Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), H. 2, S. 316-320

Verfasst von: Lutz Häfner

 

The Cambridge History of the First World War. Ed. by Jay Winter. Cambridge: Cambridge University Press, 2014.

Vol. 1: Global War. XVIII, 754 S., 65 Abb., 30 Ktn. ISBN: 978-0-521-76385-1.

Vol. 2: The State. XVII, 786 S., 67 Abb., 3 Ktn. ISBN: 978-0-521-76653-1.

Vol. 3: Civil Society. XVII, 763 S., 49 Abb., 1 Tab. ISBN: 978-0-521-76684-5.

Die vorliegende Geschichte des Ersten Weltkrieges ist ein monumentales Werk. Es versucht, dieser „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan) in drei Bänden mit insgesamt 74 Beiträgen auf 2.300 Seiten in möglichst vielen Facetten gerecht zu werden. Hauptverantwortlicher Herausgeber dieses Opus magnum ist Jay Winter, Professor an der Yale University, ein durch ein gutes Dutzend Publikationen ausgewiesener Spezialist der Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich der Politik-, Ideen- und Kulturgeschichte Großbritanniens einschließlich des Ersten Weltkriegs, der Erinnerungsorte des Ersten Weltkriegs sowie auch utopischer Ideen von Frieden und Freiheit im 20. Jahrhundert. Ihm zur Seite stand ein Dutzend weiterer Spezialisten, die im Rahmen des 1992 eröffneten Historischen Museums des Ersten Weltkriegs in Péronne an der Somme in einem Forschungszentrum wirken.

Die drei Bände stehen jeweils unter einem thematischen Oberbegriff: Globaler Krieg, Staat und Zivilgesellschaft. Jeder Band ist wiederum in mehrere Abschnitte untergliedert. Der erste Band weist vier Abschnitte auf, deren erster eine nach Jahren chronologisch arrangierte ereignisgeschichtliche Narration von 1914 bis 1919 inklusive präsentiert. Der zweite Abschnitt ist den Kriegsschauplätzen gewidmet. Er behandelt die einzelnen Fronten ebenso wie den Luft- und Seekrieg oder die strategische Kriegsführung. Der dritte ist den globalen Aspekten gewidmet und erörtert den imperialen Kontext ebenso wie die einzelnen Kontinente und deren Verquickung in das Kriegsgeschehen. Der letzte Teil des ersten Bandes gilt den rechtlichen Rahmenbedingungen und rechtswidrigen Übertretungen des Blutvergießens. Hier werden Land- und Seekriegsordnungen, Kriegsverbrechen, der Armeniergenozid oder auch der Krieg im Bild behandelt.

Der dem Staat gewidmete zweite Band besteht aus vier Teilen, deren erster die politische Herrschaft und ihre Institutionen, aber mit der Revolution auch ihre Negation bzw. die politischen Gegenentwürfe thematisiert. Der zweite ist den Streitkräften, ihrer Moral, Ausrüstung und Logistik, ihren Waffen, Kampftaktiken und Meutereien, aber auch den Kriegsgefangenen gewidmet. Der dritte Bereich gilt dem Hinterland und den Grundlagen der Kriegführung: von den Finanzen über die Wissenschaft, die Landwirtschaft, die Arbeiter und die Städte bis hin zur Kriegswirtschaft, zu Maßnahmen der Wirt­schaftskriegführung sowie der Blockade. Der abschließende thematische Block beschäftigt sich mit der Überwindung des Kriegszustands durch einen Frieden. Hier finden sich Beiträge über Diplomatie, Neutralität, die verschiedenen Spielarten des Pazifismus, die Friedenskonferenzen sowie das „Kontinuum der Gewalt“, also das Fortdauern bewaffneter Auseinandersetzungen an den „Bürgerkriegsfronten“ in den einstigen imperialen Gesellschaften bzw. den neugeschaffenen Staatsgebilden gerade im ostmittel- und südosteuropäischen Raum.

