Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 66 (2018), 1, S. 173-175

Verfasst von: Frank Golczewski

 

Jan Zofka: Postsowjetischer Separatismus. Die pro-russländischen Bewegungen im moldauischen Dnjestr-Tal und auf der Krim 1989–1995. Göttingen: Wallstein, 2015. 437 S. = Moderne europäische Geschichte, 10. ISBN: 978-3-8353-1634-8.

Die Leipziger Dissertation verfolgt zwei Ziele: Zum einen vergleicht sie die Akteure oder Organisatoren der beiden separatistischen Unternehmungen, die im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion mit der geplanten Eingliederung ihrer jeweiligen Territorien in die neuen, unabhängig gewordenen Staaten unzufrieden waren, zum anderen setzt sie sich das Ziel, den von dem Politologen Carsten Wieland apodiktisch (zu Bosnien) formulierten Satz „‚Ethnische Konflikte gibt es nicht“ (Carsten Wieland: Nationalstaat wider Willen. Frankfurt/Main 2000, S. 366; Carsten Wieland relativiert seinen Satz jedoch dadurch, dass er Ethnizitätselemente als „Andockstellen für eine beschleunigte politische Mobilisierung“ (ebd.) erkennt) zu verifizieren. Jan Zofka wendet sich hier in Anlehnung an Rogers Brubakers Abneigung gegen den groupism dagegen, bereits existierende Gruppen als Handelnde anzunehmen. Er dekonstruiert die beobachteten politischen Prozesse und bemüht sich, aus der Beobachtung ihrer Aktivitäten eine Interpretation abzuleiten. Dass er dabei modischerweise alle „Kausalmodelle“ hinter sich lassen will („Wie statt Warum“, S. 17), hält er zum Glück nicht durch.

Zofka macht in den beiden behandelten Territorien der Krim und der PMR (Dnestrische Moldauische Republik, oft etwas inkorrekt als „Transnistrien“ bezeichnet) unterschiedliche Trägergruppen des jeweiligen Separatismus aus. In der PMR waren es die sowjetischen industriellen Großbetriebe, geführt von meist nicht aus der Region stammenden Direktoren mit „All-Unions-Lebensläufen“, die die pro-rumänischen Sprachenerlasse zum Anlass nahmen, eine von „oben“ gesteuerte Streikpolitik zur Erhaltung der sowjetischen Strukturen einzuleiten. Sie beschränkten sich nicht auf gewaltfreie Aktionen, sondern bildeten Milizen, deren Mitglieder auch aus anderen Teilen der noch bestehenden Sowjetunion angereist kamen, um ein System zu verteidigen, das sie durch die neue Politik gefährdet sahen. Es waren damit homines sovietici, die sich gegen eine in ihren Augen ‚reaktionäre‘ und schädliche Politik wandten.

Eine zu Recht klare Absage erteilt der Verfasser der These, die „Transnistrier“ seien ‚ethnische‘ Russen gewesen, die sich gegen die „Moldauer“ gestellt hätten – er kann recht gut belegen, dass die unter „Internationalismus“ firmierende Bevorzugung der russischen Sprache sich tatsächlich auf das als Mittel der Kommunikation zwischen den Nationalitäten bewährte „überrepublikanische“ Russisch bezog, welches in den zusammengewürfelten Arbeitskollektiven des Dnestr-Tales vorherrschte. Entsprechend hält Zofka die Betriebe für die eigentlichen Organisatoren des PMR-Separatismus, mit dem sie sich auch erfolgreich gegen die oberen Ränge der Parteihierarchie stellten, die in den Arbeitskollektiven einen Machtkonkurrenten erblickten.

Der PMR-Separatismus lief damit „nicht entlang (abstrakter) nationaler Linien, sondern über Betriebe und andere Sozialisationszusammenhänge“ (S. 278). Dazu gehörten die lokalen Parteikomitees, die kommunalen Organe und eben die Betriebe als Lebensmittelpunkte der Einwohner. Der Konflikt verschärfte sich im Gefolge des Moskauer August-Putsches 1991 und wurde anschließend – nicht zuletzt durch die Aktivitäten eines „Frauenstreikkomitees“ – radikaler und schließlich (im Kurzkrieg um Bendery) auch gewalttätiger.

