Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), H. 2, S. 299-301

Verfasst von: Andreas R. Hofmann

 

Geschichte im Rundumblick. Panoramabilder im östlichen Europa. Hrsg. v. Arnold Bartetzky und Rudolf Jaworski. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, 2014. 213 S., 110 Abb.. = Visuelle Geschichtskultur, 11. ISBN: 978-3-412-22147-8.

Totgesagte leben länger – dieses Bonmot lässt sich gelegentlich auch auf aus der Mode gekommene Kunstformen anwenden. Für das Panorama gilt dies gleich in doppeltem Sinne: Über die Kunstgeschichte hinaus haben die historischen Wissenschaften seit einigen Jahren die großen Rundbilder als zeitspezifische Artefakte entdeckt, deren Entstehungs‑ und Rezeptionsgeschichte Aufschlüsse über soziokulturelle und politische Zusammenhänge des 19. Jahrhunderts zu geben vermögen. Zugleich gibt es eine praktische Renaissance des Panoramas als publikumswirksame Attraktion, denkt man etwa an die florierenden „Panometer“ des Künstlers Yadegar Asisi, der seine computergraphische Panoramenerstellung zu einem mittelständischen Unternehmen ausgebaut hat.

So war die Jahrestagung Geschichte im Rundumblick des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig vom November 2012, die der vorzustellende Band dokumentiert, einem zugleich historischen und aktuellen Bildmedium gewidmet. Der Fokus auf die Panoramenproduktion des östlichen Europa, die eine verhältnismäßig späte und kurze Blüte an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erlebte, soll Anregungen liefern, eine Lücke der bisherigen Forschung zu schließen, wie die beiden Herausgeber erläutern. Auf deren Einführungsbeiträge über die Entwicklung des panoramatischen Rundbilds und seine geschichtspolitischen Verwendungen in Ost‑ und Ostmitteleuropa folgen fünf Fallstudien zu markanten, in der Zeit um 1900 entstandenen Schlachtenpanoramen aus der Region. Vier weitere Beiträge thematisieren Beispiele für die geschichtspolitisch motivierte Wiederbelebung des Genres im Sozialismus sowie in der Türkei der Gegenwart. Ein abschließender kurzer Text von Werner Telesko bietet ein Resümee aus kunsthistorischer Sicht.

Das Panorama war nach Begriff und Sache eine Erfindung des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Es kehrte den altvertrauten Blick in den Guckkasten um, indem es den Betrachter in das Zentrum eines mit Mitteln der Illusionsmalerei geschaffenen, rundum geschlossenen Raums versetzte. Dessen naturalistische Wirkung wurde mit einem dem gemalten Bild vorgelagerten faux terrain noch gesteigert. Panoramen waren kostspielige Unternehmungen, oft von eigens gegründeten Aktiengesellschaften finanziert und auf Gewinngenerierung ausgerichtet. Deshalb suchten sie für ein Massenpublikum attraktiv zu sein, was sie nicht zuletzt von der Tafelmalerei absetzte, bei der die Bildbetrachtung meist ein soziales Privileg blieb. Die bevorzugten Panoramenmotive waren Stadtansichten, Landschaften und Bibelszenen, daneben traten alsbald historische Themen wie insbesondere Schlachten. Nach einem vorübergehenden Nachlassen des Interesses um die Jahrhundertmitte kam es zu einer letzten Panoramenkonjunktur, als der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 in Frankreich und im Deutschen Reich das Thema für eine ganze Anzahl von Panoramen lieferte. Bald nach 1900 trat jedoch das Großrundbild seine Popularität an den Kinematographen ab. Brachte ein Panorama nicht mehr die erwartete Dividende, wurde es meist von den Betreibern zerstückelt und die zugehörige Ausstellungsrotunde zerstört. Weitere Panoramen gingen während der beiden Weltkriege verloren, so dass heute weltweit nur noch etwa 25 Werke dieser Art aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert erhalten sind, davon einige gerade im östlichen Europa.