Der dritte Band weist sechs Abschnitte auf. Der erste erörtert Aspekte des privaten Lebens, von Familie und Kindern, der zweite Geschlechterrollen, der dritte Flüchtlinge, Exilanten, Minderheiten, Kriegsgefangene und Besatzungsregime, der vierte die Auswirkungen des Krieges auf den Körper: von der Militärmedizin über Nervenerkrankungen und die Grippe bis hin zu Trauerpraktiken. Der fünfte Teil behandelt im weiten Sinne kulturelle Aspekte wie Ideologisierungen und Mobilisierungen, Glaube und Religion, Kino, die Schönen Künste, Denkmäler und literarische Verarbeitungen des Krieges. Der letzte Abschnitt bleibt den Überlebenden wie den Toten und den Formen der Erinnerung und des Gedenkens vorbehalten.

Die Verfasser stammen überwiegend aus den anglophonen Staaten England, Irland, Australien, Südafrika und den USA. Neben einem guten Dutzend französischer Autoren haben aber auch Historiker aus Belgien, Deutschland, Italien, der Schweiz, den Niederlanden und China mitgewirkt. Osteuropäische Verfasser fehlen. Insofern könnte die Herkunft respektive institutionelle Anbindung der Beiträger nachgerade als pars pro toto des konzeptionellen Zugriffs dieser dreibändigen Geschichte des Ersten Weltkriegs betrachtet werden: Die Artikel fokussieren im Wesentlichen den Krieg im Westen, die Ereignisse und sozialen, politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Implikationen für Frankreich, England, Deutschland und mit Abstrichen – Österreich-Ungarn und die USA. In dem 20 Seiten umfassenden Artikel Robin Priors über das Kriegsjahr 1916 entfallen etwa 95 % des Textes auf die Westfront. Ausgewogenheit und globalhistorischer Anspruch sehen anders aus.

Italien findet selten Erwähnung. Bezeichnend ist, dass Osteuropa, die Ostfront und somit vor allem das Russländische Imperium als bedeutendes Element der Triple-Entente in einer Vielzahl der Beiträge gänzlich unberücksichtigt bleibt. Allerdings hat das Sprichwort: „Keine Regel ohne Ausnahme“, auch hier seine Gültigkeit. Zu den rühmlichen Ausnahmen zählen u.a. die Artikel von Dittmar Dahlmann über die Parlamente und von Christoph Mick über das Jahr 1918. Beide sind als Osteuropahistoriker der Region verpflichtet. Darüber hinaus überzeugen auch Beiträge wie der ebenso informative wie nuancierte Artikel Benedikt Ziemanns über die Landwirtschaft während des Ersten Weltkriegs oder auch Robert Gerwarths Ausführungen über das Kontinuum der Gewalt über den Waffenstillstand im November 1918 hinaus.

Insgesamt gilt es zu konstatieren, dass der Verzicht auf eine angemessene Thematisierung der östlichen Hemisphäre einerseits, aber auch der auf Russisch und in anderen Slawinen vorliegenden Forschungsergebnisse nicht nur als ein blinder Fleck zu betrachten ist. Diese Leerstelle ist ein erhebliches konzeptionelles Manko, wobei der Westeurozentrismus an frühere Zeiten gemahnt, in denen sich komparative Studien gerne auf Deutschland, England und Frankreich kaprizierten.

