Pertti Luntinen Sota Venäjällä – Venäjä sodassa [Krieg in Russland, Russland im Krieg]. Suo­ma­laisen Kirjallisuuden Seura Helsinki (SKS) Helsinki 2008. 1037 S., Ktn., Tab., Abb. = Suo­malaisen Kirjallisuuden Seuran Toimituksia, 1159. ISBN: 978-951-746-978-4.

J. E. O. Screen The Army in Finland During the Last Decades of the Swedish Rule (1770–1809). Tammer-Paino Oy Tampere; Suomalaisen Kirjallisuuden Seura (SKS) Helsinki 2007. 534 S., Abb. = Studia Historica, 75. ISBN: 978-951-746-921-0.

Die Kriegsthematik hat in der historisch interessierten finnischen Gesellschaft immer noch einen hohen Stellenwert. Der anstehende zweihundertste Jahrestag des Landtages von Porvoo, auf dem nach der Niederlage im schwedisch-russischen Krieg von 1808–1809 der Übergang Finnlands unter russische Oberherrschaft besiegelt wurde, bringt neue Herausforderungen und Anfragen an die Geschichtswissenschaft mit sich. Zwei Neuerscheinungen tragen in unterschiedlicher Weise zur historischen Einordnung der damaligen Vorgänge bei.

Pertti Luntinen hat sich wiederholt mit kriegs- und militärgeschichtlichen Fragen beschäftigt. Mehrere Studien sind auch in englischer Sprache publiziert worden (French information on the Russian war plans, 1880–1914. Helsinki 1984; F. A. Seyn A political biography of a tsarist imperialist as administrator of Finland. Helsinki 1985; The Baltic question, 1903–1908. Helsinki 1985; The Imperial Russian army and navy in Finland, 1808–1918. Helsinki 1997). In seinem neuen anspruchsvollen Monumentalwerk hat er nicht nur die Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen im Ostseebereich und an der Ostgrenze Finnlands im Blick, sondern er versucht eine Gesamtwürdigung des Kriegsphänomens in der russischen Geschichte von der vorgeschichtlichen Periode bis zum Čečenien-Krieg und dem jüngsten russisch-georgischen Konflikt. Dabei sollten dem Leser keine neuen Erkenntnisse aus eigenen Quel­lenforschungen vorgelegt, sondern eine Zu­sammenfassung des aktuellen Forschungsstandes angeboten werden. Die Darstellung stützt sich in der Tat auf eine beeindruckende Sammlung einschlägiger Sekundärliteratur. Unter den annähernd 800 Titeln, die im Literatur­anhang verzeichnet sind (S. 937–960), finden sich vornehmlich Veröffentlichungen in westlichen Sprachen. Die Verweise auf russische Spezialliteratur sind eher lückenhaft. Die ambitionierte Zielsetzung, sämtliche kriegerischen Ereignisse auf russischem Territorium und im gesamten eurasischen Raum in einer enzyklopädischen Übersicht zu erfassen, erlaubt dem Verfasser nur eine grobe Skizzierung der machtpolitischen Konstellationen in den einleitenden Kapiteln zur Kiever und Moskauer Periode. Ausführlicher behandelt werden die kriegerischen Abläufe während des 18. und 19. Jahrhunderts. Mehr als die Hälfte des Textes ist den beiden Weltkriegen gewidmet (S. 405ff.). In diesen Passagen werden nicht nur die Vorgeschichte und die einzelnen Phasen des Kriegsgeschehens an allen Frontabschnitten geschildert, sondern auch Fragen der Heeresorganisation, des Rüstungsstandes, der Kriegsplanungen sowie der Kriegsopfer und der Rückwirkungen auf die Gesellschaft eingehend erörtert. Die Ausführungen sind allerdings ausschließlich für den finnischen Leser bestimmt. Selbst auf die sonst übliche Zusammenfassung in englischer Sprache wurde verzichtet. Hilfreich für die Orientierung sind die beigegebenen 111 Karten­skizzen vornehmlich zu den Grenzziehungen und den geschilderten Truppenbewegungen und das exzessiv ausgestaltete Register (S. 963–1037).

