Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 3, S. 478-481

Verfasst von: Andreas R. Hofmann

 

Warfare in Eastern Europe, 1500–1800. Edited by Brian L. Davies. Leiden, Boston: Brill, 2012. VI, 364 S. = History of Warfare, 72. ISBN: 978-90-04-22196-3.

An (west‑) deutschen Universitäten gehörte die Militärgeschichte zwei Generationen lang nicht gerade zum Kerncurriculum. Die Militärgeschichte Osteuropas dürfte aber selbst in den diesem Spezialfach aufgeschlosseneren anglophonen Ländern eher unter die selten gelehrten Kurse fallen. Dabei ist es ein Gemeinplatz, dass besonders in den frühneuzeitlichen Staaten nicht nur des östlichen Europa der Staatszweck zentral über Militär und Kriegführung definiert war, ohne die eine Untersuchung der damaligen Gesellschaften und Wirtschaften unvollständig bleibt. Es ist sicher nicht allein deshalb zu begrüßen, dass seit einem guten Jahrzehnt auch hierzulande die Militärgeschichte revitalisiert wird, nun nicht mehr unter dem Primat von Kriegs‑ und Operationsgeschichte, sondern unter dem von Kultur und Gesellschaft.

Die einschließlich der Einleitung zwölf Beiträge des vorzustellenden Bandes sind überwiegend Synthesen eigenständiger Forschungen, welche die Autorinnen und Autoren zuvor in monographischer Form vorgelegt haben. Damit wenden sie sich besonders an Studierende und Nichtspezialisten und bieten teilweise gute Einführungen in den jeweiligen Gegenstand.

In seiner Einleitung bemüht sich Herausgeber Brian Davies um eine Entexotisierung der Thematik, indem er an den Begriff der frühneuzeitlichen Military Revolution anknüpft. Dieser wurde ursprünglich 1955 von Michael Roberts eingeführt, seit den 1980er Jahren von Geoffrey Parker weiterentwickelt und ist längst Gegenstand einer regalefüllenden Debatte geworden. Parker fokussierte die im ausgehenden 15. Jahrhundert einsetzende Umstellung des Festungsbaus auf die Erfordernisse der Schwarzpulverartillerie (trace italienne). Der Bau ganzer Gürtel solcher Befestigungswerke habe große Besatzungen, noch größere Belagerungsheere und damit insgesamt eine erhebliche Ausweitung des Kriegswesens mit beträchtlichen fiskalischen und volkswirtschaftlichen Folgen gezeitigt. Demnach sei die Military Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts nicht allein mit der Proliferation der Feuerwaffen, den nassauischen Reformen und den daraus folgenden taktischen Veränderungen gleichzusetzen, wie sie Roberts ursprünglich in den Mittelpunkt gestellt hatte. Davies bezieht sich insbesondere auf Jeremy Black, der Parkers Konzept nicht ablehnte, aber die Military Revolution auf das 18. Jahrhundert verlagerte, weil erst damals die entscheidenden technischen und taktischen Veränderungen durchgeschlagen seien und die europäischen Mächte ihre militärische Überlegenheit gegenüber der außereuropäischen Welt im Zuge der Kolonialisierung hätten zur Geltung bringen können.

Das östliche Europa, so wiederum Davies, bilde einen Prüfstein, an dem Blacks modifizierte These zur Military Revolution getestet werden könne, weil es hier zu einer direkten Konfrontation eines außereuropäischen, nämlich des osmanischen Militärwesens mit der aus dem Westen adaptierten Militärtechnik und ‑taktik gekommen sei. Dabei habe sich während der österreichischen und russischen Kriege mit dem Osmanischen Reich der westliche Entwicklungsvorsprung immer deutlicher gezeigt. Russland als die seit dem 18. Jahrhundert führende Militärmacht der Region habe dabei seine Erfahrungen aus beiden von Davies unterschiedenen osteuropäischen Kriegsschauplätzen nutzen können, nämlich dem baltisch-mitteleuropäischen und dem schwarzmeerisch-donauländischen. Auf diese Weise gelingt es Davies, die russländische Entwicklung mit der mittel‑ und westeuropäischen in der Konzeption des „fiskal-militärischen Staates“ engzuführen, die heute an die Stelle des vielfach bereits verworfenen Konzepts des Absolutismus getreten ist.

Der von Davies entworfene konzeptionelle Rahmen wird allerdings in den empirischen Beiträgen des Bandes kaum aufgegriffen. Die geographische Verteilung ist zudem recht ungleichmäßig: Während sich allein sechs Aufsätze mit der Moskauer Rus’ und Russland befassen, sind nur zwei dem Habsburgerreich und je einer Polen-Litauen, den Osmanen und den Krimtataren gewidmet. So wird sich unter dem Strich der Nutzen dieses Sammelbandes nicht so sehr an der Stringenz seiner Gesamtkonzeption als an den spezifischen thematischen Interessen seiner Leser bemessen.