Zweifelsohne ist die Idee einer „histoire totale“ schon vom Anspruch her illusorisch, aber die intellektuelle Redlichkeit erfordert Strategien, entsprechende Ko-Autoren auszuwählen. In seiner Einleitung zum ersten Band der Trilogie schreibt der Herausgeber: „A global war needs history to bring out in high relief its conduct, its character and its manifold repercussions.“ (Bd. 1, S. 11) Misst man den Band an diesem Bekenntnis, dann hat der Herausgeber seinen Anspruch nicht eingelöst. Bereits der erste Beitrag über die Wurzeln des Ersten Weltkriegs straft ihn Lügen, weil der vorzügliche Kenner der Geschichte des Deutschen Reichs seit 1871, Volker R. Berghahn, im Wesentlichen das deutsch-britische Verhältnis und den Flottenbau thematisiert. Frankreich, vor allem aber das zarische Imperium klammert er weitestgehend aus. Letzteres findet lediglich viermal Erwähnung: im Kontext des englisch-russischen Ausgleichs von 1907, dann als Objekt im sogenannten Kriegsrat vom 8. Dezember 1912 und im Memorandum Moltkes vom 24. Februar 1914, als er sich zutiefst beunruhigt über den Stand der russischen Aufrüstung zeigte und zum Krieg drängte, weil die deutschen Erfolgschancen in einem Waffengang in den nächsten zwei bis drei Jahren deutlich reduziert würden, und schließlich im Zusammenhang mit der Instrumentalisierung des „rückständig-barbarischen“ Zarenreichs durch die Reichsregierung, um der SPD die Argumentation eines Verteidigungskrieges zu ermöglichen. Eine globale Perspektive lässt dieser Beitrag jedenfalls vermissen (Bd. 1, S. 16–38).

Writing history is always a dialogue“, formulierte Jay Winter zu Beginn seiner allgemeinen Einleitung der dreibändigen Edition (Bd. 1, S. 1). Leider ist dieses Credo eine weitgehend leere Versprechung geblieben; denn die einzelnen Beiträge stehen nebeneinander. Weder haben die einzelnen Autoren in ihren Artikeln aufeinander Bezug genommen, noch hat der Herausgeber durch Anmerkungen, Verweise oder Kommentare dies zu leisten versucht. Dieses Versäumnis führt dazu, dass sich in einzelnen Beiträgen widersprechende Positionen finden. Divergierende Angaben finden sich beispielsweise für den „Erfolg“ der britischen Seeblockade, die die Mittelmächte von ihren Versorgungs- bzw. Nachschubrouten abschnitt: Unter Berufung auf Monographien von Richard Bessel und Gary Sheffield beziffert Christoph Mick die Zahl unterernährter Todesopfer auf eine Dreiviertelmillion, fügt aber hinzu, dass Niall Ferguson diese Quantifizierung in Zweifel ziehe, ohne jedoch abweichende Angaben anzuführen (Bd. 1, S. 155). Alan Kramer greift in seinem umfangreich recherchierten und detailliert belegten Beitrag über die Blockade und Wirtschaftskriegsführung (Bd. 2, S. 460–489) diese Diskussionen auf und verweist auf die historisch-demographische Untersuchung Jay Winters, der von etwa 478.500 Todesopfern im Deutschen Reich infolge unzureichender Ernährung ausgeht (Bd. 2, S. 461).

Vor dem Hintergrund, dass sich diese Edition eher nicht an den Spezialisten, sondern doch mehr an den interessierten Laien oder jemanden wendet, der sich über ein Thema schnell und konzis informieren möchte, bleibt dieser Tatbestand umso unbefriedigender. Mehr noch: Forschung lebt von unterschiedlichen Sichtweisen, vom Dissens, vom Austausch der Argumente. Warum haben Herausgeber und Verlag ihren Autoren nicht die Möglichkeit gegeben, ihre divergierenden Positionen gezielt zu kommentieren? Eine Interaktion durch kritisch-kontroverse Kommentare hätte durch ihre Vitalität den Reiz und Wert der Trilogie ungemein gesteigert.