Einen zeitlich beschränkten und mehr quellen­bezogenen Zuschnitt hat die Studie von J. E. O. Screen. Der Verfasser, bis 1999 langjähriger Bibliotheksleiter an der School of Slavonic and East European Studies der University of London, zählt mit zahlreichen einschlägigen Publikationen (The entry of Finnish officers into Russian military service, 18091917. London 1976; „Våra landsmän“. Finnish officers in Russian service, 1809–1917. A selection of do­cuments. Åbo 1983; The Helsinki Yunker School, 1846–1879. A case study of officer training in the Russian Army. Helsinki 1986; The Finnish army, 1881–1901. Training the rifle battalions. Helsinki 1996; zusammen mit Veli-Matti Syrjö Keisarillinen Suomen kadet­ti­kou­lu 1812–1903. Haminan kadetit koulussa ja maa­ilmalla. Helsinki 2003; Suomen „Vanha sotaväki“ vanhoissa valokuvissa. Helsinki 2003) zu den besten Kennern der Militärgeschichte Finnlands während der Zugehörigkeit des Großfürstentums zum Zarenreich im 19. Jahr­hundert. Die neue Studie befasst sich mit dem finnischen Militärwesen während der letzten Jahrzehnte der Schwedenzeit. Hauptsächliche Quellengrundlage bilden die Regiments­berichte in den Militaria-Sammlungen des Nationalarchivs in Helsinki; außerdem werden die Reglements für die einzelnen Waffengattungen, sonstige amtliche Verlautbarungen sowie die vorliegenden Offiziersbiographien, Tagebücher und Memoiren ausgewertet. Das verfügbare reichhaltige Material erlaubt dem Verfasser eine sehr detaillierte Rekonstruktion der schwedischen Heeresorganisation an der Wende zum 19. Jahrhundert. In themenbezogenen Kapiteln werden die Organisations- und Kommando­struk­turen der spezifischen schwedischen Rotten­armee, die von den bäuerlichen Grundbesitzern unterhalten wurde, und der angeworbenen Spezialeinheiten (Artillerie und Garnisonen) behandelt, die unterschiedlichen Dienstgrade, der Ausbildungsstand und die Ausstattung der Trup­peneinheiten sowie Einzelaspekte des Alltags der Soldaten (Musterung, Disziplinarfragen, Einquartierungen, medizinische und kirchlich-religiöse Betreuung, Frauen und Kinder, Uni­formierung, Orden und Auszeichnungen, Pen­sionen und nicht zuletzt die Handhabung der Sprachenfrage). In den beiden letzten Kapiteln werden die gewonnenen Erkenntnisse vornehmlich an den logistischen Problemen, die die Mobilisierung der Streitkräfte in den aktuellen kriegerischen Ereignissen von 1772–73, 1788, 1796, 1801, 1803, 1807 und 1808 an der Grenzlinie zum russischen Nachbarn aufwarfen, konkretisiert. Sie zeigten vor allem die offenkundigen Defizite und die mangelnde Effizienz des bestehenden Rekrutierungssystems, das Finn­land einen überproportionalen Anteil der Kosten für die Lan­desverteidigung aufbürdete und in Krisenzeiten nur sehr schwerfällig für die Grenzverteidigung zu mobilisieren war.

Edgar Hösch, Würzburg

Zitierweise: Edgar Hösch über: Pertti Luntinen: Sota Venäjällä - Venäjä sodassa. Suomalaisen Kirjallisuuden Seura Helsinki (SKS) Helsinki 2008. = Suomalaisen Kirjallisuuden Seuran Toimituksia, 1159. ISBN: 978-951-746-978-4; J. E. O. Screen The Army in Finnland. During the Last Decades of the Swedish Rule (1770–1809). Tammer-Paino Oy Tampere; Suomalaisen Kirjallisuuden Seura (SKS) Helsinki 2007. = Studia Historica, 75. ISBN: 978-951-746-921-0, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 2, S. 289: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hoesch_Screen_Luntinen.html (Datum des Seitenbesuchs)