Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 1, S. 137-139

Verfasst von: Mateusz J. Hartwich

 

Historisch-topographischer Atlas schlesischer Städte – Historyczno-topograficzny atlas miast śląskich. Band – Tom 2: Oppeln – Opole. Im Auftrag des Herder-Instituts herausgegeben von Peter Haslinger / Wolfgang Kreft / Grzegorz Strauchold / Rościsław Żerelik. Marburg/Lahn: Herder-Institut, 2011. 53 S., zahlr. Abb., Ktn. ISBN: 978-3-87969-362-7.

Der Band ist der zweite in einer auf 34 Publikationen angelegten Reihe zweisprachiger Atlanten. Es handelt sich dabei um ein Kooperationsprojekt zwischen dem Herder-Institut Marburg und dem Historischen Institut der Universität Wrocław (Breslau) unter Beteiligung der dortigen Universitätsbibliothek sowie der Staatsbibliothek BerlinPreußischer Kulturbesitz. Für die schlesischen Städte auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik (Opava/Troppau, Ostrava/Ostrau und Těšín/Teschen) ist von einer Einbeziehung tschechischer Partner auszugehen.

Das Ziel des Vorhabens beschreibt Wolfgang Kreft, einer der Herausgeber und Bearbeiter, alsumfassende gemeinsame deutsch-polnisch-tschechische Aufarbeitung der schlesischen Städtegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die bisher fehle. Sicher, die Geschichtsschreibung der jeweiligen Länder kann eine beachtliche Anzahl von Einzelpublikationen und thematischen Reihen vorweisen, und gerade im deutsch-polnischen Bereich hat es seit dem politischen Umbruch von 1989/90 nicht wenige gemeinsame Projekte dieser Art gegeben. Wo soll also das Unterscheidungskriterium zu bereits vorliegenden Bearbeitungen des Themas liegen? Außer dem schwer fassbaren Anspruch, eineumfassendeundgemeinsameAufarbeitung zu liefern, ist es wohl der Rückgriff auf deneinzigartigen Bestandvon Senkrechtluftbildern in der Kartensammlung des Herder-Instituts, der explizit als Inspirationsquelle für das Projekt genannt wird. Diese Bilder aus den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts sindvielfach die letzten Zeugnisse der noch unzerstörten historischen Stadtlandschaften entlang der Oder, wie Kreft in einer Fußnote erläutert. Sie dokumentieren auchdas kann man dazusagenden Zustand vor der tabula rasa der Kriegszerstörungen, die im Falle Schlesiens komplett auf die Monate Januar – Mai 1945 fielen und dafür um so heftiger waren, und vor dem Wiederaufbau unter völlig neuen Gesichtspunkten.

In den letzten zehn Jahren hat eine kulturwissenschaftlich sensibilisierte Historiographie den Prozess der Polonisierung der ehemals deutschen Städte im heutigen Westen Polens neu beschrieben. Dabei ist sehr klar herausgearbeitet worden, dass sich der Wiederaufbau zwischen den Polenselektive Anknüpfung an als slawisch oder polnisch deklarierte historische Kapitel“,Auseinandersetzung mit dem gebauten Erbe aus deutscher Zeit“,Fortführung der Vorkriegsdebatten zu neuem Bauen und der architektonischen Moderne, teilweise mit starken sowjetischen Einflüssen angereichert“, sowie letztlichPraxis des Bauens im Organismus (sozialistische) Stadt“ bewegte. Je größer die Entfernung vom historischen Bruch von 1945, desto sorgloser war der Umgang damaliger Stadtplaner und politischer Entscheider mit dem überlieferten Erbe aus deutscher Zeit, inklusive früherer Bebauungspläne und Kartenwerke. Die Folge war etwa die zerstörerische Wirkung der Oderflut von 1997, als mit Hochhaussiedlungen bebaute ehemalige Polderplötzlich‘ unter Wasser standen. Vor diesem Hintergrund ist auch zu sehen, dass die historisch-topographischen Atlanten eine Brücke zwischen den Epochen der Stadtentwicklung schlagen möchten, um die strukturellen Begebenheiten und die lange Dauer der Geschichte zu veranschaulichen.

