Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 1, S. 170-173

Verfasst von: Hannes Grandits

 

Patrick Hyder Patterson: Bought and Sold. Living and Losing the Good Life in Socialist Yugoslavia. Ithaca, NY, London: Cornell University Press, 2011. XVII, 351 S., 45 Abb. ISBN: 978-0-8014-5004-4.

Im Laufe der sechziger und noch hineinreichend in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts kam (nicht nur) in Jugoslawien unter dezidiert links positionierten und sich marxistisch orientierenden Intellektuellen ein neues Dilemma in die ideologischen Debatten. Der erstaunliche wirtschaftliche Aufschwung seit den fünfziger Jahren betraf in vielen westeuropäischen Gesellschaften explizit auch breite Teile der Arbeiterschaft, die sich zunehmend in so etwas wie eine (Massen-)„Konsumgesellschaft“ integriert sahen. Dies hatte vielfältige Folgen – auch ideologische. Aus marxistischer Sicht standen ja die Armut und Ausbeutung der Arbeiterklasse am Ausgangspunkt jeder revolutionären Entwicklung. Wenn nun aber die Arbeiterklasse selbst (und das noch dazu im kapitalistischen System) wachsende Prosperität und „Konsumismus“ genoss, sie manchen linken Kritikern sogar „aristokratisiert“ erschien, welche Folgerung sollte man daraus für die global angestrebte Ausweitung und Etablierung des sozialistischen Gesellschaftsentwurfs ziehen?

Mit dieser Frage setzten sich damals auch im sozialistischen Jugoslawien linke Intellektuelle (viele von ihnen waren der sogenannten Praxis-Gruppe zugehörig) auseinander. Sie taten dies allerdings nicht nur mit Blick auf die Entwicklung im „Westen“. Sie taten es auch mit Blick auf das eigene Land. Denn die „Massen“ in Jugoslawien schienen nicht wenigen dieser kritischen Analysten „gefangen im Fieber von Konsum und Geldverdienen“, wie dies sogar auch einer der führenden zeitgenössischen Historiker der siebziger Jahre in Jugoslawien, Dušan Bilandžić, in seiner „Geschichte der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ auf den Punkt bringen wollte. War Jugoslawien, das mit seinem – eigentlich ausgesprochen ideologisierten – Selbstverwaltungssozialismus einen eigenen Weg zur sozialistischen Gesellschaftsordnung zu realisieren trachtete, gleichzeitig auch auf dem Weg, eine Konsumgesellschaft zu werden? War das gut oder schlecht?

Für viele der intellektuell-marxistischen Kritiker in Jugoslawien war es nicht einfach, das Für und Wider von Wohlstandsverbreiterung und sich erweiternder Konsumkultur angemessen einzuordnen. Zumeist überwog letztlich bei den meisten die Skepsis. Gegen den Konsumismusschub, der den jugoslawischen Alltag damals immer mehr zu prägen schien, brachte man verschiedene Einwände vor. Die Kritik war ideologisch begründet. Der Selbstverwaltungssozialismus würde immer stärker von einer Logik des Marktes durchdrungen, der die sozialen Gegensätze nicht abbauen, sondern immer mehr verstärken würde. Und so wäre es im Grunde der Selbstverwaltungssozialismus selbst, so die Kritiker, der nicht mehr Gleichheit, sondern mehr Ungleichheit in Jugoslawien schaffen würde. Zudem sei aus der Sicht der Kritiker das Streben nach immer mehr Konsum sogar ins Zentrum der politischen Rationalitäten gerückt. Nutzen daraus ziehe vor allem das führende Parteiestablishment. Das titoistische Regime würde die Gesellschaft auf diese Weise „ruhig stellen“, anstatt eine politische Partizipation unter den Vorzeichen eines sozialistischen Bewusstseins aktiv zu befördern. Denkt man diese Gedankengänge weiter, so war dies eine Fundamentalkritik am „Titoismus“. Diesem warfen die linken Kritiker schlicht vor, die Entwicklung einer Konsumgesellschaft systematisch zu organisieren bzw. zu befördern, um damit bequem auch die eigene unumschränkte und unhinterfragte politische Dominanz zu legitimieren und zu festigen, was Hand in Hand mit einem „ideologischen Verrat“ an den eigentlichen Werten und Zielen des Sozialismus gehe.

