Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Heidi Hein-Kircher

 

Apor Balázs, Jan C. Behrends, Polly Jones [u.a.] (Hrsg.) The Leader Cult in Communist Dictatorship. Stalin and the Eastern Bloc. Houndmills, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2004. IX, 298 S. ISBN: 1-4039-3443-6.

Klaus Heller, Jan Plamper (Hrsg.) Personality Cults in Stalinism – Personenkulte im Stalinismus. Göttingen: V&R unipress, 2004. 472 S. ISBN 3-89971-191-2.

Bernd J. Fischer (Hrsg.) Balkan Strongmen. Dictators and Authoritarian Rulers of Southeast Europe. London: C. Hurst & Company Publishers, 2007. IX, 494 S., Abb. ISBN: 978-1-85065-779-8.

Personen- bzw. Führerkulte um verschiedene Diktatoren („Führer“ bzw. die jeweilige landessprachliche Variante) prägten die politische Kultur im 20. Jahrhundert massiv. Sie gelten einerseits als Signum der sozialistischen Systeme, waren durchaus aber auch in den autoritären Systemen Ostmittel- und Südosteuropas des 20. Jahrhunderts zu finden, da sie sich im „Zeitalter der Extreme“ (Hobsbawm) für die Kommunikation mit den Massen und zu ihrer Mobilisierung besonders eigneten, denn durch sie konnte im Sinne Max Webers die „charismatische Herrschaft“ begründet und gestärkt werden. Personenkulte – insbesondere in ihrer spezifisch auf den jeweiligen „Führer“ zugeschnittenen Ausprägung – nahmen also legitimierende, aber auch identitätsbildende und integrierende, nicht zuletzt auch akklamative Funktionen wahr. Die neu errichtete Herrschaft zu legitimieren bzw. sie in der Folge zu sichern, war letztlich die wichtigste Aufgabe des Personenkults. Dies gilt nicht nur für die Sowjetunion selbst, sondern in viel stärkerem Maße auch für ihre Satellitenstaaten, wo es darum ging, mit dem Stalin-Kult, aber auch mit ‚Unter-Kulten‛ um den eigenen Parteiführer die Sowjetisierung und die Parteiherrschaft zu legitimieren. Ähnliche Aufgaben nahmen Personenkulte aber auch in den europäischen autoritären und totalitären Regimen der Zwischenkriegszeit ein. Gibt es für einzelne Führerkulte durchaus grundlegende Studien (Siehe z.B. Benno Ennker Die Anfänge des Lenin-Kultes in der Sowjetunion. Köln u.a. 1997; als früher Beitrag zum Stalin-Kult: Reinhard Löh­mann Der Stalinmythos. Studien zur Sozialgeschichte des Personenkultes in der Sowjetunion (1929–1935), Münster 1990; zu den wenigen Arbeiten über die nicht durch den Stalinismus geprägten ostmitteleuropäischen Personenkulte: Heidi Hein Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung für den polnischen Staat 1926–1939, Marburg 2002 und – zum Masaryk-Kult – Andrea Orzoff The Battle for the Castle. The Myth of Czechoslovakia in Europe 1914–1948, Oxford 2009), so sind andere bislang kaum erforscht worden. Ebenso fehlen eine vergleichende Zusammenschau der verschiedenen Kulte und weitere aus diesem Vergleich abgeleitete theoretische Überlegungen.

Dieses Desiderat greifen die Beiträge in den vorliegenden drei Sammelbänden auf sehr unterschiedliche methodische Weise auf, ohne es vollständig erfüllen zu können. Der von Apor Ba­lázs u.a. herausgegebene Tagungsband behandelt in insgesamt fünfzehn Beiträgen die Führerkulte Ostmittel- und Südosteuropas sowie in der Sowjetunion, auf der mit sechs Beiträgen der aufgrund ihrer Leitfunktion gerechtfertigte Schwerpunkt liegt.

Einen anderen Ansatz verfolgt der von Jan Plamper und Klaus Heller im Rahmen des Gießener SFB „Erinnerungskulturen“ entstandene Tagungsband. Es werden in den dreizehn Fallbeispielen immer wieder Vergleiche und Querbezüge hergestellt, wodurch der Stalin-Kult in den Kontext anderer Personenkulte (Hitler und Mussolini) und vor allem in den Zusammenhang der Symbolpolitik der Moderne gestellt wird, so dass einige Fallbeispiele den modernen Massenkommunikationsmitteln, insbesondere dem Film, gewidmet sind. Interessant ist aber auch der Ansatz von Klaus Heller, der die „russischen Anfänge“ beleuchtet – den Unternehmer als pater familias in der russischen Literatur vor 1917. Simonetta Falasca-Zamponi legt in einem Aufsatz die kinematographische Imagination am Beispiel des Mussolini-Kultes dar, und Henning Bühlmann verdeutlicht in einem umfangreichen Forschungsbericht über den Hitler-Kult, dass dieser sicherlich der am besten erforschte Personenkult ist. Neben den sieben Beiträgen zum Stalin-Kult selbst, sind vier den „Kult/urpersönlichkeiten im Stalinismus“ gewidmet, wodurch deutlich wird, dass der im Personenkult enthaltene politische Mythos von anderen Narrativen umgeben und gestärkt werden kann.