Im Gegensatz zur PMR macht Zofka nicht die sowjetischen Machtstrukturen, sondern ein „Milieu von Aktivisten, die sich in der informellen Bewegung der Perestrojka politisiert hatten“ (S. 397), als Verfechter eines pro-russländischen Krim-Separatismus aus. Personale Netzwerke aus Universitäten, Kleinbetrieben und Afghanistan-Veteranen bildeten den Kern, Repräsentanten der sowjetischen Nomenklatura waren kaum vertreten. Es ging auch hier nicht um „Ethnizität“, sondern um eine mögliche Verbesserung des Lebensstandards durch einen Zuwachs an Souveränität. Dass einzelne Repräsentanten aus der Bewegung persönlichen wirtschaftlichen Profit ziehen wollten und auf eine politische Karriere hofften (was für die PMR-Aktivisten keine Rolle zu spielen schien), passte dazu. Der Verfasser kann sogar belegen, dass selbst in stärker russifizierten Gegenden (als Beispiel wird das nördliche Krasnoperekopsk angeführt) das Interesse an einer Aufrechterhaltung der Verbindung in die nahe Ukraine stärker ausgebildet war, wenn man sich davon bessere Resultate erhoffte. Die fehlende Unterstützung aus der Gesamtunion, die es zur Zeit der „Blüte“ des Krim-Separatismus nicht mehr gab, und das Ausbleiben der erwarteten Erfolge ließen diesen ersten Versuch der Abspaltung bald in Bedeutungslosigkeit versickern.

Beeindruckend, aber ungleichgewichtig ist das Quellenkorpus, auf welches sich Jan Zofka stützt. So konnten zur Krim (auch inoffizielle) Archivalien auf der Halbinsel und in Moskau eingesehen werden, während dies zur PMR nicht möglich war. Ausgeglichen wird dies partiell durch die Nutzung von Publikationen (lokalen Zeitungen und Flugblättern) und 35 Interviews (aus beiden Gebieten), sowie durch die Einbeziehung der inzwischen umfangreichen Literatur.

Die soziale Aufschlüsselung der PMR-Befürworter – der verwendete Begriff der „Kollektivbiographie des Dnjestr-Separatismus“ (S. 229) erscheint ein wenig zu anspruchsvoll – erfolgt zunächst über die ermittelten Persönlichkeiten, dann aber über ein „Gedenkbuch für die Verteidiger von Pridnestrov’e“ (ab S. 260), was insofern problematisch ist, als darin nur die Gefallenen aufgeführt sind und Zofka der class-bias im Krieg bewusst ist – es sterben eher nicht die Angehörigen der jeweiligen Eliten.

Wenn man die sowjetisch kreierte Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur in der PMR („Soviet Legacies“, S. 59) ebenso als Ausgangsbilanz verwendet wie die „Krim als Geschichtsregion“ (S. 85), dann kann man zwar allgemein von „Mobilisierungsressourcen“ sprechen, wie dies die soziologische Bewegungsforschung gern tut, der sich der Verfasser verpflichtet fühlt. Zofka kann tatsächlich belegen, dass sich in den beiden untersuchten Fällen keine präexistenten nationalen Gruppen zum Widerstand formierten, sondern dass diese Gruppen erst im Zuge ihrer Mobilisierung zueinander fanden, aber er kann dann eine ad hoc konstruierte glaubhafte „Ethnizität“ – jenseits eines kulturalistischen ethnic turn – nicht völlig in Abrede stellen. In der PMR rationalisierte man so die neu entstandene Gemeinschaft. Da auch „Ethnizität“ stets ein Konstrukt ist, geht es also eigentlich nur um den Zeitpunkt der Konstruktion der neuen Entität. Im Übrigen wäre die Aussagekraft seiner beiden überzeugenden Beispiele für andere Konflikte zu hinterfragen. Zwar ist auch etwa die tschetschenische ethnische Kon­struktion etwas höchst Problematisches, aber sie besitzt für ihre Verfechter eine Überzeugungskraft, die zwar wissenschaftlicher Überprüfung kaum standhält, sie aber deshalb nicht etwa in ihrer ‚Wirksamkeit‘ einschränkt.

Ungeachtet dessen ist die vorgelegte, von der DGO mit dem Promotionspreis ausgezeichnete Arbeit eine glänzende Leistung, die vor allem für die PMR tief in die Mobilisierungsstrukturen des Separatismus eindringt und damit (anders als im Falle der Krim, wo die späteren Entwicklungen anders gelagert waren) auch die gegenwärtige Situation erklärt.

Frank Golczewski, Hamburg

Zitierweise: Frank Golczewski über: Jan Zofka: Postsowjetischer Separatismus. Die pro-russländischen Bewegungen im moldauischen Dnjestr-Tal und auf der Krim 1989–1995. Göttingen: Wallstein, 2015. 437 S. = Moderne europäische Geschichte, 10. ISBN: 978-3-8353-1634-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Golczewski_Zofka_Postsowjetischer_Separatismus.html (Datum des Seitenbesuchs)

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