In dieser Form wurde die Kritik am Selbstverwaltungssozialismus von den führenden Zirkeln um Tito damals in den sechziger und siebziger Jahren auch verstanden. Dies vor Augen, erstaunt auch nicht die Repression, mit der die Partei letztlich gegen diese Form der intellektuellen Kritik am Selbstverwaltungssozialismus reagierte. Aber war diese Kritik wirklich zutreffend? Im jugoslawischen Selbstverwaltungssystem sollten in der Theorie ja vor allem die Werktätigen selbst die wichtigsten Entscheidungen in ihrem Betrieb und Umfeld treffen. War es tatsächlich so, dass der Bund der Kommunisten Jugoslawiens die Entwicklung einer Konsumgesellschaft in Jugoslawien zum Zwecke eigener Machtsicherung in gewisser Weise ‚top down‘ zu etablieren suchte und ihm das in erstaunlicher Weise dann so auch gelang? War die jugoslawische Konsumgesellschaft also ein verwirklichter Plan des herrschenden titoistischen Systems (wie das in Rückblicken auf den jugoslawischen Sozialismus recht unhinterfragt nicht selten einfach postuliert wird)?

Eine Antwort auf diese und auch viele andere Fragen gibt in erfrischend geschriebener, theoretisch fundierter sowie empirisch sehr reich abgestützter Form Patrick Hyder Patterson in dem hier besprochenen Buch. Patterson zeichnet die Dynamiken nach, wie so etwas wie Konsumkultur zu einem herausragenden Charakteristikum des jugoslawischen Wegs zum Sozialismus wurde und welche sozialen, kulturellen und politischen Konsequenzen damit verbunden waren. Klar widerspricht er dabei u. a. der oben reflektierten These eines ‚Masterplans‘ des Regimes, der hinter dieser Entwicklung stand. In allen möglichen Formen kam im Gegenteil unentwegt Kritik aus unterschiedlichsten Segmenten des Einparteiensystems und seiner Organe an einer stetig wachsenden Konsumorientierung in der jugoslawischen Gesellschaft. Dass diese gut sei, das behauptete in der Partei in öffentlichen Reden eigentlich kaum jemand. Konsumkritik blieb bis zum Ende ein fixer Bestandteil der politischen Rhetorik der Partei. Gleichzeitig war man in der politischen Führung aber dennoch auch stolz darauf, dass der jugoslawische Selbstverwaltungssozialismus es den Massen eben doch ermöglicht habe (insbesondere auch im vergleichenden Blick auf andere sozialistische Länder, aber nicht nur auf diese), ein so hohes Niveau von Wohlstand zu genießen.

Aber was waren die treibenden Kräfte dafür, dass sich in Jugoslawien letztlich der Sozialismus so eng mit Konsumkultur verband, sodass letztere sogar (ganz besonders auch für die eigene Bevölkerung im Land und nicht nur für die Betrachter von außen) ein zentrales Merkmal des „jugoslawischen Wegs“ wurde? Patterson verweist dabei zum einen auf die wirtschaftliche Entwicklung, die durch immens hohe Wachstumsraten gekennzeichnet war. Doch in nachvollziehbarer Weise legt er in der Folge dann dar, wie stark darüber hinaus die Entwicklung einer spezifischen Branche dazu beitrug, den Weg in Richtung Konsumkultur zu bereiten: Gemeint ist die Marketingindustrie. Ohne diese, so eine zentrale These im vorliegenden Buch, wäre die so prägnante Entwicklung von Konsumkultur im sozialistischen Jugoslawien so nicht möglich gewesen. In keinem anderen sozialistischen Land hatte Marketing nur ansatzweise so einen Stellenwert wie im sozialistischen Jugoslawien. Marketing entwickelte sich im (insbesondere auch zum Westen) ‚offenen‘ Jugoslawien zu einer Schlüsselindustrie innerhalb des Wirtschaftssystems. Ab den fünfziger Jahren und dann immer stärker in den nachfolgenden Jahrzehnten waren es sehr stark „am Westen“ orientierte Formen des Marketings (in eigenen Marketing- oder Medienbetrieben organisiert oder als Teil von sozialistischen Konzernen), die nicht nur die Produkte unterschiedlicher sozialistischer jugoslawischer Firmen bewarben, sondern dabei implizit der Gesellschaft auch das aktuellste „Bild der Moderne“ – deren Ästhetik, Werte, Begehrlichkeiten etc. – zu vermitteln trachteten. Und das tat diese Industrie, sehr stark inspiriert an den Trends, die man damals primär mit der Orientierung auf den „Westen“ beobachtete. Immer wieder unter dem Druck und eingehegt von ideologischer Kritik prosperierte Marketing dennoch und wurde ein zentraler Bestandteil des „Yugoslav Way of Life“. Das vorliegende Buch gibt tiefe Einblicke in genau diese Entwicklung. Es beschreibt sehr detailliert die bescheidenen Anfänge der Marketingindustrie noch aus den Trümmern nach dem 2. Weltkrieg heraus und die dann im Vergleich zu anderen sozialistischen Ländern beispiellose Expansion hin zu einer Branche, die den öffentlichen Raum und den jugoslawischen Sozialismus entscheidend mitprägte. Patterson beschreibt des weiteren auch die Spezifik der jugoslawischen Variante von Konsumkultur, die im Großen und Ganzen auf „die breite Masse“ bzw. auf eine breite Mittelschicht ausgerichtet war. Nicht Elitismus beschreibt er als ihr entscheidendes Kennzeichen, sondern eine Markt- und Konsumkultur, an der möglichst viele Teile der Bevölkerung teilhaben sollten. Und das schien trotz vieler Widersprüche bis in die späten siebziger Jahre auch gar nicht so schlecht zu funktionieren. Obwohl es das ‚moderne‘ Leben im urbanen Raum war, auf das alle in der Werbung vermittelten Bilder, Rollen und Werte ausgerichtet waren, blieb die jugoslawische Konsumkultur nicht auf das städtische Leben beschränkt, sondern erfasste auch den Alltag der Menschen auf dem Lande – bis hinein in die vielen sogenannten „peripheren“ Landesteile.