Dass es bei 74 Beiträgen eine qualitative Bandbreite gibt, kann nicht überraschen. Auffällig ist, dass es keine gemeinsamen verbindlichen Strukturprinzipien gibt. Manche Beiträge weisen überhaupt keine Zwischenüberschriften oder Unterteilungen auf, anderen fehlt eine Zusammenfassung bzw. ein Schluss (z.B. im Bd. 2 die Artikel von Smith, Mutiny, und Brown, Logistics). Einige Artikel sind materialgesättigt, bieten nicht nur einen guten Überblick über die Literatur, sondern warten auch mit einem breiten archivalischen Fundus auf, argumentieren plausibel und im Urteil nuanciert. Hierzu zählen u. a. die Artikel von John Horne über Gräueltaten und Kriegsverbrechen (Bd. 1, S. 561–584), von Hans-Lukas Kieser und Donald Bloxham über Genozide (Bd. 1, S. 585–614) oder auch derjenige von Antoine Prost, der anschaulich und vergleichend die Arbeiterschaft in den führenden Industrienationen thematisiert (Bd. 2, S. 325–357). Andere Beiträge weisen eher essayistische Züge auf und verzichten weitgehend oder wie beispielsweise Robin Priors Aufsätze über das Kriegsjahr 1916 bzw. die Westfront (Bd. 1, S. 89–109, 204–233) – vollständig auf Anmerkungen. Priors Beitrag über die Osmanische Front gemeint ist die anglofranzösische Landeoperation auf der Halbinsel Gallipoli an den Dardanellen 1915 weist zwar zwei Anmerkungen auf, macht aber kaum Angaben über die Armee des Osmanischen Reich, schildert den Kriegsschauplatz in einer bemerkenswerten Perspektivverengung aus der britischen Sicht unter der Maßgabe, dass Männer Geschichte machen, und präsentiert darüber hinaus erstaunliche Redundanzen (wonderfully named General Friedrich Kress von Kressenstein“, [Bd. 1, S. 301]). Dieser irritierende Artikel wirft die Frage auf: Cui bono?

Der Text über den Seekrieg stammt von dem Doyen der anglophonen Seekriegsforschung Paul Kennedy, Yale University, der die Ereignisse der Jahre 1914–1918 wiederholt mit denen von 1939–1945 vergleicht, ohne den tieferen Sinn dem Leser zu entschlüsseln. Einleitend ist er sich nicht zu schade, Reklame für sein 2013 publiziertes Werk zum Zweiten Weltkrieg zu machen. Auch er ‚schmückt‘ seine in Teilen gelungene Narration mit irrelevanten Anekdoten (Bd. 1, S. 335) und schafft es dabei, Marineoperationen in der Ostsee und im Schwarzen Meer völlig auszuklammern. Mit anderen Worten: Russland wird keinerlei Aufmerksamkeit gewidmet, obwohl dessen Marine im Zusammenhang mit der deutschen Landeoperation auf den Moonsund-Inseln im Herbst 1917 in ein schweres Gefecht verwickelt war. Über den Nexus zwischen der alliierten Seeblockade und dem Hunger der Bevölkerung der Mittelmächte weiß der Verfasser Bemerkenswertes beizusteuern: „Ludendorff had completely destroyed the Ukrainian grain-basket […]“ (Bd. 1, S. 344). Nicht nur im Sinne von Bert Brechts Gedicht Fragen eines lesenden Arbeiters wirkt ein solches Bekenntnis, das durch Literaturangaben nicht gestützt wird, überraschend. Sein Urteil jedenfalls lautet apodiktisch: „The Germans had starved themselves, most stupidly.“ (Bd. 1, S. 344) Offenbar durften Autoren ihren Ideosynkrasien frönen, ohne dass ihnen das Herausgebergremium Grenzen aufzeigte.

Der Beitrag Holger Afflerbachs über die Ostfront verzichtet völlig auf die russischsprachige Forschung, ohne darüber ein einziges Wort zu verlieren (Bd. 1, S. 234–265). Dem stehen eine Reihe gelungener Beiträge gegenüber wie z. B. der von Stéphane Audoin-Rouzeau über die militärische Pattsituation von 1915. Auch wenn er der Westfront relativ viel Gewicht beimisst, verliert er die Globalität der Kriegshandlungen nicht aus den Augen: Der Balkan, die Ostfront, Bosporus und Dardanellen, die Suez-Front finden Beachtung. Darüber hinaus thematisiert der Beitrag die wachsende Gewalt, der gerade die Zivilbevölkerung im Ersten Weltkrieg ausgesetzt war. Von der Torpedierung des britischen Passagierschiffes Lusitania 1915 durch ein deutsches U-Boot, über die Besatzungsregime der Mittelmächte in Belgien, Frankreich, Serbien und den Westgebieten des Zarenreichs bis hin zu den Deportationen größerer Bevölkerungsteile durch die zarische Armee aus den eroberten Gebieten Galiziens und der Gewalt gegenüber der eigenen Zivilbevölkerung. Hier sei nicht nur auf den Armeniergenozid im Osmanischen Reich verwiesen, sondern auch auf den Pogrom gegen die deutsche Bevölkerung Moskaus im Mai 1915 oder die Zwangsumsiedlungen im Rahmen des Rückzugs der zarischen Streitkräfte aus den westlichen Gebieten des Imperiums vom Frühjahr bis zum Herbst 1915. Insbesondere die jüdischen Untertanen des Zaren, die der Kollaboration mit dem Feind bezichtigt wurden, litten unter Übergriffen der Streitkräfte des Ancien régime (Bd. 1, S. 74–77).

