Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), H. 2, S. 337-338

Verfasst von: Jörg Hackmann

 

Katarzyna Stokłosa: Polen und die deutsche Ostpolitik 1945–1990. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011. 606 S., 29 Abb. ISBN: 978-3-525-30000-8.

Zur Ostpolitik wie zur Polenpolitik der Bundesrepublik bis 1989 liegen neben zeitgenössischen Publikationen bereits zahlreiche Studien vor, keine jedoch ist so umfangreich wie das Buch von Katarzyna Stokłosa. Die Autorin begründet ihr Werk damit, dass sie mit einer „multinationale(n) Perspektive“ die Wahrnehmung der westdeutschen Ostpolitik in der internationalen Politik analysieren wolle. Diese Wahrnehmungen dokumentiert sie mit umfangreichen Auszügen aus zahlreichen Archiven in Deutschland, Polen sowie in London, Moskau und Washington.

Die Studie beabsichtigt zu untersuchen, wie es trotz der deutschen Besatzungspolitik und der Westverschiebung Polens „dennoch zur Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen kam“ (S. 11). Beide Stränge, die Narration der Vorgänge in den beiden deutschen Staaten und Polen sowie die Darlegung vor allem diplomatischer Wahrnehmungen, prägen das Buch, das sich überwiegend chronologisch in sieben Abschnitte gliedert, die von der ersten Dekade nach Kriegsende bis in die achtziger Jahre reichen. Etwa die Hälfte des Textes nehmen dabei die Ostpolitik der Regierungen Brandt und Schmidt sowie die KSZE-Konferenz in Helsinki ein.

Trotz dieser Schwerpunktsetzung argumentiert die Autorin, dass die Bezeichnung als „neue Ostpolitik“ nicht angemessen sei, denn sie sei bereits durch die CDU-Regierungen seit Adenauer vorgeprägt worden und könne nicht allein der SPD zugeschrieben werden. Diese These spiegelt sich jedoch nicht in der Gliederung der Studie: Wenn es denn eine Kontinuität in der bundesdeutschen Ostpolitik seit den fünfziger Jahren gab, dann müsste sie deutlicher herausgearbeitet werden. Dieser These widerspricht die Autorin freilich selbst, wenn sie das Kapitel von 1957 bis 1969 mit Vorgeschichte der Ostpolitik überschreibt.

Noch ein weiteres Problem der Darstellung ist hier zu benennen: Titel und Aufbau des Buches rücken Polen in das Zentrum bundesdeutscher Ostpolitik. Diese Perspektive war aber, wie die Autorin mehrfach zu Recht feststellt, nicht die Perspektive Willy Brandts und Egon Bahrs, denen es bekanntlich in erster Linie um die Deutschlandpolitik ging. Mit Blick auf die DDR ist der Begriff Ostpolitik zweifellos unpassend, hier geht es allein um die Beziehungen zu Polen und nicht etwa zur Sowjetunion. Die unterschiedlichen Vorstellungen von Ost- bzw. Polenpolitik hätten sich als Ausgangspunkt für eine kritische Analyse des Sachverhalts eigentlich aufgedrängt. Stattdessen verharrt die Studie über weite Strecken in sehr allgemeinen und mitunter phrasenhaften Darstellungen der Nachkriegsentwicklung vor allem in Polen. Dabei wird der Bezug zum Thema nicht immer deutlich; das gilt etwa für die Behandlung der Welle des Antisemitismus 1968. Dort, wo die Autorin sich dann ihrem Thema nähert, trägt sie stellenweise Thesen vor, die gewagt, da nicht nachvollziehbar begründet, erscheinen. So bezeichnet sie etwa den Görlitzer Vertrag als Abkommen, vermutlich, da sie ihm eine völkerrechtliche Qualität abspricht. Die Aussage, es habe sich dabei um Symbolpolitik gehandelt und die faktische Entscheidung sei bereits 1945 gefallen, ist gewiss nicht von der Hand zu weisen, aber mit ihr ließe sich auch der Warschauer Vertrag von 1970 charakterisieren. Ohne die völkerrechtlichen Implikationen ist die Ostpolitik in ihrer Gesamtheit freilich nicht zu verstehen. Nicht klar wird auch, woraus sich die Einschätzung speist, dass erst seit dem Ende der Ära Adenauer die Gebiete jenseits von Oder und Neiße definitiv für Deutschland verloren gewesen seien (S. 103). Interessant ist dagegen die Position Carlo Schmids, der schon 1956 – mit weitreichender Voraussicht, möchte man hinzufügen – formulierte, dass eine Wiedervereinigung Deutschlands nur bei einer Einigung über die Gebiete östlich von Oder und Neiße denkbar sei (S. 118). Sinnvoll ist auch die Frage nach der Rolle Gomułkas in der Vorbereitung des Warschauer Vertrages, aber die Autorin belässt es bei dem Hinweis auf seine Rede im Mai 1969. Zwar lässt sich in der Thematisierung der EKD-Denkschrift und des Briefwechsels der katholischen Bischöfe die Rolle der Gesellschaften in der Anbahnung der deutsch-polnischen Aussöhnung erkennen, für die siebziger und achtziger Jahre kommt diese Perspektive dann aber zu kurz; Jan Józef Lipski wird etwa nur in einer Fußnote (S. 445) erwähnt.

Insgesamt bleibt die Darstellung weitgehend der Sprache der Quellen verhaftet, sie wird dadurch mitunter widersprüchlich und lässt insbesondere eine kritische Analyse und einen roten Faden in der Argumentation vermissen. Stattdessen wird der Leser mit so gegensätzlichen Urteilen konfrontiert wie z.B. der Einschätzung, dass die Ostpolitik Brandts keinerlei Effekte gehabt, zugleich aber der Bundesrepublik eine neue Rolle als Brückenbauer in Europa eröffnet habe. Besonders kritisch ist die Autorin gegenüber der Moskau eingeräumten Priorität in der Ostpolitik (S. 241) und der Haltung der Sozialdemokratie zur Gewerkschaft Solidarność (S. 484). Dafür gibt es in der Retrospektive gewiss Gründe. Die Autorin verzichtet jedoch hier darauf, das ja bereits vielfach diskutierte Konzept des „Wandels durch Annäherung“ und dessen Grenzen gründlicher zu analysieren und etwa mit der Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure zu kontrastieren. Insgesamt drängt sich in vielen Einzelheiten der Eindruck auf, dass das Manuskript ohne eine gründliche abschließende Überarbeitung veröffentlicht wurde. So ist – um nur ein Beispiel zu nennen – mit dem „Ostdeutschen Kongress“ (S. 246), auf dem Honecker und Brežnev 1971 auftraten, ganz offensichtlich der 8. Parteitag der SED gemeint.

Es sei jedoch auch betont, dass das Buch zahlreiche interessante Details, etwa aus regierungsinternen Berichten der Vier Mächte, zum Verhältnis zwischen der DDR und Polen sowie zu öffentlichen Einstellungen in beiden deutschen Staaten und Polen enthält. Für eine neue Sicht auf die „neue Ostpolitik“ bleibt die Autorin jedoch zu oberflächlich, und so sind die Einsichten letztlich begrenzt. Weniger wäre hier mehr gewesen.

Jörg Hackmann, Szczecin

Zitierweise: Jörg Hackmann über: Katarzyna Stokłosa: Polen und die deutsche Ostpolitik 1945–1990. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011. 606 S., 29 Abb. ISBN: 978-3-525-30000-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hackmann_Stoklosa_Polen_und_die_deutsche_Ostpolitik.html (Datum des Seitenbesuchs)

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