „zu übernehmen“.

Die in der Studie vorgenommene Dreigliederung ist keine innovative Herangehensweise, aber „State of the art“. Die Stärke der Arbeit liegt vielmehr in der intensiven und feingliedrigen Auswertung und Deutung der überlieferten Quellen. Dabei stützt sich die Autorin vor allem auf deutsche und rumänische Quellen, und hier wiederum vor allem auf solche, die heutzutage vielfach als Täterquellen bezeichnet werden. Selbstverständlich werden etwa auch Memoiren der Beteiligten und Justizakten aus der Nachkriegszeit herangezogen. Da es Hildrun Glass um die Einflussnahme Deutschlands und um die antijüdische Politik Rumäniens geht, fehlen Quellen aus jüdischer Sicht, so genannte Opferquellen, weitgehend. Entsprechend erscheinen jüdische Akteure der Jahre 1940 bis 1944 eher als Reagierende denn als selbstständig Agierende. Dies ist dem Zuschnitt der Studie geschuldet und zumindest in den Augen des Rezensenten eine Schwäche. Die eigentliche Stärke der sehr detaillierten Schilderung der Bemühungen beider Seite im Feld der antijüdischen Verfolgung und des Massenmordes, der Ermittlung der Verantwortlichkeiten sowie der Aufdeckung der Intentionen der handelnden Rumänen und Deutschen ist gleichzeitig auch ein weiterer Schwachpunkt. Dadurch, dass in denselben Quellen verschiedene Aspekte auftauchen, in unterschiedlichen Zusammenhängen dieselben Aussagen herangezogen werden (müssen), kommt es nicht nur zu einer schwer zu bewältigenden Fülle an Informationen, sondern auch zu Redundanzen. Trotz dieses Befundes muss – in gewisser Weise überraschend – festgehalten werden, dass die Arbeit sehr gut zu lesen und sprachlich gelungen ist.

Da Hildrun Glass auch Verantwortlichkeiten untersucht, kann sie belegen, dass es 1941 eigenständige rumänische Planungen zur ethnischen Säuberung einschließlich des Massenmordes an den Juden gegeben hat, die zum Teil und mit größter Gewalt umgesetzt wurden, wenn auch regional begrenzt auf Bessarabien, die Bukowina sowie auf Teile des Moldaugebietes und somit nicht in ganz Rumänien wirksam waren. Bei einem anderen Kriegsverlauf und einer flexibleren deutschen Haltung zu den Abschiebungen von Juden aus Transnistrien wären sehr wahrscheinlich auch die Juden aus dem rumänischen Teil des Banat und dem nach August 1940 bei Rumänien verbliebenen Teil Siebenbürgens in den Massenmord einbezogen worden, also weitere Gebiete, die erst nach dem Ersten Weltkrieg zu Rumänien kamen. Dies verdeutlicht erneut die unterschiedliche Wahrnehmung der Juden durch die rumänische Staatsführung, abhängig von der Dauer ihrer Zugehörigkeit zu Rumänien.

Des Weiteren werden wiederholt die Verbindungen der antijüdischen Politik Rumäniens zu derjenigen anderer mit dem Deutschen Reich verbündeter Staaten aufgezeigt. Zum Beispiel präsentierte der „Judenberater“ Gustav Richter in Bukarest Vorschläge zur Behandlung der Juden vor, die bereits der „Judenberater“ Dieter Wisliceny in der Slowakei vorgelegt hatte. Vielfach verwies Mihai Antonescu auf antijüdische Maßnahmen in Nachbarstaaten, also vor allem Ungarn und Bulgarien, aber auch auf andere Verbündete des Deutschen Reiches wie Italien, um die eigene Politik gegenüber den Deutschen zu erläutern. Daneben verhinderte etwa Bulgarien auf deutschen Druck hin die Auswanderung von rumänischen Juden über sein Territorium. Derartige Verbindungen werden jedoch nicht eigenständig thematisiert, sodass hier eine Lücke bleibt.

Die hohe Qualität der Studie von Hildrun Glass wird auch daran erkennbar, dass sie (anders als viele andere Arbeiten) ein Sachregister enthält. Zwei Karten zu Transnistrien runden den Band ab, der denjenigen empfohlen werden kann, die sich mit der Judenverfolgung in Rumänien aus dem Blickwinkel der Entscheidungswege und Verantwortlichkeiten beschäftigen. Sie erhalten eine grundlegende und sehr genau argumentierende Arbeit.

Jens Hoppe, Frankfurt am Main

Zitierweise: Jens Hoppe über: Hildrun Glass: Deutschland und die Verfolgung der Juden im rumänischen Machtbereich 1940–1944. München: Oldenbourg, 2014. VIII, 303 S. = Südosteuropäische Arbeiten, 152. ISBN: 978-3-486-72293-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hoppe_Glass_Verfolgung_der_Juden_im_rumaenischen_Machtbereich.html (Datum des Seitenbesuchs)

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