Was lernt nun Oppeln aus der Geschichte? Neben politischen Faktoren wie der wechselnden staatlichen Zugehörigkeit, die gewissen Einfluss auf die Stadtentwicklung hatten, waren es eben topographische Gegebenheiten wie die Lage an der Oder, mit zwei Flussinseln und einem hochwassergefährdetem linken Ufer, die Einbindung in überregionale Handelswege und der Abbau von Kalkstein. So ist die Entwicklung der Stadt eine recht typische für diesen Teil Europas, mit einer herzoglichen Residenz, die im 13. Jahrhundert um eine planmäßige (Handels-)Stadtanlage erweitert wurde, was einen Zustrom deutschsprachiger Siedler mit sich brachte. Es folgte der Ausbau zur frühneuzeitlichen Festung, die Anfang des 19. Jahrhunderts geschleift wurde, was der Stadt neue Entwicklungsmöglichkeiten bot. Mit dem Ausbau des Kasernenstandortes und der Verwaltungsfunktionen, der Errichtung einer Eisenbahnlinie und einiger Industriebetriebe war die strukturelle Entwicklung Oppelns bis in die Zwischenkriegszeit vorgegeben. Es folgten weitere Wohnsiedlungen, neue Verkehrswege sowie Anlagen mit urbanen Funktionen wie Stadtplätze, Parks und öffentliche Gebäude. Einer vergleichsweise starken Zerstörung am Ende des Zweiten Weltkriegs folgte ein Wiederaufbau, der zunächst als Zeitrelativer Stagnationbezeichnet wird, dann aber die Stärkung administrativer und wirtschaftlicher Funktionen der Stadt mit sich brachte. Diese Entwicklung scheint sich nach 1990, trotz weitgehender Deindustrialisierung und voranschreitender Deglomeration, fortzusetzen.

Es muss nicht gesondert hervorgehoben werden, dass der eigentliche Reiz der Publikation das Kartenwerk ist. Es veranschaulicht einprägsam die urbane Entwicklung seit dem Mittelalter. Die Stadtansichten reichen vom späten 17. Jahrhundert bis heute, und ergänzt wird das Ganze durch zahlreiche Tabellenzur Einwohnerentwicklung, der Religionszugehörigkeit oder zu den Handwerkerzünften im frühen 19. Jahrhundert. Abgeschlossen wird das Werk von einer kartographischen Darstellung der räumlichen Entwicklung Oppelns im 19.–21. Jahrhundert, die von Mitarbeitern des Herder-Instituts eigens für die Publikation erarbeitet wurde.

Der vorgestellte Band hinterlässt den Rezensenten wunschlos glücklich. Sowohl die Aufmachung als auch die sehr sorgfältige Textredaktion (in beiden Sprachen) machen aus dem Atlas einen perfekten Wegweiser durch die Stadtgeschichte Oppelns. Sicherlich könnte man in der Darstellung auf einzelne Geschichtskapitel oder Themen genauer eingehenetwa die räumliche Konzentration einzelner Gruppen (Juden, Oderschiffer) in der Stadt und ihr Einfluss auf die Stadtentwicklung oder die Stadt-Land-Beziehung –, und interessiertes Publikum ohne Vorkenntnisse würde sich möglicherweise mehr Alt-Neu-Ansichten wünschen, doch das sind Wünsche, die durch Publikationen anderer Art erfüllt werden (müssen). Ob diese Gesamtdarstellung der zeitlich-räumlichen Entwicklung der Stadt einen kognitiven Effekt bei politischen und administrativen Entscheidern hervorrufen wird, sei dahingestellt, aber ihrer Pflicht der Aufarbeitung haben die Autoren mehr als Genüge getan.

Mateusz J. Hartwich, Berlin

Zitierweise: Mateusz J. Hartwich über: Historisch-topographischer Atlas schlesischer Städte – Historyczno-topograficzny atlas miast śląskich. Band – Tom 2: Oppeln – Opole. Im Auftrag des Herder-Instituts herausgegeben von Peter Haslinger / Wolfgang Kreft / Grzegorz Strauchold / Rościsław Żerelik. Marburg/Lahn: Herder-Institut, 2011. 53 S., zahlr. Abb., Ktn. ISBN: 978-3-87969-362-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hartwich_Historisch-topographischer_Atlas_schlesischer_Staedte_2_Oppeln.html (Datum des Seitenbesuchs)

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