Diese „goldene Zeit“, als über professionelles Marketing (meist bescheiden bleibende) Konsumbedürfnisse breiten Teilen der Gesellschaft vermittelt wurden und gleichzeitig real auch erreichbar waren, ging in den achtziger Jahren zu Ende. Das Marketing hatte sich, wie Patterson zeigt, immer auf eine jugoslawische Konsumgesellschaft orientiert. So war die Waren- und Konsumwelt (wie etwa auch jugonostalgische Publikationen über die Ikonen des sozialistischen jugoslawischen Konsums sehr schön veranschaulichen) über Republikgrenzen hinweg nicht wirklich unterschiedlich und schuf so auch über die Konsumsymbole des Alltags ein stetes „jugoslawisches Erlebnis“. Mit der Krise des politischen Systems und der sozialistischen Wirtschaft ergaben sich im Laufe der achtziger zwangsläufig neue Realitäten und enttäuschte Erwartungen. Mangel statt Konsum wurde nun für große Teile der Staatsbevölkerung zunehmend die zu bewältigende Alltagsrealität. Welche Dynamiken sozialer Desintegration dies auslöste – auch hierauf nimmt die vorliegende Arbeit Bezug.

„Bought and Sold“ von Patrick Hyder Patterson ist eine Forschungsarbeit, die schon vor der Publikation noch als Dissertationsschrift (und in Form von Auszügen in publizierten Artikeln) große Neugierde hervorgerufen hat. Nun als Buch vorliegend, kann man sagen: zu Recht. Ausgehend von einer detaillierten Analyse der professionellen Produzenten von (Konsum-)Wünschen, d. h. der Marketingbranche, vermittelt es einen Eindruck davon, wie sich ein „Yugoslav Dream“ im Laufe der sozialistischen Jahrzehnte in der Innendynamik des ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Alltags entfalten, entwickeln und verändern konnte. Zwar sind die Reflexionen mitunter sehr ‚dicht‘ und nicht frei von wiederholten Bezugnahmen auf schon diskutierte Sachverhalte. Aber eben dadurch gibt der Autor wirklich tiefergehende Einsichten und eröffnet so neue Perspektiven. Die Kurzformen der Kapitelüberschriften machen recht gut deutlich, wohin die Überlegungen gehen. Sie beziehen sich auf die Entwicklung der jugoslawischen Konsumkultur (das „It“ in den genannten Überschriften) in der sozialistischen Ära und lauten: „Getting It“, „Living It“, „Making It“, „Selling It“, „Fearing It“, „Taming It“, „Fighting It“, „Loving It“, „Needing It“. Patrick Hyder Patterson verbindet in vielschichtiger Form die Wirkung globaler/westlicher‘/jugoslawischer Marketing- und Konsumkultur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Analysen unterschiedlicher innerer Dynamiken in der jugoslawischen Gesellschaft und Politik dieser Zeit. Ihm ist ohne Zweifel ein ausgesprochen lesenswertes Buch über das sozialistische Jugoslawien gelungen! Über die Grenzen der Disziplinen von Geschichte, Ethnologie, Kulturwissenschaft, Soziologie oder Politologie wünscht man diesem Buch eine breite Leserschaft. Nicht zuletzt hilft es auch mit zu verstehen, in welchen Bezügen man sich so etwas wie das „sozialistische Erbe“ in seiner jugoslawischen Variante vielleicht vorstellen kann.

Hannes Grandits, Berlin

Zitierweise: Hannes Grandits über: Patrick Hyder Patterson: Bought and Sold. Living and Losing the Good Life in Socialist Yugoslavia. Ithaca, NY, London: Cornell University Press, 2011. XVII, 351 S., 45 Abb. ISBN: 978-0-8014-5004-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Grandits_Patterson_Bought_and_Sold.html (Datum des Seitenbesuchs)

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