In einer Fallstudie zu dem Dienstgutbesitzer (pomeščik) Fedor Lodygin, der um die Mitte des 16. Jahrhunderts lebte, zeigt Janet Martin, dass das zuerst von Ivan III. bei der Verteilung der Novgoroder Ländereien Ende des 15. Jahrhundert eingerichtete pomest’e-System bereits zwei Generationen später militärisch wie ökonomisch dysfunktional war. Während theoretisch die pomest’ja die ökonomische Grundlage für Ausrüstung und Versorgung einer festgesetzten Anzahl Bewaffneter bilden sollten, waren viele pomeščiki wie Lodygin nur mit zusätzlichen staatlichen Zuwendungen in der Lage, die verlangte Zahl von gewappneten Reitern zu stellen. Denn das starre System der Dienstgüter wurde nicht an veränderte ökonomische Bedingungen angepasst und trug Einnahmeausfällen der Gutsbesitzer durch Missernten, Vergrößerung des Haushaltes oder Preiseinbrüche nach Seuchen keine Rechnung.

In seinem Beitrag zum habsburgischen Militärwesen in den ungarländischen Gebieten nach der Schlacht bei Mohács (1526) vertritt Géza Pálffy die These, dass sich die Kriegsanstrengungen Wiens zunächst weniger gegen die Osmanen als vielmehr gegen den um die ungarische Krone konkurrierenden Wahlkönig János (Johann) I. Szapolyai richteten. Erst nachdem 1542 der Versuch fehlgeschlagen war, Buda zurückzuerobern, hätten die Habsburger den Aufbau einer Verteidigungslinie im eigenen Stammterritorium eingeleitet. Erstaunlicherweise erwähnt Pálffy die Belagerung Wiens von 1529 im gesamten Text mit keinem Wort.

Dariusz Kupisz beschreibt die Entwicklung des polnisch-litauischen Heerwesens zur Zeit der Herrschaft des Königs Stefan Bathory (1576‒1586). Dieser hatte sich damit auseinanderzusetzen, dass die traditionelle adlige Heeresfolge (pospolite ruszenie) in vielfacher Hinsicht den neuzeitlichen Anforderungen nicht mehr genügte. Da der Sejm oft für die Anwerbung von Truppen die Mittel verweigerte, wurde das nach westlichen Vorbildern ausgerichtete Söldnerheer zu einem Viertel aus den Einnahmen der königlichen Domänen bezahlt (wojsko kwiarciane).

Brian Davies führt aus, dass die besonders aus den Hussitenkriegen des 15. Jahrhunderts bekannten Wagenburgen und mobilen Feldbefestigungen noch im 16. und selbst im 17. Jahrhundert in Moskowien weite Anwendung fanden, dort unter der Bezeichnung guljaj gorod. Den Grund dafür sieht er in der im Vergleich mit Westeuropa stärker defensiven Taktik der moskowitischen Infanterie, die einerseits auf Pikeniere zur Verteidigung der Musketiere (strel’cy) verzichtete, andererseits im typischerweise offenen Gelände der östlichen Kriegsschauplätze gewohnt war, hinter Feldschanzen oder eben mobilen Brustwehren zu kämpfen.

In einer interessanten Fallstudie stellt Oleg A. Nozdrin den niederländischen Freiherrn Adrian Flodorf vor, der 1613 vergeblich versuchte, mit einer kleinen Söldnertruppe in russische Dienste zu treten. Innerhalb der russländischen Militärgeschichte zwar nur Episode, liefert Flodorf für das frühneuzeitliche Söldnerwesen insgesamt gleichwohl ein bemerkenswertes personengeschichtliches Exempel. In Diensten des schwedischen Königs Gustav II. Adolph galt er später aufgrund seiner Landeskenntnisse als Russlandexperte.

Die besonderen logistischen Herausforderungen der Kriegführung auf russländischem Gebiet sind Gegenstand der Untersuchung von Carol B. Stevens. Proportional zur Reichserweiterung wuchsen die Entfernungen und damit die Probleme der Heeresversorgung. Auf den schlechten Wegen versagte die in Westeuropa übliche Verproviantierung per Wagentross. Unter anderem sollten vorgeschobene Siedlungen Abhilfe schaffen.