Zu bedauern sind einfache Fehler, die ein akribischer Herausgeber hätte vermeiden können. So wird Trockijs „Theatercoup“, mit dem er die Friedensverhandlungen in Brest-Litovsk sowjetischerseits für beendet erklärte, auf den 9. und nicht auf den 10. Februar 1918 datiert (Bd. 1, S. 137). Laut Kennedy lief die deutsche Hochseeflotte am 21. November 1919 Richtung Großbritannien aus. Das war schlechterdings möglich, hatte sie sich doch bereits fünf Monate zuvor in Scapa Flow selbst versenkt (vgl. Bd. 1, S. 345). Auch waren es nicht zwei deutsche Schlachtkreuzer, sondern lediglich einer sowie ein kleiner Kreuzer, deren Übernahme in die Dienste der Marine des Osmanischen Reichs Mitte August 1914 wesentlich zum Kriegseintritt der Pforte auf Seiten der Mittelmächte beitrug (Bd. 2, S. 499). Schließlich wurde die Konstituierende Versammlung im revolutionären Russland nicht erst im Dezember 1918, sondern bereits im Januar des Jahres aufgelöst (Bd. 2, S. 519).

Konzeptionell fallen thematische Doppelungen auf wie beispielsweise der Gender-Abschnitt des dritten Bandes mit den Beiträgen At the front und Gender roles in killing zones. Qualitativ unterscheiden sich die beiden allerdings wie Tag und Nacht, auch wenn diese Tatsache kaum hinreichend die thematische Doppelung erklärt. Den ersten verfasste die emeritierte Literaturwissenschaftlerin der University of Connecticut, Margaret R. Higonnet. Sie thematisiert Geschlechterrollen und unterschiedliche Funktionen von Frauen an und hinter der Front unter umfänglicher Berücksichtigung der Kriegsschauplätze in Italien, Serbien, Rumänien oder Russland. Dabei hebt sie auch auf die hier vorkommenden Beispiele von Frauen als Bestandteile der kämpfenden Truppe ab (Bd. 3, S. 121–152, bes. S. 144–152). Die Ausführungen Joanna Bourkes, Birkbeck College, London, lesen sich wie eine Antithese. Sie berücksichtigt das Lenin zugeschriebene Diktum: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ nicht und macht sich methodisch-handwerklich angreifbar. So zitiert Bourke nach einem Aufsatz von Robert Nelson aus der Lillerkriegszeitung. In Einführungsveranstaltungen wird Studienanfängern vermittelt, dass sie sich – soweit möglich – des Originals bedienen sollten, um etwaige Fehlerquellen auszuschließen. Bourke beherzigt diese Empfehlung nicht. Zum einen muss es Liller Kriegszeitung heißen, zum zweiten nennt sie ein falsches Erscheinungsdatum (26. statt 28.7.); sie verzichtet drittens auf die Seitenangabe, machte sich viertens nicht die Mühe, das Periodikum, das als Internetressource u.a. über die Universitätsbibliothek Heidelberg verfügbar ist (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/feldztglilkr1916bis1917/0693?sid=577b19cf1be4eba0e3cc5517a5c9f1bd), aufzurufen und führt schließlich fünftens einen vermeintlichen Sachverhalt an, der in dem Zeitungsartikel überhaupt keine Erwähnung findet. Wäre Bourke wie Higonnet Literaturwissenschaftlerin, könnte man ihren Lapsus unter der Rubrik „fact and fiction“ abtun. Als Historikerin sollte sie sich der vorhandenen Quellen bedienen, diese nicht erfinden bzw. bei der Auslegung der eigenen Phantasie freien Lauf lassen (Bd. 3, S. 157).