Während die Kunstform in Mittel‑ und Westeuropa bereits auf dem Rückzug war, wurde sie im östlichen Europa erst entdeckt. Die Panoramen entstanden hier häufig entweder auf Initiative patriotischer Vereine oder unter der Regie des Staates, so dass der kommerzielle Zweck hinter den der patriotischen Erziehung und nationalen Identitätsbildung zurücktrat. Der direkte Anlass waren oft größere Landes‑ und Fachausstellungen oder der runde Jahrestag einer als Schlüsselereignis der Nationalgeschichte erachteten Begebenheit, zumeist einer siegreichen Schlacht. Anders als die Panoramen im westlichen Europa, die zur Gewinnsteigerung auf Tournee geschickt wurden, waren die ost‑ und ostmitteleuropäischen oft an einem bestimmten Ort fest installiert.

Die Fallstudien beschreiben mit je unterschiedlicher Schwerpunktsetzung Anlässe, Planung, Ausführung, kritische Rezeption und spätere Peripetien (Verbleib, Restaurierung und Wiedereröffnung) von Panoramagemälden, die bis heute erhalten sind. Die gewählten Beispiele sind die für die Galizische Landesausstellung 1894 in Lemberg entstandene Schlacht bei Racławice, jetzt in Wrocław (Breslau) zu sehen (Anna Baumgartner); der Einzug der Ungarn, eröffnet 1894 und entstanden anlässlich der ungarischen Millenniumsfeier von 1896, seit 1995 zu besichtigen in Ópusztaszer (Robert Born und Orsolya Heinrich-Tamáska); das 1898 entstandene Panorama der Schlacht bei Lipany (Michaela Marek); die Schlacht am Bergisel von 1896 (Susanne Gurschler); schließlich die anlässlich des hundertsten Jahrestags der napoleonischen Invasion in Moskau eröffnete Schlacht bei Borodino (Konstantin Tsimbaev). Bei allen Parallelen der national‑ und identitätspolitischen Intentionen zeigen die Fallbeispiele doch auch bezeichnende Eigenheiten und Unterschiede. Wie Michaela Marek herausarbeitet, war die keineswegs unumstrittene Wahl der Schlacht von Lipany (1434) als vernichtende Niederlage des radikalen, taboritischen Flügels der Hussitenbewegung ein impliziter Kommentar zur Spaltung der tschechischen Nationalbewegung und ein Aufruf zur Einheit. Das Bergiselpanorama feierte nicht nur die Dritte Bergiselschlacht als ephemären Sieg des schließlich doch niedergeschlagenen Tiroler Aufstands von 1809, sondern bewarb zugleich gezielt Innsbruck und seine malerische Umgebung als attraktives Ziel des aufkommenden Alpentourismus. Bei der Darstellung der Schlacht von Borodino war nicht nur die Leistung der russischen Armee hervorzuheben, sondern auch eine gewisse diplomatische Rücksicht auf Frankreich zu nehmen, das mit Russland in der Entente verbündet war; daher schien die Wahl einer mit einer Pattsituation beendeten Schlacht naheliegend.

