Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Edgar Hösch

 

Jukka Korpela The World of Ladoga. Society, Trade, Transformation and State Building in the Eastern Fennoscandian Boreal Forest Zone c. 1000–1555. Berlin [usw.]: Lit Verlag, 2008. 400 S., Abb., Ktn., Tab. = Nordische Ge­schich­te, 7. ISBN: 978-3-8258-1633-9.

In Finnland wächst unter den Vertretern der jüngeren Historikergeneration die Bereitschaft, überholte Vorgaben der traditionellen patriotischen Geschichtsschreibung kritisch zu hinterfragen (vgl. den Zwischenbericht von Osmo Jus­sila Suomen historian suuret myytit [Die großen Mythen der finnischen Geschichte]. Helsinki 2007. 334 S.). Von den Revisionsbemühungen betroffen ist auch die quellenarme vorgeschichtliche und frühmittelalterliche Entwicklungsphase in der Geschichte Finnlands und der Finnen, die in der Vergangenheit besonders phantasievoll verklärt und von den Historienmalern des 19. Jahrhunderts in einprägsamen Szenen ins Bild gesetzt worden ist. Die Konstruktion dieser lieb gewonnenen nationalromantischen Mythen und Legenden hat jüngst Derek Fewster in seiner Dissertation (Derek Fewster Visions of Past Glory. Nationalism and the Construction of Early Finnish History. Helsinki 2006. = Studia Fennica Historica, 11. 555 S.) umfassend aufgehellt.

Jukka Korpela, Professor für allgemeine Geschichte an der Universität Joensuu und durch mehrere penible Quellenforschungen ausgewiesener Altrussland-Kenner, leistet mit seiner neuen Studie zur „Ladoga-Welt“ eine vergleichbare Aufklärungsarbeit. Seine Schlussfolgerungen stellen fundamentale Lehrmeinungen der finnischen Mediävistik über die alten finnischen Stämme und ihr ‚nationales‛ Identitätsbewusstsein in vorschwedischer Zeit in Frage. Sie widersprechen zudem dem verbreiteten Klischee einer weit in die Vergangenheit zurückreichenden Kulturgrenze zwischen lateinischer Kirche und Orthodoxie an der nordöstlichen Peripherie Europas entlang der erstmals im Frieden von Nöteborg (1323) vereinbarten Abgrenzung des schwedischen und des Novgoroder Machtbereiches. Ausführlich diskutiert werden in den einzelnen Kapiteln die Tragfähigkeit und Schlüssigkeit einer Beweisführung, die angesichts einer nur spärlichen Quellenüberlieferung die Forschungsergebnisse aus unterschiedlichen Fach­disziplinen (Archäologie, Volkskunde, Meteorologie, DNA-Analyse, Onomastik, Toponymik, Paläobotanik) und einer regen Lokalforschung in finnischer, schwedischer und russischer Sprache zu einem Gesamtbild zusammenfügen muss. Der Erkenntnisgewinn dieser Kärrnerarbeit ist beeindruckend. Der Verfasser sieht in den ausgedehnten Waldgebieten im Hinterland des östlichen Finnischen Meerbusens eine periphere Geschichtslandschaft eigener Prägung. Ihre Bewohner waren im Mittelalter halbnomadische Jäger, Fischer und in losen Einzelgruppen siedelnde Schwendbauern, die sich den naturräumlichen und klimatischen Gegebenheiten angepasst hatten und lange Zeit nur marginal von den mittelalterlichen Transformationsprozessen des christlichen Europa erfasst wurden. Trotz wiederholter Missionierungsversuche der schwedischen und der russischen Kirche verharrten sie in einem vorchristlichen Spiritualismus schamanistischer Prägung und lebten fernab von den Handelsrouten der Ostsee ohne nennenswerte überregionale Kommunikation und Vernetzung. Erst die zunehmende Territorialisierung der Staatsmacht und der Kirche in Nordosteuropa, die mit der Ausweitung der obrigkeitlichen Steuererhebung und dem Ausbau des kirchlichen Gemeindewesens eng verbunden war, hat sie schrittweise in fester gefügte staatlich-administrative und kirchlich-religiöse Strukturen eingebunden. Dieser Prozess ist auf schwedischer und russischer Seite durch die staatliche und kirchliche Verwaltung dokumentiert. Er setzte erst mit erheblicher Verzögerung seit dem 13./14. Jahrhundert ein, führte im 15./16. Jahrhundert zu einer deutlicheren Markierung der Herrschaftsgrenzen im Gelände und ist teilweise erst im 18. und 19. Jahrhundert zum Abschluss gebracht worden. Die materialreiche Studie ergänzt in vielen Punkten aus finnländisch-schwedischer Sicht die Untersuchungsergebnisse, die Nikolaj A. Makarov bei der Auswertung des russischen Materials für Nordrussland gewonnen hat.

Edgar Hösch, Würzburg

Zitierweise: Edgar Hösch über: Jukka Korpela The World of Ladoga. Society, Trade, Transformation and State Building in the Eastern Fennoscandian Boreal Forest Zone c. 1000–1555. Berlin [usw.]: Lit Verlag, 2008. 400 S., Abb., Ktn., Tab. = Nordische Ge­schich­te, 7. ISBN: 978-3-8258-1633-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hoesch_Korpela_World_of_Ladoga.html (Datum des Seitenbesuchs)

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