Viele werden Cambridge University Press als renommierten und prestigeträchtigen Verlag ansehen. Dass er jedoch ein Lektorat entweder nicht für nötig erachtet hat oder sich dazu außerstande sah, hat ein deplorables Erscheinungsbild des Deutschen sowohl im Text als auch in den Anmerkungen zur Folge. Groß- und Kleinschreibung erfolgen wahllos (z.B. Bd. 2, S. 269; Bd. 3, S. 153 et passim), Toponyme und Fachtermini werden entstellt (Bd. 1, S. 266; „Oberleute“ statt revolutionäre „Obleute“, Bd. 2, S. 354), Zeitschriftentitel nicht einheitlich zitiert, teils fehlt die Bandangabe (Bd. 1, S. 36), teils werden deutsche Titel ins Englische übersetzt (Bd. 2, S. 39) oder fehlerhaft geschrieben. Selbst Erscheinungsort und Verlag passen oft nicht zusammen (Bd. 1, S. 157). Fehler sind Legion. Dies gilt keineswegs nur für deutschsprachige Titel. Als Verlagsort eines russischsprachigen Titels aus dem Jahre 1915 erscheint St. Petersburg und nicht Petrograd (Bd. 3, S. 138). Mit dieser erstaunlichen Nachlässigkeit stellt sich Cambridge University Press ein Armutszeugnis aus. Angesichts des Preises von 270 ₤ für die gebundene Ausgabe hätte der Verlag mehr Sorgfalt walten lassen müssen.

Welches Fazit lässt sich ziehen? Die Trilogie ist bestenfalls als janusgesichtig zu bezeichnen. Zu den positiven Aspekten zählt die Ausstattung mit zahlreichen Karten sowie – vielfach sogar farbigen – Abbildungen und einem umfangreichen Register. Auch die bibliographischen Essays zu jedem Beitrag am Ende eines jeden Bandes sind zu begrüßen, da sie konzis räsonnierend einen ersten Überblick über den Forschungsstand gewähren. Zu den Schattenseiten zählt neben den bereits erörterten Aspekten auch der Umstand, dass nicht wenige Artikel eine vergleichende Perspektive vermissen lassen. Angaben über den Munitionsverbrauch der Streitkräfte Englands, Frankreichs und Russlands finden sich in mindestens drei Artikeln des 2. Bandes, ohne dass ein Querverweis gemacht wird. Selbst das detaillierte Register bietet keine Hilfe. Ian Browns Artikel über Logistik (Bd. 2, S. 225, 228) präsentiert beispielsweise detaillierte Angaben über die Lebensmittelversorgungsnormen des britischen Expeditionskorps in Frankreich 1914–1918, nennt aber keine Zahlen für die übrigen Streitkräfte. Hier wäre ein Expertenaustausch oder möglicherweise a priori ein Autorenkollektiv für einzelne Artikel dringend geboten gewesen. So bleibt vieles Partialerkenntnis und bloßes Stückwerk. Guter Wille allein ist nicht hinreichend, und die Ausgabe bleibt manches von dem schuldig, was Jay Winter einleitend vollmundig formuliert hat.

Lutz Häfner, Bielefeld/Göttingen

Zitierweise: Lutz Häfner über: The Cambridge History of the First World War. Ed. by Jay Winter. Cambridge: Cambridge University Press, 2014. Vol. 1: Global War. XVIII, 754 S., 65 Abb., 30 Ktn. ISBN: 978-0-521-76385-1. Vol. 2: The State. XVII, 786 S., 67 Abb., 3 Ktn. ISBN: 978-0-521-76653-1. Vol. 3: Civil Society. XVII, 763 S., 49 Abb., 1 Tab. ISBN: 978-0-521-76684-5. , http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Haefner_SR_Cambridge_History_WWI.html (Datum des Seitenbesuchs)

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