Eine Gemeinsamkeit der vorgestellten Panoramen besteht darin, dass sie durch ihre Rezeptionsgeschichte von nationalen Weihe‑ und Gedenkstätten in Erinnerungsorte eigenen Gewichts verwandelt wurden. Das ist nicht allein auf die veränderten Sehgewohnheiten der jüngeren Generationen zurückzuführen, sondern auch darauf, dass Erhalt, Restauration und Wiedereröffnung der Werke oft gegen Widerstände oder Bedenken aus der sozialistischen Partei‑ und Staatsführung durchzusetzen waren und deshalb rückblickend als genuin nationale oder oppositionelle Leistung verstanden werden. Das gilt besonders für das Racławice-Panorama, das immerhin einen der wenigen polnischen Siege über eine russische Armee zum Gegenstand hat. Mit bestimmten Akzentverschiebungen trifft das selbst noch auf diejenigen Panoramen zu, die erst in sozialistischer Zeit und auf ausdrückliche Initiative der Staatsführung hin geschaffen wurden, so das Panorama der Schlacht von Stalingrad im heutigen Volgograd (Rosalinde Sartori) oder das in einer gemeinsamen sowjetisch-bulgarischen Kraftanstrengung zur Jahrhundertfeier der Befreiung Bulgariens von osmanischer Herrschaft geschaffene Panorama der Schlacht bei Pleven von 1877 (Nikolaj Vukov). Dessen Besonderheit besteht darin, dass es sich exakt an dem topographischen Punkt befindet, auf dem der Betrachter des Rundbilds innerhalb des dargestellten Raums steht. Unter allen in dem Band behandelten Werken nimmt das von Thomas Topfstedt beschriebene Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen insofern eine Sonderstellung ein, als es auf ausdrücklichen Wunsch seines Schöpfers Werner Tübke nicht mehr illusionistisch ein Einzelereignis abbildet, sondern künstlerisch und kunsthistorisch beziehungsreich gleich das ganze Zeitalter der für die Geschichtspolitik der DDR konstitutiven „frühbürgerlichen Revolution“ collagiert. An dieser Stelle hätte sich der Rezensent gewünscht, Topfstedt hätte die – im Anschluss an einen von Max Damus entlehnten Begriff – gestellte Frage nach der „Nobilitierung des Herrschaftssystems“ durch Tübkes Werk nicht allein anhand der ihm von der SED-Führung zugeschriebenen Inhalte und Absichten bejaht, sondern auch aus kunsthistorischer Sicht werkimmanent überprüft.

Mit einem reportageartigen Text Karl Kasers zum Istanbuler Panorama der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453 wird die Reihe der Fallbeispiele geschlossen. Dieses letzte und aktuellste Exempel scheint den Zweck des Panoramas zu seinem Ausgangspunkt zurückzuführen. Denn obwohl das Rundbild die geschichtspolitisch manifeste Absicht verfolgt, osmanische in eine national-türkische Geschichte umzudeuten und zugleich einer in der global city Istanbul nicht wirklich beheimateten Bevölkerung aus anatolischen Zuwanderern ein Identifikationsangebot zu machen, überwiegt doch, so Kaser, eindeutig die Wirkung einer multimedialen, nämlich zusätzlich mit audiovisuellen Effekten ausgestatteten Vergnügungsstätte, die sich vorwiegend an ein jugendliches Publikum richtet.

Nicht nur dieses Beispiel zwingt zumindest zu einer Differenzierung der These, es handle sich beim monumentalen Rundbild heute um ein entschieden antiquiertes Medium, dessen geschichtsdidaktische Aufgaben längst von den bewegten Bildern und neuerdings besonders den historischen Computerspielen übernommen worden sei (Tsimbaev, S. 160). Vielmehr zeigen gewisse Krisenphänomene computeranimierter Großproduktionen wie etwa die Rückkehr zu 3-D-Experimenten, dass Strategien der visuellen Überwältigung irgendwann an die Grenze der Wahrnehmungsfähigkeit des Auges stoßen. Insofern ist das Rundbild mit seiner Möglichkeit, auf dem Detail zu verweilen und die „Dichotomie von Überblick und Fokus“ auf sich wirken zu lassen (Telesko in Anlehnung an Nic Leonhardt, S. 207), heute eher ein komplementäres Angebot als eine bloße nostalgische Reminiszenz. Auch das erklärt vielleicht den überraschenden Publikumserfolg der Asisi-Panoramen.

Andreas R. Hofmann, Leipzig

Zitierweise: Andreas R. Hofmann über: Geschichte im Rundumblick. Panoramabilder im östlichen Europa. Hrsg. v. Arnold Bartetzky und Rudolf Jaworski. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, 2014. 213 S., 110 Abb.. = Visuelle Geschichtskultur, 11. ISBN: 978-3-412-22147-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hofmann_Bartetzky_Geschichte_im Rundumblick.html (Datum des Seitenbesuchs)

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