Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 4, S.  596–597

Arié Malz, Stefan Rohdewald, Stefan Wie­der­kehr (Hrsg.) Sport zwischen Ost und West. Beiträge zur Sportgeschichte Osteuropas im 19. und 20. Jahrhundert. fibre Verlag Osnabrück 2007. 377 S. = Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts, 16. ISBN: 978-3-938400-15-9.

Die Geschichte des Sports ist in den letzten Jahren in den Fokus des allgemeinen Interesses gerückt. Immer deutlicher wird, dass ein soziales und kulturelles System wie der Sport, das eine so zentrale Rolle in modernen Gesellschaften spielt, nicht etwa bloß eine ‚schöne Nebensache‛, sondern ein höchst relevanter Bereich moderner Kultur-, Sozial- und Politikgeschichte ist. Folgerichtig hat nicht zuletzt Christiane Ei­sen­berg auf die Impulse, die von der Sportgeschichte auf eine allgemeine Geschichtsschreibung ausgehen, immer wieder hingewiesen. In diesem allgemeinen Aufschwung sporthistorischer Fragestellungen nimmt die Geschichte des östlichen Europas, wie leider viel zu häufig, bislang eher eine periphere Rolle ein. Zu den wenigen sportgeschichtlichen Arbeiten, die sich dezidiert mit dieser Region beschäftigen, zählt auch der vorliegende Sammelband. Er geht zurück auf eine Tagung, die im Oktober 2005 in Zürich stattfand. Die Organisatoren dieser Tagung, die zugleich Herausgeber des Bandes sind, zählen damit zu den Pionieren der osteuropäischen Sportgeschichtsschreibung, die erst in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen hat. Viele der Veröffentlichungen, die bis dato erschienen sind, betreten also Neuland und können weder auf eine gesicherte Forschungslage noch auf einheitliche Begrifflichkeiten zurückgreifen. Auch Fragen der Periodisierung und Regionalisierung der Sportgeschichte des östlichen Europas warten immer noch auf endgültige Klärung.

Umso verdienstvoller ist es, dass die Herausgeber dem Band eine Einführung beigegeben haben, die versucht, anhand von vier Themenblöcken Schneisen in die osteuropäische Sportgeschichte zu schlagen, um eine systematische Aufarbeitung einzuleiten: Das wären „Sport und Politik in internationalen Netzwerken“, „Nation, Ethnizität, Identität und Sport“, „Sport, Körper und Geschlecht“ sowie „Sport, Wirtschaft und Recht“. Die thematische Einteilung markiert einen gangbaren ersten Versuch, den Stoff zu gliedern und gemeinsame Fragen und Probleme zu identifizieren. Das Verdienst des Sammelbandes liegt unter anderem darin, dass der Leser die Nützlichkeit dieses Vorgehens sogleich überprüfen kann. Das Thema „Sport und Politik in internationalen Netzwerken“ wird durch sechs Aufsätze repräsentiert, die sich zum Teil längerfristiger Entwicklungen annehmen, wie Christian Kollers Beitrag über Fußball und internationale Beziehungen von 1918 bis 1950, der Großbritannien, Deutschland und die Sowjetunion vergleicht. Andere arbeiten sich an einem Ereignis ab, wie Barbara Keys in „The Soviet Union, Cultural Exchange and the 1956 Melbourne Olympic Games“. Der Beitrag von Uta Andrea Balbier, der nachzeichnet, wie die Entwicklung des bundesdeutschen Sportsystems von der DDR beeinflusst wurde, würde ebenfalls in diese Kategorie passen, firmiert aber unter der zweiten Themengruppe „Nation, Ethnizität, Identität und Sport“. Die anderen vier Beiträge zu diesem zweiten Themenblock wurzeln inhaltlich in der Sportgeschichte der multiethnischen Rand- und Nachbargebiete der alten osteuropäischen Imperien: in Südosteuropa, namentlich in Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien und in der südwestlichen Peripherie des Russischen Vielvölkerreiches, in Odessa. In diesen Regionen, die durch ihre ethnische und nationale Heterogenität geprägt werden, erweist sich das Potential der Sportgeschichtsschreibung für die Fragen, die jenseits der Paradigmen traditioneller Sozial- und Politikgeschichte liegen. Der dritte Themenblock „Sport, Körper und Geschlecht“ scheint am breitesten angelegt. Durch die Konzentration von Sport und sportlichem Diskurs auf den Körper, ist der Sport einer der Bereiche der modernen Gesellschaft, in dem Körpervorstellungen, aber auch die Vorstellungen von Differenz konstruiert und vermittelt werden. Eine Reihe von unterschiedlichen Abhandlungen lässt sich also unter der Überschrift „Körper“ zusammenfassen. So findet der Leser in dieser Abteilung zwei Arbeiten zu Geschlechtervorstellungen, von Filip Bláha und Ste­fan Wiederkehr, während der Beitrag von Eva Maurer sich mit der Idee der Gemeinschaft im sowjetischen Alpinismus auseinandersetzt. Hier, wie auch in den anderen drei Beiträgen des letzten Themenblocks von Malte Rolf, Ste­fan Rohdewald und Nikolaus Katzer spielt immer wieder der Topos vom „Neuen Menschen“ in der Sowjetunion eine Rolle. Zu einem vierten Themenblock „Sport, Wirtschaft und Recht“ gibt es leider keinen Beitrag, wie die Herausgeber selber beklagen. Dieses Fehlen spiegelt die Situation in der Sportgeschichtsschreibung treffend. Zwar betonen alle Sporthistoriker die Bedeutung von Kommerzialisierung und Professionalisierung sowohl für das kulturelle System Sport als auch für seinen Beitrag zur Globalisierung, Arbeiten zu diesen Fragen sind aber nach wie vor allzu selten.

Die Beiträge des Sammelbandes liefern ein facettenreiches Bild der osteuropäischen Sportgeschichte obwohl sie sich in den meisten Fällen mit Russland und der Sowjetunion und nur in Ausnahmefällen mit Polen oder mit Südosteuropa beschäftigen. Nordosteuropa bleibt leider weitgehend außen vor. Auch dieser weiße Fleck spiegelt die Tatsache wider, dass es kaum Arbeiten zur nordosteuropäischen Sportgeschichte zu geben scheint. Die behandelten Sportarten – von Schach über Ringen zum häufig vertretenen Fußball – sind ebenso vielfältig wie die Fragestellungen. So wird das Feld der osteuropäischen Sportgeschichte für den Leser des Sammelbandes statt griffiger und kleiner immer größer und komplexer – ein Eindruck, welcher der historischen Realität des Sports in Osteuropa durchaus entspricht.

Anke Hilbrenner, Bonn

Zitierweise: Anke Hilbrenner über: Arié Malz, Stefan Rohdewald, Stefan Wiederkehr (Hrsg.) Sport zwischen Ost und West. Beiträge zur Sportgeschichte Osteuropas im 19. und 20. Jahrhundert. fibre Verlag Osnabrück 2007. = Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts, 16. ISBN: 978-3-938400-15-9, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 4, S. 596–597: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hilbrenner_Malz_Sport.html (Datum des Seitenbesuchs)