Timothy Snyder Sketches from a Secret War: A Polish Artist’s Mission to Liberate Soviet Ukraine. Yale University Press New Haven, London 2007. XXIII, 347 S., 27 Abb., 6 Ktn. ISBN: 0-300-10670-X.

Die vorliegende Biographie über den polnischen Politiker und Künstler Henryk Józewski ist von bestechender Aktualität, weil sie über das ideologisch-imperiale Paradigma im „kalten Krieg“ zwischen Moskau und Warschau aufklärt. Dramaturgisch im Aufbau und mit Sympathie für seinen kosmopolitischen Helden, vermeidet der Yale-Historiker es dennoch, die Rolle Polens vor und während des Zweiten Weltkriegs zu mystifizieren. Das eigentliche Thema dieser konzis formulierten Studie ist der Versuch ukrainophiler Lobbyisten (der ‚Prometheisten‘) um den polnischen Staatsgründer Piłsudski, den Vertrag von Riga von 1921 zu revidieren und die Sowjetunion durch die Unabhängigwerdung der infolge der Oktoberrevolution an­nektierten Gebiete zu zerschlagen. Protagonist Józewski, geboren 1892 in Kiew, im Ersten Weltkrieg Mitglied der Polnischen Armee-Organisation (POW) und im Polnisch-Sowjetischen Krieg stellvertretender Innenminister in der Exilregierung der Ukrainischen Volksrepublik unter Symon Pet­ljura, wurde erstmals 1928– 1929, dann erneut 1930 von Piłsudski zum Woiwoden der Provinz Wolhynien berufen.

Im ersten Teil des Buches hinterfragt Snyder Ziele und Intentionen des nationalitätenpolitischen ‚Experiments in Wolhynien‘, wo die ‚Pro­metheisten‘ ihre finanziellen, politischen und militärischen Ressourcen konzentrierten. Józewski versuchte durch eine Politik des sozialen Ausgleichs in der föderalistischen Tradition der 1. Polnischen Republik die ukrainische Mehrheitsbevölkerung mit der polnischen Titularnation zu versöhnen. Getragen von einem radikalen Antibolschewismus sollte diese „Mission“, wie es im Agentenjargon des Titels heißt, einen dritten Weg zwischen dem in Wolhynien dominierenden Kommunismus und dem lokalen ukrainischen Nationalismus bahnen. Snyder arbeitet heraus, dass selbst konfessionelle Zugeständnisse und eine vage Perspektive einer ‚Befreiung der Ukraine‘ von Moskau den sozialen Nährboden für radikale Forderungen unter der Administration Józewskis in den Jahren 1928–1938 nicht austrocknen konnten.

Jedoch sei der Versuch, die Ukrainische Sowjetrepublik (USSR) von der Union abzuspalten, niemals Bestandteil der offiziellen Politik Warschaus gewesen. Snyder zieht einen Spannungsbogen zwischen ‚Holodomor‘, ‚Großem Terror‘, der nationalsozialistischen Besatzung und der ‚antipolnischen Aktion‘ der Ukrainischen Nationalisten 1943/44 und dokumentiert eine bisher wenig beachtete Geheimdienstoperation im polnisch-sowjetischen Grenzland. Dabei dient ihm die Biographie Józewskis bevorzugt als chronologisches Korsett, aus dem der Verfasser weiterreichende Schlüsse ziehen kann als Jan Kęsik, Włodzimierz Mędrzecki und Cor­ne­lia Schenke vor ihm. Anhand von Akten des polnischen Generalstabes belegt Snyder, wie Warschau die Ukrainizacija bis zum Beginn der dreißiger Jahre nutzen konnte, um Ukrainer für die polnische Abwehr anzuwerben, ehe die Fehleinschätzung der Re-Sowjetisierung der Ukraine durch Stalin seit 1933 das Fiasko der polnischen Außenpolitik jenseits des Zbrucz begründete. So argumentiert Snyder, dass Kollektivierung und Kulakenverfolgung den in Moskau begrüßten Nebeneffekt hatten, gleichzeitig die „ukrainische Konterrevolution“ entscheidend zu schwächen. Polen habe zu dieser Zeit vor der Entscheidung zu einer Intervention in der Sowjetukraine gestanden. So suggeriert der Autor weiterhin, dass nur ein militärisches Engagement Warschaus die dortige Bevölkerung vor den Folgen stalinistischer Gewaltherrschaft hätte bewahren können. Erst im Februar 2009 übergab der Inlandsgeheimdienst der Ukraine dem Instytut Pamięci Narodowej Kopien der Akten zu Repressionen gegen Polen durch den NKWD der USSR. Anhand der vorliegenden Literatur zeichnet der Verfasser umfangreiche Deportationen von Polen nach Kasachstan in den Jahren 1935 und 1936 und die Logik von Massenexekutionen und Schauprozessen bis 1938 nach.

Es kann nicht überraschen, dass der Protagonist im Zweiten Weltkrieg von Gestapo und NKWD verfolgt wurde. Auch insofern wirkt die These, der zufolge der Gründer der Ukrainischen Aufstandsarmee, Taras Borovec, durch den Kampf seiner Einheiten gegen die Sowjetpartisanen in Wolhynien das Werk Józewskis gewissermaßen habe fortsetzen wollen, konstruiert.

Insgesamt gelingt Snyder eine fesselnde, auch für den Laien lesbare Synthese aus einer intellectual history über das Umfeld des 1953 inhaftierten und im polnischen Oktober 1956 wieder entlassenen Józewski auf der einen und einer Politgeschichte über das Scheitern polnischer Ostpolitik zwischen den Kriegen auf der anderen Seite. Der Autor schließt seine unter dem Eindruck der ‚Orangen Revolution‘ in Kiew 2004 vollendete Studie mit einer optimistischen Perspektive für die Erben einer unbeugsamen, „prometheistischen“ Russlandpolitik in Warschau. Damit impliziert er aber auch, dass ein Paradigmenwechsel in der polnischen Außenpolitik noch nicht vollzogen wurde.

Frank Grelka, Frankfurt/Oder

Zitierweise: Frank Grelka über: Timothy Snyder: Sketches from a Secret War: A Polish Artist’s Mission to Liberate Soviet Ukraine. Yale University Press New Haven, London 2007. ISBN: 0-300-10670-X, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 1, S. 127-129: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Grelka_Snyder_Sketches.html (Datum des Seitenbesuchs)