Einen vollkommen anderen Ansatz verfolgt der von Bernd J. Fischer herausgegebene Band „Balkan Strongmen“, der in vierzehn Beiträgen die Führerkulte der Zwischen-, Kriegs- und Nachkriegszeit behandelt. Die über die sozialistischen Regime hinausgehende Zusammenstellung ermöglicht sowohl einen syn- als auch einen diachronen Vergleich, da neben den Personenkulten um die sozialistischen „Führer“ auch die wenig bekannten Kulte um König Zogu von Albanien, König Aleksandar von Jugoslawien, König Karl II. von Rumänien, Zar Boris III. von Bulgarien sowie Kemal Atatürk, Ioannis Metaxas, Ante Pavelić und George Papadopoulos vorgestellt werden. Das Manko dieses Bandes liegt jedoch gerade darin, dass die Beiträge überwiegend deskriptiv gehalten sind und ihnen ein sie zusammenführender theoretischer oder gar vergleichender Rahmen fehlt, den dagegen die Herausgeber der anderen beiden Bände in sehr gelungener Weise geben.

In der Zusammenschau zeigen die Bände die verschiedenen Varianten, Vorbedingungen und Funktionen von Personenkulten auf, indem auch auf die unterschiedlichen Medien, mit denen die Kulte vermittelt wurde, eingegangen wird. Neben der erwähnten Rolle des Kinos für die Verbreitung des Mussolini-Kultes wird so beispielsweise von Nikolas Hül­busch dessen Bedeutung für den Stalin-Kult (in Heller/Plamper [Hrsg.]: Personality Cults) diskutiert, während Apor Balázs die Bedeutung von Biografien am Beispiel des Rákosi-Kultes (in: The Leader Cult) verdeutlicht.

Es wird in allen Beiträgen deutlich, dass die Personenkulte jeweils durch den nationalen Kontext geprägt waren, indem die mit ihnen verbundene mythische Narration über die jeweilige Person an spezifische Gegebenheiten angepasst wurde. Dadurch erscheinen sie als ‚genuin‛ – bei genauerer Betrachtung sind sie jedoch lediglich in Hinblick auf die spezifische mythische Narration, die als inhaltliche Komponente von Personenkulten zu verstehen ist, ‚genuin‛, d.h. die mythische Narration basiert auf ‚einheimischen‘ und der Gemeinschaft bekannten Inhalten. Die Beiträge über die nicht mit dem Stalinismus verbundenen Kulte suggerieren zumindest, dass sie unabhängig voneinander entstanden und vermittelt worden sind. Sicherlich kann man aufgrund der allgemeinmenschlichen Prädispositionen einerseits und des Entstehens der modernen Massenkommunikationsmittel und sonstiger technischer Möglichkeiten (z.B. Illuminationen) andererseits davon ausgehen, dass die Methoden zur Beeinflussung der Massen in verschiedenen Staaten ‚ausprobiert‛ wurden, denn die Vermittlungsformen von Personenkulten unterscheiden sich nicht wesentlich. Es scheint der Verfasserin daher wahrscheinlich, dass ein gewisser transnationaler Austausch durch Nachahmung – auch wenn sie im Einzelfall wohl schwer nachzuverfolgen ist – stattgefunden hat. Deutlich nachzuweisen ist dagegen die Abhängigkeit der Führerkulte an der Peripherie des sowjetischen Einflussbereiches. Hier wurden die Führerkulte durch das überragende Vorbild des Stalin-Kultes geprägt, wobei es immer noch Raum für spezifische, auf die Bedingungen des jeweiligen Staates zugeschnittene Führerkulte gab, die den Stalin-Kult als ‚Unter-Kulte‛ nachahmten und in einem hierarchischen Verhältnis zu diesem standen.

Die Beiträge aller drei Sammelbände geben insgesamt den mit der Erforschung der jeweiligen Personenkulte verbundenen Forschungsstand wieder, verweisen aber auch auf Forschungslücken zu einzelnen europäischen Personenkulten des 20. Jahrhunderts, insbesondere aber auch auf das Desiderat, über einen vergleichenden und transnationalen Ansatz weiterführende theoretische Aussagen zu erhalten. Daher sind die Bände insgesamt vor allem als Anregung zu weiteren Forschungen zu Personenkulten – eventuell auch zu einer weiteren Differenzierung von „Personen-“ und „Führerkult“ – zu verstehen.

Heidi Hein-Kircher, Marburg/Lahn

Zitierweise: Heidi Hein-Kircher über: Apor Balázs, Jan C. Behrends, Polly Jones [u.a.] (Hrsg.) The Leader Cult in Communist Dictatorship. Stalin and the Eastern Bloc. Palgrave Macmillan Houndmills, Basingstoke, Hampshire 2004. IX, ISBN: 1-4039-3443-6; Klaus Heller, Jan Plamper (Hrsg.) Personality Cults in Stalinism – Personenkulte im Stalinismus. V&R unipress Göttingen 2004. ISBN 3-89971-191-2; Bernd J. Fischer (Hrsg.) Balkan Strongmen. Dictators and Authoritarian Rulers of Southeast Europe. C. Hurst & Company Publishers London 2007. IX, ISBN: 978-1-85065-779-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hein-Kircher_SR_Fuehrerkulte.html (Datum des Seitenbesuchs)

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