Einander entgegengesetzte Beispiele für den historiographischen Wert narrativer Quellen führen Victor Ostapchuk und Brian J. Boeck vor. Weil die krimtatarischen Archive infolge der russischen Eroberung vollständig verlorengingen, lässt sich das Heerwesen des Krimchanats nicht aus der Binnenperspektive rekonstruieren. Umso wertvoller ist eine von einem zeitgenössischen osmanischen Autor verfasste Geschichte des Krimchans Sahib Gerej (1535‒1551), anhand derer Ostapchuk die unter dessen Herrschaft geführten Feldzüge beschreibt. Dagegen versucht Boeck, die in der russländischen Historiographie stark mythisierte Belagerung von Azov (1641) auf den Boden der feststellbaren Tatsachen zurückzuholen.

Zwei Beiträge befassen sich mit Aspekten der Professionalisierung des frühneuzeitlichen Offizierskorps. In einem Aufsatz zur „generation of 1683“ zeichnet Erik A. Lund die Entwicklung des habsburgischen Offizierskorps und der Generalität in der Zeit der Türkenkriege nach. Dabei korrigiert er einige verbreitete Irrtümer: Die Offiziere der Habsburger seien keineswegs überwiegend kosmopolitische Söldner gewesen; auch hätten sich die Offiziere des Ingenieurkorps und der Artillerie nicht ausschließlich aus Bürgerlichen rekrutiert, denen der Aufstieg in den Generalsrang verwehrt geblieben sei. Bei Peter B. Brown geht es um die russische Heeresführung im 17. Jahrhundert. Er konstatiert die Herausbildung zweier unterschiedlicher Führungsstile, einen westlich orientierten für die Kriege gegen mitteleuropäische Gegner sowie einen auf die Belange des Steppenkriegs ausgerichteten ‚östlichen‘ Stil. Ansätze der Modernisierung des russländischen Heeres durch Adaption westlicher Vorbilder gab es lange vor den petrinischen Reformen; diese Entwicklung, so Brown, verlief aber alles andere als geradlinig und zielstrebig.

Ein Beitrag von Virginia H. Aksan über die Entwicklung der osmanischen Militärmacht im 18. Jahrhundert schließt den Band ab. Leider verliert sich die Autorin in zahlreichen faktographischen Details und lässt offen, ob sie den Niedergang des noch im vorherigen Jahrhundert so formidablen osmanischen Heeres vorwiegend auf die inneren sozioökonomischen Probleme des osmanischen Reiches oder aber auf den Zugewinn an Erfahrung und Professionalität zuerst der habsburgischen, dann der russländischen Armeen zurückführt ‒ wobei das eine das andere natürlich nicht ausschließt.

Wenn abschließend einige Forschungsdesiderate formuliert werden sollen, dann vielleicht diese: Die hier vorgestellten Einzelbeiträge wählen entschieden nicht den Ansatz der „neuen Militärgeschichte“, sondern fallen überwiegend in den Bereich der Operations‑ und Institutionengeschichte. Eine kulturgeschichtlich perspektivierte Militärgeschichte, eine Militärgeschichte ‚von unten‘, welche auch nach den sozialen und politischen Kosten von Militär und Kriegführung fragt, bleibt für das östliche Europa noch zu schreiben; in Anbetracht der über weite Strecken vorherrschenden Quellenarmut der Region eine voraussichtlich schwierige, vielleicht aber nicht unlösbare Aufgabe. Auch in Richtung eines Ost-West-Vergleichs reißt der Band mehr Fragen an, als er beantwortet. Wie z.B. waren die Spezifika des Landkrieges in Osteuropa ‒ genannt seien etwa die anders als im Westen anhaltende Dominanz der Kavallerie, die ganz anders verlaufende Entwicklung der Infanterietaktik und der hölzerne Festungsbau ‒ zu erklären, und welche mittel‑ und langfristigen Auswirkungen hatten sie? Schließlich, um auf Davies’ Konzept der Military Revolution für das östliche Europa zurückzukommen: Das damit implizierte Modernisierungsparadigma wird in Anbetracht der Verquickung heterogener Modelle und zeitverschobener Entwicklungen im östlichen Europa m. E. eher in Frage gestellt als bestätigt. Gerade in dieser Richtung könnte eine noch sehr fruchtbare Debatte geführt werden.

Andreas R. Hofmann, Leipzig

Zitierweise: Andreas R. Hofmann über: Warfare in Eastern Europe, 1500–1800. Edited by Brian L. Davies. Leiden, Boston: Brill, 2012. VI, 364 S. = History of Warfare, 72. ISBN: 978-90-04-22196-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hofmann_Davies_Warfare_in_Eastern_Europe.html (Datum des Seitenbesuchs)

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